Erfolgsregion Emsland

In der Kooperation liegt die Kraft

10:48 Minuten
Drei Arbeiter in orange-weißer Kluft verlegen Glasfaserleitungen. Im Vordergrund ist der aufgerissene Boden zu sehen, im Hintergrund ein Bagger.
Verlegen von Glasfaserleitungen in Bramsche im Emsland: In der Region haben inzwischen 80 Prozent der Haushalte einen solchen Hochgeschwindigkeitsanschluss ans Internet. © imago / photothek / Ute Grabowsky
Von Dietrich Mohaupt |
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Das niedersächsische Emsland zählt zu den Top-Wachstumsregionen in Deutschland: Viele erfolgreiche Firmen sitzen hier, auch die Landbevölkerung wächst. Doch die "Region der Macher" hat ein Problem: den Fachkräftemangel.
Der erste Eindruck bei einer Fahrt durch die Region mag täuschen – aber schon ein Abstecher in das Städtchen Haren an der Ems zu der kleinen Firma Berky macht deutlich: Das Emsland steht längst nicht mehr nur für Tierhaltung und mühsamen Ackerbau, sondern auch für innovative Ideen.
Auf dem Berky-Parkplatz steht Geschäftsführer Felix Knoll vor einem etwas rostigen traktorähnlichen Vehikel mit drei Rädern. „Vor fast 60 Jahren hatten unser Gründer Anton Berkenheger, mein Großvater und der Kaufmann Joseph Göcking diese Idee, dass man die Gräben im Emsland nicht mehr per Hand mäht, sondern dass man dafür einen Böschungsmäher entwickelt – ein automatisches Messer mit Motor.“ Die Geburtsstunde des „Dreirad-Mähgeräts für Grabenböschungen“ – so hieß das Gerät in der Patentschrift von 1963.
„Das Emsland war ein reines Moorgebiet. Dieses Moorgebiet musste kultiviert werden, damit man hier wirtschaften kann. Und daraus sind wir 1964 auch als Unternehmen entstanden, weil man die Gräben, die man für das Entwässern brauchte, eben auch mähen musste", erläutert Knoll. Auch viele andere erfolgreiche Unternehmen im Emsland hätten ihren Ursprung im Bereich Landwirtschaft und Landtechnik, fügt er an.

Vom Mähdreirad zum Mähboot

In den Neunzigerjahren ging die Firma Berky dann aufs Wasser. Es muss ja nicht immer ein Graben sein, auch Teiche oder Bäche müssen von Zeit zu Zeit gemäht werden – und das geht mit einem Boot vielleicht besser als von Land aus, so die Idee.
„So sind vor 20, 30 Jahren unsere ersten Mähboote entstanden", berichtet Knoll. "Mittlerweile haben sich diese Mähboote in den letzten zwei Jahren auch dahingehend entwickelt, dass es extrem erfolgreiche Müllsammelboote auf der ganzen Welt sind.“  
Zu besichtigen sind sie in der großen Produktionshalle, wo überall geschweißt, geflext und gehämmert wird. 

Müllsammelboote sogar für Indonesien

In den vergangenen sechs Jahren stieg die Zahl der Mitarbeitenden bei Berky von 35 auf mehr als 90 – nicht zuletzt wegen der großen Nachfrage nach eben diesen Müllsammelbooten. Das Unternehmen aus dem Emsland gehört inzwischen zu den weltweit führenden Anbietern dieser Technik. Auch nach Indonesien werden diese Boote geliefert.

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Und es soll nicht die letzte große Innovation sein – in der Halle steht auch ein Prototyp für ein vollständig elektrisch angetriebenes Mäh- und Müllsammelboot, an dem allerdings noch fleißig entwickelt wird.

Fachkräftemangel im Emsland

Damit ist Felix Knoll bei einem etwas schwierigen Thema: der Fachkräftemangel, der besonders in der Wachstumsregion Emsland zu einem Problem wird. Die Arbeitslosenquote lag im Juni 2022 bei gerade einmal 2,6 Prozent – bundesweit ist sie doppelt so hoch.
„Die Arbeitslosenquote ist natürlich ein Zeichen für Erfolg, ganz klar", sagt der Berky-Geschäftsführer. "Aber auf der anderen Seite – Fachkräfte werben wir uns zum größeren Teil gegenseitig ab, das hilft unserer Region nicht. Das heißt, es ist für uns vor allen Dingen entscheidend, dass wir zeigen, was für eine tolle und prosperierende Region wir, dass wir auch externe Fachkräfte hierher holen.“  

