Ems und Elbe

Rache ist Schlick

Teile des Hamburger Hafens und die Elbe im Licht der untergehenden Sonne.
Teile des Hamburger Hafens und die Elbe im Licht der untergehenden Sonne. © picture alliance / dpa
Von Alexander Budde, Almuth Knigge und Axel Schröder |
Jahrzehntelang wurden Elbe und Ems vertieft und begradigt. Eine Folge ist zu viel Schlick. So bleibt den Fischen die Luft weg, große Schiffe laufen auf Grund. Die kurzfristige Lösung heißt Ausbaggern. Doch dabei sterben Fische und ihre Brut.

Hamburg und der Hafenschlick

Von Axel Schröder
Tief unter Harald Weldt dröhnt der Bagger, holt Sedimente nach oben, Ablagerung vom Grund der Elbe, die der Schifffahrt im Wege sind. Zehn Meter hoch ist das Spezialschiff, 70 Meter lang, 500 PS stark. Ein schmutzig-oranges Monstrum, das Stunde um Stunde mächtige Stahlkübel im Elbwasser versenkt, den schweren Boden vom Grund des Flusses baggert und ans Tageslicht hievt. Das Schiff ankert mitten im Hamburger Hafen, vor Dock 11 der Blohm & Voss-Werft.
14 Meter tief soll das Wasser hier sein, das Echolot meldet aber nur eine Tiefe von 13 Metern. Deshalb müssen Schiffsführer Harald Weldt und seine Mannschaft ran:
"Diese Hafenbecken und der Strom hier, das Fahrwasser hier, das wird ab und an gepeilt. Ob da Sandablagerungen sind. Und jetzt hat man hier vor dem Dock 11 festgestellt, dass hier so eine Strecke ist, wo sich der Sand abgelagert hat. Und denn wird ein Plan ausgearbeitet und denn kriegen wir den Auftrag, dieses abzuarbeiten."
Harald Weldt behält auch beim Sprechen den Fluss im Auge. Sein Schiff arbeitet nahe der Elbmitte, sechs Anker an dicken Stahlseilen halten es auf Position. Solange, bis das Echolot die gewünschte Tiefe meldet. Dann ändert Weldt die Position des Schiffs um einen Meter, baggert dort weiter, ganz systematisch. Der Schiffsführer steht auf der Brücke, hoch oben über dem Deck, guckt zu, wie die Stahlbottiche aus dem dunklen Wasser auftauchen. Randvoll mit dicken, festen schwarzgrauen Klumpen:
"Sand und Kleie haben wir hier im Moment. Kleie ist hier diese schwarze Tonart. Kleie ist ein schwerer Boden!"

Mit jeder Vertiefung erhöht sich Schlickmenge

Über breite Edelstahlrutschen rauschen die schwarzen Klumpen in zwei Frachtkähne, die rechts und links am Baggerschiff festgemacht sind.
Mit der seit Jahren heiß umstrittenen Elbvertiefung hat Weldts aktueller Auftrag nichts zu tun. Jedenfalls nicht direkt. Er hält nur die Wassertiefen im Hafen konstant. Das Projekt Elbvertiefung dagegen soll ein paar Kilometer flussabwärts den Strom nicht nur tiefer, sondern auch breiter machen.
Indirekt haben die Baggerarbeiten im Hafen und der Unterelbe aber durchaus mit der Elbvertiefung zu tun, besser gesagt: mit den acht Elbvertiefungen, die seit 1834 stattgefunden haben. Denn bisher hat sich mit jeder Vertiefung auch die Menge an Hafenschlick erhöht, erklärt Dr. Maik Bohne von der Hamburger Hafenbehörde, der Hamburg Port Authority, kurz: "HPA":
"Wir haben grundsätzlich, über Jahrzehnte ja die Elbe so verändert durch menschliche Eingriffe, dass wir von einer sogenannten Flutstromdominanz sprechen oder von einer Tidepumpe, die wirkt. Die quasi Sedimente in den Hafen einträgt."
Die Baggerschiffe holen die Sedimente raus aus der Elbe, die Flut bringt sie wieder zurück. Eine Sisyphos-Arbeits, ein nicht endender Kreislauf. Vor Maik Bohne liegen die Karten des Hamburger Hafens und der Unterelbe. Eingezeichnet sind die jeweils vorgeschriebenen Wassertiefen:
"Hier sehen wir eine Karte, wo die einzelnen Gebiete des Hafens eingezeichnet sind und man auch sehen kann, wo die Schwerpunkte des Schiffsverkehrs sind und da, wo auch die Schwerpunkte des Schiffsverkehrs sind, dort haben wir natürlich auch damit zu tun, die Fahrrinne und die Hafenbecken von Schlick, von Sedimenten frei zu halten."

