Ende der Einsamkeit
Michael Reed versinkt in pure Ausweglosigkeit, nachdem er Frau und Tochter bei einem Verkehrunfall verloren hat. Erst als eine schamlose junge Frau auftaucht, kehrt er in das Leben zurück. Denis Johnson hat mit "Der Name der Welt" einen grandiosen Roman vorgelegt.
Ein Mann hat seine Frau und seine kleine Tochter bei einem Verkehrsunfall verloren und ist seither selber "so gut wie tot". Er lebt als Gefangener seiner Vergangenheit, seiner Trauer "treu ergeben". Einst war er Redenschreiber für einen Senator in Washington, jetzt unterrichtet er Geschichte an einer unbedeutenden Universität irgendwo im mittleren Westen.
Doch da ihm nichts wichtig ist und schon gar nicht das, was er tut, tut er fast nichts. Seit vier Jahren dümpelt Michael Reed durch die Tage und die Seminare, die er gibt. Sitzt hin und wieder auf gediegenen Abendessen bei Kollegen herum, wo er hin und wieder einen intelligenten Satz sagt.
Am häufigsten redet er mit Bill. Mit ihm führt er lange Gespräche. Von ihm fühlt er sich verstanden. Imaginär. Denn Bill ist Museumswärter, und ein Wort gewechselt hat er mit ihm noch nie. Aber Bill bewacht das Bild, zu dem es Michael Reed immer wieder zieht. Ein kleines exaktes Quadrat in der Mitte und drum herum in konzentrischen Linien zahlreiche weitere - mit unsicherer Hand gezeichnete - Quadrate, sodass jene ganz außen schließlich aussahen wie "riesige, chaotische Irrgänge".
Überall entdeckt Michael Reed sich und die Ausweglosigkeit seines Lebens. Selbst wenn er den Studenten beim Eislaufen zusieht, sieht er nur sich. Auf einmal haben sie alle sein Gesicht. Denn so wie sie ständig eine winzige Insel umkreisen, so kreist auch er um seine Vergangenheit.
Bis Flower Cannon auftaucht. Und er Gegenwart spürt. Eine schamlose, junge Person, die ihm als Cellistin, als Kellnerin, als Stripperin, als Kirchensängerin immer wieder – wie schicksalhaft - begegnet, eine Auferweckungsgöttin der unschicklichen Art. Und bedrohlich. Vielleicht genau die Gefahr, in die er sich stürzen muss, um endlich am eigenen Leibe ein Verderben zu erfahren und der Betäubung zu entkommen.
Was wie eine Campus-Novelle beginnt, wird zur labyrinthischen Erlösungssuche. So ungewöhnlich das bürgerlich biedere Setting für einen Roman von Denis Johnson, so vertraut das Personal aus Trauernden, Verlorenen, Verkommenden und die symbolische Befrachtung der Bilder.
Johnson, der so roh wie geschliffen schreiben kann, so derb wie zart, der Engel morden und Tagelöhner verzweifeln lässt, der uns so helle Schrecken auf die Haut jagen wie unabweisbare Traurigkeit ins Herz senken kann, hat sich Großes vorgenommen. Denn die Trauer, die er dieses Mal beschreibt, ist jenseits von brennendem Schmerz und Verzweiflung angesiedelt, sie ist nicht fiebrig sondern narkotisiert, ist ereignislose Trübnis. Fast langweilig. Michael Reed ist kein Selbstmordkandidat, keiner, der nah am Abgrund balanciert. Er ist eingebunden in die Mechanik des Lebens. Und vielleicht umso bedrohter. Hin und wieder beginnt man sich sogar als Leser zu fürchten vor dem Sog der Leere in diesem Mann. Und der gleichzeitigen Gier nach Leben.
Einmal verprügelt ihn ein Mann – fast ohne Grund. Es sei denn, er hat sich provoziert gefühlt von Reeds vulgärem Gerede, das ihn selbst überrascht. Ganz offenbar sucht er Händel, will angreifen, um angegriffen zu werden, um sich endlich einmal zu spüren.
Er beginnt, von Flower Cannon zu träumen. Und er beginnt, zu handeln. "Alles geschah, trotz seiner völligen Unmöglichkeit." Es kommt zu einer entscheidenden Begegnung. Einem Gespräch. Einer Erinnerung. Und endlich hat das Sinnieren ein Ende. Öffnet sich der Text. Wird weit, fremd und verrätselt. Bleiben Leerstellen für die Fantasie des Lesers. Man fühlt sich bedrängt, erregt, verwirrt, verliert die Orientierung, sucht nach Halt. Das ist bester Johnson - grandios, kraftvoll, poetisch und existenziell. "In unser aller Namen fühlte ich mich einsam."