Auch der Landkreis wirbt bei Fachkräften

Unter anderem darum kümmert sich Michael Steffens – er ist beim Landkreis Emsland für Wirtschaft und Kreisentwicklung zuständig.
Gemeinsam mit dem Wirtschaftsverband der Region schaue man ganz intensiv, „wo es sinnvoll ist, um Arbeitskräfte zu werben. Also wahrscheinlich nicht in München, Rom, Madrid – sondern vielleicht im benachbarten Ruhrgebiet", erläutert Steffens das Vorgehen. "Wir schalten dort Anzeigen, es gibt kleine Filme, um auf die Situation im Emsland aufmerksam zu machen, um zu zeigen, dass man hier sehr gut leben und eine erfüllende Arbeit finden kann."
Es scheint zu funktionieren, wie ein Blick auf einige Eckdaten nahelegt. „Das Emsland wächst demografisch gesehen an Einwohnern, wir bekommen jedes Jahr praktisch ein Dorf dazu. Das Emsland wächst, was die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten angeht weit über Landes- und Bundesdurchschnitt in den vergangenen Jahren.“  
Das sind Werte, die das Emsland zu einer echten Top-Wachstumsregion in Deutschland machen.

Erfolgsfaktor Infrastruktur

Ein wesentlicher Faktor dabei sei, dass die Region sich schon seit Jahren auf den Ausbau der Infrastruktur konzentriert habe, betont Michael Steffens.
„Straßen, Wasserstraßen, Eisenbahn – und jetzt auch die digitale Infrastruktur. Wir haben beispielsweise einen Glasfaseranteil bei den Haushalten von über 80 Prozent", zählt er auf. "Ich glaube, das ist für eine ländliche Region doch ganz beeindruckend. Aber das ist Teil des Denkens hier – die Infrastruktur so zu optimieren, dass eben möglichst viele Menschen auch sagen: 'Ja, da möchte ich mich niederlassen'.“
Vieles habe man aus eigener Kraft erreicht – aber Michael Steffens vom Landkreis Emsland weiß auch ganz genau: „Die Welt verändert sich, wir werden nicht mehr alles alleine schaffen, da ist Kooperation das Mittel der Wahl. Aktuell haben wir uns mit dem Landkreis Grafschaft Bentheim, mit dem wir gute partnerschaftliche Beziehungen pflegen, zur 'Zukunftsregion Ems-Vechte' zusammengetan. Wir arbeiten zum Beispiel in einer gemeinsamen Rettungsleitstelle. Bei unseren kleinen Eisenbahnverkehrsbetrieben nutzen wir gemeinsam die Infrastrukturen.“

Kooperation in der Region

Nur zwei Beispiele für eine schon länger gepflegte nachbarschaftliche Kooperation, die gerade erst vom Land Niedersachen noch einmal einen zusätzlichen Schub bekommen hat.
Gut sechs Millionen Euro aus EU-Mitteln sollen in den kommenden sechs Jahren in diese „Zukunftsregion Ems-Vechte“ fließen – eine große Chance, meint der Erste Kreisrat Michael Kiehl, der sich beim Landkreis Grafschaft Bentheim unter anderem um dieses Projekt kümmert.
„Das Emsland und auch der Landkreis Grafschaft Bentheim sind beide sehr wachstumsstarke Landkreise", erklärt er. "Für uns ist es jetzt ein Stück weit auch die Kunst, wie wir diese momentane Situation zukunftsfest machen. Wir wollen uns im Rahmen dieser Zukunftsregion Ems-Vechte mit den Themenfeldern Innovation und Arbeitsmarkt beschäftigen, um dort auch den Strukturwandel zu einer digitalen Region zu schaffen.“

Zusammenarbeit auf vielen Ebenen

Die Kooperation beschränkt sich nicht nur auf den Nachbarkreis Emsland – im Rahmen von EUREGIO zum Beispiel bestehen seit mehr als 60 Jahren schon enge Verbindungen in die Niederlande.
Darüber hinaus ist natürlich auch Nordrhein-Westfalen als benachbartes Bundesland immer wieder Partner. Das Emsland, der Kreis Grafschaft Bentheim und nordrhein-westfälische Landkreise würden sich etwa gerade zusammenfinden bei einem Zukunftsthema:
"Wir machen uns gerade gemeinsam mit fünf Landkreisen auf den Weg, um uns als Expertenregion für das Thema Wasserstoff zu bewerben – rund um die ganzen tollen Projekte, die es hier in der Region schon gibt", erklärt Kiehl. "Da sehen Sie, dass wir je nach Thema und Problemlage auch gucken, wie wir das hier in regionaler Partnerschaft tun können. Das sieht man ja auch in der erfreulichen Gesamtentwicklung der Region.“  