Folgen der Flussveränderung durch den Menschen

85 Millionen hat die Stadt Hamburg dafür nach Angaben der HPA im letzten Jahr ausgegeben. Früher, vor Beginn der ersten Baggerarbeiten, gab es auf der Unterelbe ein Gleichgewicht zwischen Ebbe- und Flutstrom. Die Sedimente, die die Nordseeflut elbaufwärts geschwemmt hatte, wurden mit der nächsten Ebbe wieder abtransportiert. Heute ist der Fluss rund zehn Meter tiefer als vor 180 Jahren. Die Elbe ist an vielen Stellen breiter, und ab Hamburg hat sich ihre Fließgeschwindigkeit erhöht. Gleichzeitig läuft die Flut heute nicht nur höher, sondern auch mit mehr Wucht auf. Denn der Fluss wurde nach der verheerenden Sturmflut von 1962 direkt an der Uferkante eingedeicht. Natürliche Überflutungsflächen, die dem Fluss einst Platz gaben, die der Flut die Wucht und einen Teil der Sedimente nehmen konnten, gibt es kaum noch. Bleibt die Frage: Wohin mit dem Schlick? Der größere Teil wird bei der Elbinsel Neßsand versenkt. Ein weiterer Teil darf seit Anfang des Jahres wieder in der Nordsee verklappt werden:
"Wir haben beantragt, dass wir zehn Millionen Kubikmeter in fünf Jahren austragen können. Das ist ein Teil des Sediments, das wir hier bewegen. Das heißt, in einzelnen Jahren sind wir durchaus flexibler und können bis zu drei Millionen pro Jahr dort auch unterbringen."
Insgesamt kamen so 11 Millionen Kubikmeter Schlick in den letzten zehn Monaten zusammen. Die zusätzliche Verklappung in der Nordsee hatten die zuständigen Behörden in Schleswig-Holstein viele Jahre verweigert. Hintergrund waren vor allem Zwistigkeiten zwischen den Landesregierungen: zum Beispiel darüber, dass die Hamburger die größte deutsche Windenergiemesse aus Husum abgeworben hatten. Nun dürfen die Baggerschiffe den Schlick wieder in der Nordsee versenken, für 2,50 Euro pro Tonne, 15 Kilometer vor Helgoland.

Saugbagger zerstören Fischbestände

Aber erst einmal wird der Schlick weggebaggert oder neuerdings: weggesaugt von den mächtigen Rüsseln der Saugbaggerschiffe. Und das hat Folgen, klagt der Fischer Walter Zeeck:
"Die Fischfauna, die verändert sich auch! Weil die Bagger am Grund rummachen, haben wir bald keinen Butt mehr in der Elbe! Wir haben die Aalquappe ausgerottet! Das ist ein super Fisch, der bei uns an der Unterelbe immer heimisch war. Und sehr wohlschmeckend ist und sehr gut auch zu verkaufen war! Den gibt es praktisch gar nicht mehr. Weil die am Grund leben und da kommt der Bagger und saugt die kaputt. Der macht die Brut ja auch kaputt. Das sind ja nicht nur Fische! Die Brut wird eingesaugt und die kleinen Fische werden eingesaugt. Es ist eine Kette ohne Ende."
Walter Zeeck sitzt auf seinem Balkon, direkt an Oste, einem kleinen Nebenfluss der Elbe. Er schaut rüber auf den breiten Schilfgürtel an der anderen Uferseite, der Wind kräuselt die Wasseroberfläche. Seit Generationen lebt seine Familie vom Fischfang, auch seine Söhne verdienen damit ihr Geld, erzählt Walter Zeeck. Dunkelblaue, abgewetzte Prinz-Heinrich-Mütze, kurzärmeliges Hemd:
"Wir haben hier unseren Anleger direkt vor dem Haus. Wo wir mit dem Kutter anlegen können. Hier können wir unsere Fische verkaufen, hier können wir Proviant einnehmen, hier können wir Wartungsarbeiten machen, alles können wir hier vor der Haustür machen. Und so war das in ganz Hamburg: Altenwerder sah so aus, Finkenwerder sah so aus. All die Fischerdörfer, die wir an der Elbe hatten, sehen so aus wie hier!"