Rezensiert von Gabriele von Arnim
Denis Johnson: Der Name der Welt
Übersetzt von Thomas Überhoff
Rowohlt Verlag 2007
143 Seiten, 14,90 Euro
Doch da ihm nichts wichtig ist und schon gar nicht das, was er tut, tut er fast nichts. Seit vier Jahren dümpelt Michael Reed durch die Tage und die Seminare, die er gibt. Sitzt hin und wieder auf gediegenen Abendessen bei Kollegen herum, wo er hin und wieder einen intelligenten Satz sagt.
Am häufigsten redet er mit Bill. Mit ihm führt er lange Gespräche. Von ihm fühlt er sich verstanden. Imaginär. Denn Bill ist Museumswärter, und ein Wort gewechselt hat er mit ihm noch nie. Aber Bill bewacht das Bild, zu dem es Michael Reed immer wieder zieht. Ein kleines exaktes Quadrat in der Mitte und drum herum in konzentrischen Linien zahlreiche weitere - mit unsicherer Hand gezeichnete - Quadrate, sodass jene ganz außen schließlich aussahen wie "riesige, chaotische Irrgänge".
Überall entdeckt Michael Reed sich und die Ausweglosigkeit seines Lebens. Selbst wenn er den Studenten beim Eislaufen zusieht, sieht er nur sich. Auf einmal haben sie alle sein Gesicht. Denn so wie sie ständig eine winzige Insel umkreisen, so kreist auch er um seine Vergangenheit.
Bis Flower Cannon auftaucht. Und er Gegenwart spürt. Eine schamlose, junge Person, die ihm als Cellistin, als Kellnerin, als Stripperin, als Kirchensängerin immer wieder – wie schicksalhaft - begegnet, eine Auferweckungsgöttin der unschicklichen Art. Und bedrohlich. Vielleicht genau die Gefahr, in die er sich stürzen muss, um endlich am eigenen Leibe ein Verderben zu erfahren und der Betäubung zu entkommen.
Was wie eine Campus-Novelle beginnt, wird zur labyrinthischen Erlösungssuche. So ungewöhnlich das bürgerlich biedere Setting für einen Roman von Denis Johnson, so vertraut das Personal aus Trauernden, Verlorenen, Verkommenden und die symbolische Befrachtung der Bilder.
Johnson, der so roh wie geschliffen schreiben kann, so derb wie zart, der Engel morden und Tagelöhner verzweifeln lässt, der uns so helle Schrecken auf die Haut jagen wie unabweisbare Traurigkeit ins Herz senken kann, hat sich Großes vorgenommen. Denn die Trauer, die er dieses Mal beschreibt, ist jenseits von brennendem Schmerz und Verzweiflung angesiedelt, sie ist nicht fiebrig sondern narkotisiert, ist ereignislose Trübnis. Fast langweilig. Michael Reed ist kein Selbstmordkandidat, keiner, der nah am Abgrund balanciert. Er ist eingebunden in die Mechanik des Lebens. Und vielleicht umso bedrohter. Hin und wieder beginnt man sich sogar als Leser zu fürchten vor dem Sog der Leere in diesem Mann. Und der gleichzeitigen Gier nach Leben.
Einmal verprügelt ihn ein Mann – fast ohne Grund. Es sei denn, er hat sich provoziert gefühlt von Reeds vulgärem Gerede, das ihn selbst überrascht. Ganz offenbar sucht er Händel, will angreifen, um angegriffen zu werden, um sich endlich einmal zu spüren.
Er beginnt, von Flower Cannon zu träumen. Und er beginnt, zu handeln. "Alles geschah, trotz seiner völligen Unmöglichkeit." Es kommt zu einer entscheidenden Begegnung. Einem Gespräch. Einer Erinnerung. Und endlich hat das Sinnieren ein Ende. Öffnet sich der Text. Wird weit, fremd und verrätselt. Bleiben Leerstellen für die Fantasie des Lesers. Man fühlt sich bedrängt, erregt, verwirrt, verliert die Orientierung, sucht nach Halt. Das ist bester Johnson - grandios, kraftvoll, poetisch und existenziell. "In unser aller Namen fühlte ich mich einsam."
Rezensiert von Gabriele von Arnim
Denis Johnson: Der Name der Welt
Übersetzt von Thomas Überhoff
Rowohlt Verlag 2007
143 Seiten, 14,90 Euro