Ende der Dressur

Von Katrin Albinus |
20 Jahre lang war er einer der besten Torhüter der Bundesliga. In den 70er-Jahren wurde Rudi Kargus beim Hamburger Sportverein als "Elfmeter-Töter" berühmt. Ende der 90er-Jahre stieg er aus dem Profi-Fußball aus und entdeckte danach Ölfarbe und Leinwand für sich.
"Alle HSVer in der eigenen Hälfte, Kargus orientiert sich, sagt: geht nach vorne, lasst sie nicht zu dicht heran kommen - der Ball fliegt in den Straf.... Kargus hoch, hat den Ball! Heruntergeholt, heruntergepflückt...."

"Ich hatte damit am Anfang echt ein Problem."

Rudi Kargus sitzt auf einem alten Sessel, der irgendwie zu klein für den großen Mann wirkt.

"Dass natürlich viele Leute kamen, auf die Bilder gekuckt haben und erst mal total interessiert waren nur an dem Moment, dass jetzt son ehemaliger Fussballer malt. Und erst in zweiter Linie sich für die Bilder interessiert haben."

Der fast 60-Jährige hat graues kurzes Haar, trägt einen schwarzen schlabberigen Rollkragenpullover, Jeans, sportliche Halbschuhe. Alles ohne Farbspritzer. Dieser Tage wird nicht gemalt, Rudi Kargus bereitet seine Ausstellung bei Feinkunst Krüger in Hamburg vor, die Bilder müssen jetzt vor allem trocknen.

15 Jahre ist es her, dass Rudi Kargus in einer Umbruchphase die Malerei für sich entdeckte. Nach dem Ende seiner Profi-Fussball-Karriere probierte er sich neu aus, ging ins Theater, machte Musik, beschäftigte sich mit Literatur - und blieb bei der Malerei hängen.

In seinem Atelier stehen vor allem großformatige Ölbilder, 1 Meter auf 1 Meter 60. Farblich zeigen die meisten ein ausgewogenes Spiel von erdigen, grauen oder schwarzen Tönen und lichten Flächen, Rot-, Blau- und Gelbtönen; ausgewogen auch das Verhältnis von Abstraktion und Figuration, von Verdichtung und Weite. Fast alle Bilder sind durchzogen von einer melancholischen, etwas düsteren Note: einsame Gestalten, abseits von der Gruppe - Figuren in Schutzanzügen in einer endzeitlich wirkenden städtischen Umgebung.

"Kargus: Man wird ja schon immer irgendwie zu dem kommen, das zu malen, was in einem drinnen ist. Und da ich nun mal 20 Jahre in der Öffentlichkeit stand, teilweise damit auch meine Probleme hatte, ist das natürlich klar, dass das in mein Wesen, meine Haltung reinspielt."

Oft sind Rückenansichten zu sehen, Vermummte, Menschen, die sich eigentlich nicht zeigen wollen. Sie vermitteln auch ein Gefühl der Einsamkeit, der Leere innerhalb der Fülle. Ein Eindruck, der nachvollziehbar ist bei einem, der es gewohnt war unter den Augen von 60.000 Zuschauern seine Leistung auf dem Platz als Torwart, als "letzter Mann" wie es auch heißt, liefern zu müssen.

Rudi Kargus lebt heute mit seiner zweiten Frau in der Nähe von Hamburg, wo auch seine zwei erwachsenen Söhne wohnen. Geboren wurde er 1952 in Worms. Dort kickte sich Rudi Kargus durch seine Kindheit und Jugend in Vereinen und Auswahlmannschaften, machte Mittlere Reife und eine Lehre als Verwaltungsangestellter. Als mit 18 der Ruf nach Hamburg zum HSV kam, zögerte er keinen Moment: ein großer Jugendtraum erfüllte sich, allerdings hat der auch seine Kehrseiten.

"Diese ganze Zeit, sowohl in der Kindheit, als auch nachher im Fussball hab ich immer in diesem Disziplinrahmen gelebt, immer damit gelebt unter diesen Vorgaben – die zu erfüllen. Und jetzt bin ich plötzlich hier in meinem Atelier völlig allein. Genieße ne völlige Autonomie und das ist der totale Gegenentwurf. Das musste ich son bisschen abtrainieren erst mal, dass ich nicht mehr so der dressierte Mensch war."

Rudi Kargus schöpft die Ideen für seine Bilder nicht nur aus seiner Vergangenheit. Auf einem großen Tisch im Atelier liegen Stapelweise Papierfetzen, Zeitungsausschnitte, Bilder aller Art. Dieser Fundus füllt auch einige Schubkästen.

"Es geht natürlich mit ner Idee los, ich starte immer mit so einem Bild im Kopf oder als Vorlage - im Malprozess kanns denn sein, dass es trotzdem ganz anders wird."

Die Kopien, Fotos, Ausschnitte aus Magazinen zeigen vor allem Menschen. Er greift ein Bild heraus – es ist die Kopie eines Standbildes aus einem Film, jemand liegt am Boden

"An der Vorlage zeig ich Ihnen jetzt nochmal ein Bild zu, da hab ich so ne Serie, die hol ich mal, das passt ganz gut, die wollte ich Ihnen auch noch mal zeigen (geht ins Lager). Das sind so drei – kucken Sie mal, wir können mal Licht machen...."

In einem kleinen Nebenraum mit gekacheltem Fußboden stehen in Folie verpackte Bilder, an einer anderen Wand lehnen unverpackt eine ganze Reihe von Gemälden. Auf einem sieht man einen Mensch am Boden hocken– am Hals angekettet, nackt.

"Weil wir doch vorhin über den dressierten Menschen gesprochen haben, ist das ganz passend hier. Heißt auch: Ende der Dressur. Aber was ich Ihnen zeigen wollte, ist eigentlich was anderes, das sind diese drei hier, die auch wahrscheinlich in die Ausstellung gehen werden."

Rudi Kargus stellt die Bilder nach nebenan in sein Atelier. Man sieht wieder den Mann, der am Boden liegt - wahrscheinlich ein Toter - mit dem Gesicht zum Boden, die Arme liegen direkt neben dem Körper. Daneben ein kaputter Stuhl.

"Das was jetzt hier so steht, das ist das, was ich so die letzten zwei Jahre gemacht hab. Und ja, wahrscheinlich tun sich auch ein paar Abgründe auf - wer hat die nicht auch in sich? Ist ja nicht nur eitel Sonnenschein alles."

Dem Maler selbst sind seine Werke nicht zu düster, er hängt sie sich auch zuhause auf. Vorerst stellt er die Bilder zurück ins Lager, später müssen auch sie noch verpackt werden. Aufgeregt ist er nicht wegen der Ausstellung, ein angenehmes Prickeln würde er aber schon empfinden, erzählt er. Und wenn er ein paar Gemälde verkauft, ist das auch nicht verkehrt. Als Fussballer seiner Generation hat man noch nicht die Summen verdient, wie die Fussball-Stars von heute.