Größere Schiffe, tieferer Fluss

Vom alten Fischerdorf Altenwerder steht heute nur noch die Kirche. Das Dorf wurde schon in den Achtzigerjahren abgerissen, um Platz zu schaffen für den Containerterminal Altenwerder. Der Hafen muss wachsen – das ist seit jeher das Credo der Hamburger Wirtschaft, der Hamburger Politik. Und weil auch die Containerschiffe immer größer werden, muss auch der Fluss tiefer werden. Über die Folgen dieser Industrialisierung der Elbe machte sich damals niemand Gedanken, erinnert sich Walter Zeeck:
"Mein Vorfahren haben es auch gar nicht so ernst genommen mit der Eimerbaggerei. Es waren Eimerbagger, die keine große Kapazität hatten. Denen konnte man ausweichen und es war auch nicht so dramatisch wie es das heute ist mit den Großraumgeräten, den Großraumbaggern. Deshalb knickt die Natur da auch vor ein!"
Ein Saugbaggerschiff befreit am Samstag (24.04.2010) im Sonnenschein die Fahrrine der Elbe bei Hamburg vom Schlamm.
Ein Saugbaggerschiff befreit am Samstag (24.04.2010) im Sonnenschein die Fahrrine der Elbe bei Hamburg vom Schlamm.© picture alliance / dpa / Kay Nietfeld
Auch Manfred Braasch vom Hamburger Bund für Umwelt und Naturschutz geht davon, dass die so genannten Unterhaltungsbaggerungen Flora und Fauna der Elbe beeinträchtigen.
"Jedes Jahr wird ja in der Fahrrinne gebaggert und dort dann natürlich das zarte Leben, das sich dort seit der letzten Baggerung wieder bilden konnte, wieder zerstört. Es gibt dann bei der entsprechenden Aufwirbelung auch Trübungsfahnen durch die Bagger-Geschichten. Und vor allem, wenn man das Material wieder verklappt, auch da gibt es natürlich solche Trübungsfahnen. Deswegen hat man zum Beispiel ja auch festgeschrieben, dass man in den Sommermonaten, wo wir kritische Sauerstoffwerte haben, möglichst nicht baggern sollen.

Giftiges Baggergut

Zudem müsse ein kleiner Teil des Baggerguts auch gesondert deponiert werden. Denn noch immer gibt es Bereiche der Elbe, in denen der Grund des Flusses hochgiftig sei:
"Es gibt also Belastungen mit Schwermetallen, mit organischen Stoffen, mit TBT oder anderen problematischen Stoffen, die sich immer wieder in den Materialien finden. Das muss an Land verbracht werden. Da hat Hamburg extra eine Einrichtung für gebaut, die sogenannte METHA. Und diese problematischen Sedimente werden nach Wasserentzug an Land entsorgt."
Die "METHA", die Maschine zur "Mechanischen Trennung von Hafenschlick" verarbeitet jedes Jahr rund 600.000 Tonnen kontaminierte Sedimente. Gelagert werden diese giftigen Reste auf eigens dazu angelegten Deponien. -Die Giftstoffe im Schlick stammen dabei nur zu zehn Prozent direkt aus dem Hamburger Hafen, erklärt Maik Bohne von der Hamburg Port Authority:
"90 Prozent der belasteten Sedimente, die wir im Hamburger Hafen haben, kommen aus dem Oberlauf. Das ist alles aus der Zeit, als die Elbe noch sehr industriell genutzt wurde. Also vor der Wende. Und es gibt immer noch Schadstoffdepots, die dafür sorgen, dass einige Schadstoffbelastungen auch aus dem Oberlauf der Elbe uns erreichen. Ich will mal ein Beispiel nennen. Wenn man nach Freiberg in Sachsen fährt – hat erstmal nichts mit dem Hamburger Hafen zu tun – aber da gibt es einen Entwässerungsstollen aus einem ehemaligen Bergwerk. Aus diesem Stollen kommen allein 25 Prozent der Cadmium-Fracht, die uns hier an der Elbe dann auch, an der Tideelbe, an der Unterelbe dann auch Probleme machen."