Erprobt im Strukturwandel

Es ist nicht der erste große Strukturwandel, den die Grafschaft Bentheim stemmen muss. Seit dem 19. Jahrhundert hatte sich in dem von Heide und Moorlandschaften geprägten Landstrich eine erfolgreiche Textilindustrie entwickelt, die ab den 1970er-Jahren allerdings schrittweise an Bedeutung verlor. Inzwischen ist sie vollständig verschwunden.
„Das letzte große Textilindustrieunternehmen ist erst Anfang des Jahrtausends in die Abwicklung gegangen", sagt Kiehl. "Wir hatten bis zu der Zeit etwa 15.000 Beschäftigte hier in der Region in der Textilindustrie – von insgesamt 30.000 Beschäftigten."
Die Hälfte aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sei also in der Textilindustrie beschäftigt gewesen. "Die sind alle weg, und wir haben mittlerweile nicht nur 30.000 Beschäftigte, sondern weit über 50.000 und also in der Zeit danach eine sehr dynamische Entwicklung vollzogen.“  

Vorausschauende Personalgewinnung

Ein Teil dieser Entwicklung ist die Georg Utz GmbH in Schüttorf. Die deutsche Niederlassung des Schweizer Unternehmens stellt hauptsächlich Kunststoffbehälter und –paletten für Transport und Lagerung her.
Schier endlose Rohrleitungen ziehen sich durch die Produktionshallen. Darin wird Kunststoffgranulat zu den Maschinen transportiert, die daraus stapelbare Kästen, Kunststoffkoffer oder Paletten in verschiedensten Größen, Formen und Farben herstellen. Ein Großteil der Produktion ist automatisiert – aber auch dieses Unternehmen braucht Fachkräfte.
Vor zehn Jahren schon habe man deshalb damit begonnen, sich diesem Problem zu stellen – damals ganz klassisch mithilfe eines Imagefilms, erzählt Geschäftsführer Rüdiger Köhler.
„Heute sieht es ganz anders aus, zehn Jahre später machen wir das über Social Media. Wir arbeiten mit einem sehr dynamischen Unternehmen hier aus dem westfälischen Rheine zusammen, das kurze Videos macht: Wir interviewen Leute, die werden dann viral gestellt auf TikTok, auf Insta, auf Snapchat. Damit versuchen wir natürlich, gerade auch für sehr junge Menschen attraktiv zu werden.“  
Das scheint ganz gut zu funktionieren. Ähnlich wie das Emsland weist auch die Grafschaft Bentheim ein Bevölkerungswachstum von fast zwei Prozent über die vergangenen vier Jahren auf, im benachbarten Landkreis Aurich in Ostfriesland liegt der Wert bei unter einem halben Prozent.
Das Emsland und die Grafschaft – das sei eine „Region der Macher“, sagt Köhler. "Wir sind halt hauptsächlich Mittelständler, und die können schnell umsetzen, die haben Ideen. Wir haben unheimlich pfiffige Unternehmer."

Unternehmergeld für die Autobahn A31

Das beste Beispiel sei die Autobahn A31, wo damals sowohl die Region als auch einzelne Unternehmen Geld gegeben hätten – "damit diese Macher-Region auch infrastrukturtechnisch weiter versorgt wird. Das hat natürlich unglaublichen Schwung gegeben“, hebt der Utz-Chef hervor.
Eine bundesweit bisher einzigartige Initiative war das: Mehr als 50 Millionen Euro brachten Städte, Kreise und Unternehmen aus der Region auf; das Land Niedersachsen steuerte weiter 61 Millionen Euro bei. So waren 42 Kilometer Emslandautobahn auf der Nord-Südachse zwischen Emden und dem Ruhrgebiet Ende 2004 fertig – 15 Jahre früher als ursprünglich geplant.
„Willkommen bei den Machern“ steht auf Schildern überall auf diesem Autobahnabschnitt – sehr selbstbewusst nehmen die Menschen in der Region für sich in Anspruch, sich gute Zukunftschancen durch Eigeninitiative selbst erarbeiten zu können.

Selbstbewusste Bürger

Sonderlich überraschend sei das eigentlich nicht, findet Unternehmer Rüdiger Köhler.
„Für mich war das immer klar – weil, wir arbeiten ja alle daran", sagt er. "Wir sind hier die Region der Macher. Auf Niedersachsen bezogen sind die beiden Regionen Emsland und Grafschaft diejenigen mit den größten Wachstumszeichen, ich nenne es jetzt mal so", um dann das Fazit zu ziehen: "Wir können das!“  
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