Unterwasserablagerungsflächen als Lösung

Und die Kosten für die fachgerechte Entsorgung dieses Schlicks müssen die Hamburger tragen. Vor allem in den Sommermonaten, dann, wenn der Oberlauf der Elbe besonders wenig Wasser führt, sammeln sich besonders viel Sedimente in den Hafenbecken der Hansestadt. Kritiker der geplanten Elbvertiefung gehen davon aus, dass sich dieser Effekt noch verstärken wird, dass danach noch mehr gebaggert werden muss als heute schon. Maik Bohne von der HPA bestreitet das und verweist auf die hauseigenen Berechnungen, auf die Pläne, im Mündungsgebiet der Elbe einen gigantisches Hügel unter Wasser zu errichten, der die Flut eines Tages bremsen soll.
"Die Tidepumpe, die da wirkt, die auch die Sedimente aus der Nordsee einträgt, die zu dämpfen ist ein Ziel, das wir uns vorgenommen haben. Das kann man mit so genannten Unterwasser-Ablagerungsflächen dann auch entsprechend tun."
Und zusätzlich soll es neue Verhandlungen zwischen Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg über mögliche Rückdeichungen und die Schaffung neuer Überflutungsflächen geben, erklärt Maik Bohne. Der Elbfischer Walter Zeeck winkt angesichts dieser Vorschläge ab.
"Ich habe ja schon ein paar Elbvertiefungen mitgemacht. Das haben die immer gesagt. Und jedes Mal war es verkehrt! Und keiner wird dafür zur Rechenschaft gezogen."
Walter Zeeck wünscht sich eine Überprüfung der mächtigen Saugbagger. Er will wissen, wie viele Fische, wie viele Larven in ihren Saugrüsseln verschwinden. Er ist sich sicher: Wenn die nächste Elbvertiefung kommt, wird noch mehr gesaugbaggert als heute schon. Und darunter werden dann, so Walter Zeeck, vor allem die Fische und Fischer wie seine Söhne und er leiden.

Masterplan Ems

Von Almuth Knigge und Alexander Budde
Das Emsland – blökende Schafe auf sattgrünen Deichen. Ein paar Kühe grasen entspannt auf den Wiesen. Weites Land. Am Horizont – wie eine Fata Morgana – schwebt ein Hochhaus über den Acker, langsam, beharrlich. Kommt man näher, dann sieht man das Wasser – und darauf das Schiff: die Ovation of the Seas, Kreuzfahrt-Gigant aus Papenburg. Noch 40 km – bis zum offenen Meer…
Auf dem Deich bei Weener stehen Hunderte Schaulustige – von hier geht der Blick weit über den Fluss. Über Brackwasser, dürre Bäume und welkes Schilf. Zwei Schlepper schieben den Luxusliner Meter für Meter rückwärts. Die 40 km lange Reise dauert zehn lange Stunden. Wenn alles gut geht. Oftmals ist zwischen Schiff und Ufer nur weniger als einen Meter Platz.
Die Riesenschiffe brauchen mindestens eine Handbreit Wasser unterm Kiel. Dafür wird der Fluss gestaut. Das geschieht am Sperrwerk bei Gandersum. Das kleine Dorf liegt südöstlich von Emden, bei Stromkilometer 32, also kurz vor der Mündung der Ems in die Nordsee. Es ist tiefschwarze Nacht, als der Luxusliner das Sperrwerk erreicht. Die Kabinenlichter auf den 18 Decks konkurrieren mit den Sternen am Himmel. Immer noch verfolgen Schaulustige die Reise der "Ovation of the Seas".
Reporterin: "Wo kommt man denn hier hoch? Haben Sie ne Taschenlampe?"
"Ja, wir gucken auch gerade. Hier kommt man aber nicht rüber, oder? Doch, hier …!"
Peter und seine Freundin Susanne stolpern den Deich hinauf. Sie sind, so scheint es, schwer verliebt.
"Das ist so ein Stück Romantik hier , wenn man so was Gigantisches sieht und das mit 'ner Freundin, ne? Das ist das Allerschönste, was man im Leben so erleben kann, ne!"
Eng aneinandergeschmiegt folgen ihre Blicke dem Ozeanriesen. Die "Ovation of the Seas" hat sich durch die 60 Meter breite Öffnung am Sperrwerk gezwängt, verschwindet langsam, ganz langsam, am Horizont. Den Lockruf der See hört auch Peter, der Landwirt und Flussanwohner.
"Ist ja schon imposant! Ich bin noch nie auf einem Kreuzschiff gewesen, aber ich wäre gerne mal mitgefahren. Ich komme aus einem Dorf mit 150 Einwohnern, das passt da 30 Mal drauf. Das muss man ja bedenken, so groß sind die heutzutage. Mit Kino mit Küche mit allem Drum und Dran, da sind wahrscheinlich drei Kinos drauf …!"

Wie groß dürfen Schiffe sein?

Drei Kinos? Lächerlich. Das Schiff ist 348 Meter lang, 41 Meter breit – mit Platz für knapp 6.500 Menschen. Die können sich mit Fallschirm und Surfsimulator verlustieren – oder im Bordtheater mit Platz für 1.110 Zuschauer.
Reporterin: "Ob der der liebe Gott die Ems für so große Schiffe gemacht hat?"
"Nee, das bestimmt nicht! Die haben ja auch schon ein Werk in Finnland gekauft. Ob die größeren Schiffe dann demnächst woanders gebaut werden? Viel größer können sie jetzt ja nicht mehr..."
Seit den Achtzigerjahren ist der Unterlauf der Ems bereits viermal ausgebaggert worden, von 4,50 Meter auf zuletzt 7,30 Meter. Mit jeder Schiffsgeneration wurde der Fluss angepasst: Kurven im Flussbett wurden begradigt, eine Brücke umgebaut – all dies finanziert vom Steuerzahler. Den größten Bedarf hat die Meyer-Werft, die letzte überlebende Werft in Papenburg, ein wichtiger Arbeitgeber der Region mit 3.300 Mitarbeitern. Global Player in der norddeutschen Tiefebene.
Gerhard Schröder: "Die Meyer Werft ist der wichtigste Industriebetrieb – oder einer der wichtigsten Industriebetriebe in der Region!"
Rückblick: Im September 1998, nur elf Tage vor der Bundestagswahl, erklimmt Gerhard Schröder bei Gandersum einen Ponton auf der Ems. Der damalige Kanzlerkandidat rammt symbolisch den ersten Pfahl für das mächtige Sperrwerk in den Fluss. Nach offizieller Lesart soll das Bauwerk vor Sturmfluten schützen. Doch Naturschutzverbände, Fischer und viele Flussanwohner sprechen schon damals von einer Mogelpackung.

Betrieb des Sperrwerks gefährdet die Natur

Tatsächlich befindet sich in dem 220 Millionen teuren Bauwerk Technik, die für den Küstenschutz nicht gebraucht wird. Mehrmals im Jahr nutzt die Meyer-Werft das Stauwehr, um ihre Traumschiffe aus dem Papenburger Binnenhafen in die 50 Kilometer entfernte Nordsee zu schleppen. Wenn das Sperrwerk an der Emsmündung seine Tore schließt, staut sich die Wassersäule im Fluss so weit hoch, dass ihn Schiffsriesen mit einem Tiefgang bis 8,50 Meter befahren können. Um schneller stauen zu können, werden Unmengen von Salzwasser aus der Nordsee mit Hochdruck in das geschützte Deichvorland gepumpt.
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Der jüngste Kreuzfahrtschiff-Neubau der Meyer-Werft in Papenburg (Niedersachsen), "Ovation of the Seas", wird am 11.03.2016 auf der schmalen Ems in die Nordsee überführt. © picture alliance / dpa
Ökologisch unverantwortlich, sagen die Kritiker. Doch ihre Klagen, Eilanträge und Einwendungen konnten das Sperrwerk nicht verhindern. 2002 ging es in Betrieb. Zwar hat sich die Meyer-Werft vor einem Jahr verpflichtet, für mindestens 30 Jahre keine großen Schiffe mehr während der Hauptbrutzeit der Vögel vom 1. April bis zum 15. Juli eines Jahres auf der Ems zu überführen, aber hinter den Kulissen wird mit den Umweltverbänden schon wieder um Ausnahmegenehmigungen gefeilscht.
Reporter: "Hier sehen wir gerade einen kleinen Binnenfrachter vorbeiziehen. "
Beatrice Claus: "Genau, man sieht auch, wenn man sich hinten anguckt die Schiffswelle, wie schlammig die Ems ist! Das ist eigentlich eine riesige Schlickbrühe hier! Wir sehen hier Schlickberge am Uferrand: das ist untypisch für eine natürliche Flussmündung, das ist das Ergebnis dieses Ausbaus dieses Flusses."
Im lauen Monat Mai sitzt Beatrice Claus am Ufer der Ems. Der Fluss ist hier in der Auenlandschaft bei Leer rund 50 Stromkilometer südlich von Gandersum keine Augenfreude: Braun und träge strömt er vorbei.

700 Millionen Euro für den Flussausbau in 20 Jahren

Die Biologin Claus arbeitet für die Naturschutzorganisation World Wide Fund For Nature, kurz WWF. Nach WWF-Berechnungen haben Bund, Land und Kommunen in den vergangenen 20 Jahren mehr als 700 Millionen Euro für den Flussausbau ausgegeben – mit verheerenden Folgen für Mensch und Natur, sagt die Expertin für Wattenmeer und Flusspolitik:
"Was man sich noch vorstellen kann, wenn man jetzt hier sitzt: Dass an der Gewässersole, jetzt haben wir Mai, sich eine Schlickschicht von vier bis fünf Metern bildet bei einer Wassertiefe von sechs Metern. Und in dieser Schlickschicht ist dann gar kein Sauerstoff mehr, das ist dann kein Lebensraum mehr für Tiere!"
Als Ästuare werden die Mündungsbereiche großer Flüsse bezeichnet, die von Ebbe und Flut beeinflusst sind. In Deutschland gibt es an Eider, Elbe, Weser und Ems gleich vier solcher Ästuare, wo Flüsse langsam salzig werden. Sie stehen unter europäischen Naturschutz. Im Durchmischungsbereich von Süß- und Salzwasser, in der Brackwasserzone, kommen nämlich nur solche Arten vor, die an die extreme Situation angepasst sind.
Beatrice Claus beschreibt das Ems-Ästuar mit seinen Gewässern, Auwäldern und Röhrichten als einen ökologisch hoch sensiblen Lebensraum im Wechselspiel von Ebbe und Flut: Die Ems-Mündung ist Brut- und Rastplatz für Wasservögel aber auch Kinderstube für viele Fischarten des Wattenmeeres.
"Die Ems ist ein wichtiger Wanderweg für Meerneunaugen und Flussneunaugen. Die wandern zu bestimmten Jahreszeiten, das heißt, im Juni müssen wir wieder Sauerstoff im Fluss haben, damit die Ems wieder ihre Funktion als Wanderweg für diese europarechtlich geschützten Arten haben kann. Die Ems ist aber auch gleichzeitig Laichgebiet für die Finte und Lebensraum für den Stint, das heißt, die Ems braucht wieder sandigen Gewässerboden, damit der Stint sich vermehren kann. 1994 galt die Ems als fischreichste Flussmündung in Deutschland. Da haben hier noch Fischer gelebt und auch vom Fischfang in der Ems gelebt."

Ausbaggern jedes Jahr nötig

Doch diese Zeiten sind lange vorbei. In einem natürlichen Ästuar wird mehr Sediment aus dem Fluss ins Meer ausgetragen als bei Flut zurückströmt. Vertiefung und Ausbau der Ems haben das System zum Kippen gebracht:
"Man hat das Volumen größer gemacht, dadurch kommt mehr Wasser in der Flutphase rein, die Strömungsgeschwindigkeit nimmt zu und die Sedimente werden nicht mehr so ausgetragen wie im natürlichen Flusssystem. Das ist ein langsam sich akkumulierender Prozess, das heißt, über Jahrzehnte sammeln sich so Sedimente an und irgendwann entsteht eine Art Schlickschicht auch an der Gewässersohle – und dann ist das ein sich selbst verstärkendes System, wo die Situation schlechter wird, ohne dass man weiter eingreift."
Weil die Bundeswasserstraße Ems immer wieder verschlickt, müssen Häfen und Fluss jedes Jahr von Neuem ausgebaggert werden. Der Schlick wird mit viel Aufwand an Land deponiert. Allein das Herstellen der Fahrrinne für die Schiffsüberführungen verschlingt im Jahr zwischen 20 und 25 Millionen Euro. Volkswirtschaftlich günstiger wäre es gewesen, die Werft ins 50 Kilometer entfernte Emden zu verlagern, sagen Kritiker wie Claus.
"Wir haben immer gefordert, dass diese Werft ans seeschifftiefe Wasser umzieht. Wir haben gegen die Vertiefung geklagt vor Gericht. Wir haben nie gewonnen. Das war für uns als WWF dann der Grund zu sagen: Wir haben es nicht in der Hand, die Werft zum Umziehen zu bewegen. Wir wollen aber, dass es dem Fluss wieder besser geht. Und deswegen haben wir nach Möglichkeiten gesucht, wie die Werft am Standort bleiben kann und trotzdem der Fluss renaturiert wird."

EU mahnt Wasserqualität an

Tatsächlich sehen sich auch der Bund und die rot-grüne Landesregierung durch europäische Naturschutzgesetze zum Handeln gezwungen. Die EU fordert bis 2050 eine gute Wasserqualität in der Ems – und droht unter anderem wegen mangelhafter Umsetzung der Vogelschutz-Richtlinie mit Strafzahlungen in Millionenhöhe.
Land, Werft und Umweltverbände haben deshalb vor einem Jahr den so genannten "Masterplan Ems" aufgestellt. Mit diesem Pakt üben sich die Partner im Spagat: Einerseits soll die Werft auch weiterhin rechtssicher ihre Traumschiffe am Papenburger Standort bauen und durch die Ems in die Nordsee überführen dürfen. Andererseits lässt sich das von der EU angedrohte Vertragsverletzungsverfahren nur dann dauerhaft abwenden, wenn es substanzielle Fortschritte bei der Sanierung des Flusses gibt.
Zu viel Schlickeintrag aus der Nordsee, zu wenig Sauerstoff im Fluss – um die Probleme der Ems zu lösen, sind drei Ansätze im Gespräch: Untersucht wird zum einen, ob sich Ebb- und Flutstrom mittels der vorhandenen Verschlüsse am Sperrwerk so beeinflussen lassen, dass wieder mehr Schwebstoffe aus der Ems in die See transportiert werden als andersherum. Auch der Einbau einer sogenannten Sohlschwelle am Sperrwerk könnte helfen, das natürliche Gleichgewicht wieder herzustellen. Beatrice Claus:
"Wir als Umweltverbände würden am liebsten den Deich wieder ein Stück ins Binnenland zurückverlegen. Das führt zu großen Akzeptanzproblemen bei der örtlichen Bevölkerung. Deswegen haben wir uns jetzt darauf geeinigt, Tidepolder, so nennt sich das, anzulegen, das heißt, der Hochwasserschutz wird mit der bestehenden Deichlinie weiterhin sichergestellt, aber man baut ein Siel in den Deich, schafft eine große Öffnung, sodass täglich Ebbe und Flut in dieses Gebiet reinlaufen kann und sich dann dort flusstypische Lebensräume entwickeln können. Ich schaffe Flutraum und bei Ebbe fließt das Wasser länger nach, das heißt, wenn dann wieder Flut ist, ist schon mehr Wasser im System drin und es kommt weniger Wasser aus der Nordsee in die Ems rein."

Entscheidung für 2018 geplant

Bis 2050 hat sich das Land verpflichtet, 700 Hektar Flächen von Landwirten zu kaufen, um sie als Brutgebiet für Vögel und für die geplanten Überflutungspolder zu nutzen. Nicht alle sind davon begeistert. Umweltschützer wie Beatrice Claus werden noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, damit sich möglichst viele Flussanwohner mit den Plänen anfreunden.
"Aus meiner Sicht ist der Masterplan Ems die einzige und große Chance, tatsächlich die Ökologie an der Ems wieder zu verbessern. Das ist eigentlich auch nur möglich, diese ständigen Baggerungen weiterzuführen, wenn das Ökosystem sich verbessern wird. Und das ist auch das Einmalige, dass die Wirtschaft hier Interesse hat, Naturschutz an der Ems zu betreiben. Ich möchte sehr stark, dass es funktioniert! Ich musste im Laufe der Jahre feststellen, dass alles sehr viel länger dauert als ich es jemals gedacht habe. Und ich glaube, das wird auch jetzt lange dauern, bis die Ems wieder in einem guten Zustand ist."
Derzeit brüten die Ingenieure über Machbarkeitsstudien. 2018 soll die Entscheidung fallen, mit welcher großen Lösung man die Ems nun retten will.