Ende des Nachtzugverkehrs

Ein Zug wird nicht mehr kommen

"DB Nachtzug" in Frankfurt am Main
April 1999: Eine Zugbegleiterin stellt in Frankfurt am Main ein Schlafabteil in einem neuen "DB Nachtzug" vor. © picture alliance / dpa / Foto: Katja Lenz
Von Stephan Rammler |
Der Nachtzug der Deutschen Bahn führte Europa zusammen. Doch ob Verona, Paris oder Kopenhagen – eine Stadt nach der anderen wurde aus dem Fahrplan gestrichen. Es stirbt eine Reisekultur, ein Symbol, eine Kulturtechnik. Doch Totgesagte leben länger, meint der Mobilitätsforscher Stephan Rammler.
Jetzt ist es wohl endlich soweit. Die deutsche Bahn wird den Nachtzugverkehr nach Jahren des schleichenden Niedergangs nun endgültig einstellen. Damit geht nicht nur eine altbewährte Dienstleistung ihrem Ende zu. Es geht hier um mehr: Es stirbt eine Kulturtechnik, ein Symbol, ja eine ganze Reisekultur, die nicht nur Kontinente erfolgreich überspannte und zusammenführte, sondern über nun schon bald zwei Jahrhunderte auch als ein verlässlich funktionierender und geliebter Topos in Film und Literatur gefeiert wird.
Erst Verona, dann Triest, dann Paris, dann Kopenhagen. Eine Stadt nach der anderen wurde aus dem Fahrplan gestrichen und der Rest des dann überhaupt noch fahrbereiten Materials auf die letzten verbleibenden Strecken verteilt. "Das Material abfahren", so nennen das die Betriebswirtschaftler der Bahn. Sie sehen keine Perspektive für ein aus ihrer Sicht uraltes und überholtes Konzept angesichts immer billigerer Flugtickets. Das große Symbol ist zu klein in seinem Beitrag zum Konzernergebnis. Emissionen, Lärm, Streits um neue Startbahnen, war da nicht was?
Schließlich der Klimawandel – stimmt, war da nicht gerade auch was in Frankreich? Ja genau: Der Klimagipfel: 40.000 Menschen aus aller Welt fliegen mit dem klimaschädlichsten Verkehrsmittel überhaupt nach Paris, um darüber zu diskutieren, wie sich der Klimawandel schnellstmöglich eindämmen lässt. Irgendwie seltsam.
Warum das System nicht einfach modernisieren?
Ich stelle mir vor, es gäbe das Nachtzugsystem in Europa noch. Wie viele der europäischen Delegierten hätten bequem mit dem Zug anreisen können und nach einem schönen Erlebnis auch gleich mit einem guten Gefühl der Glaubwürdigkeit und der Stimmigkeit ihrer Handlungen mit ihren Forderungen nach mehr Klimaschutz in die Diskussion einsteigen können. Auch deswegen ist es so unzeitgemäß, dass die Deutsche Bahn gerade jetzt ihre Nachtzüge einstellt und die Verkehrspolitik dieses mit einer falschen Subventions- und Ordnungspolitik, die die Bahn behindert und benachteiligt, noch befördert, anstatt das gesamte System zu modernisieren und auszubauen. Neue Bauweisen, leichteres Material, bessere Geräuschdämmung, digitale Vernetzung, W-Lan, moderner Service und modernes Design, von mir aus auch ein automatischer elektronischer Lokführer – Nachtzüge könnten heute sehr modern sein und bei einem geeigneten Marketing auch für junge Zielgruppen eine schlaue Alternative zum Fliegen bieten.
Eine Eisenbahnkultur der Nachhaltigkeit
So wie überhaupt die Eisenbahnen wieder das zentrale Mobilitätssystem Europas werden könnten. Heute, knapp 200 Jahre nach ihrer Erfindung und ihrem Triumph in der frühen industriellen Moderne, ihrem anschließenden Niedergang in 100 Jahren Konkurrenz zum Auto und nach einem halben Jahrhundert, in denen ihnen das Flugzeug das Leben schwer machte. Waren Auto und Flugzeug Sinnbilder für eine Epoche der Beschleunigung, der Individualisierung, des oft blinden Wachstums und der Zersiedlung, so könnte die Eisenbahn nun Pate stehen für einen Take-off ganz anderer Art.
Es könnte eine Eisenbahnkultur der Nachhaltigkeit sein, die an die Stelle des dröhnenden rasenden Stillstands der Flugzeug- und Automoderne rückt: Als dicht und dauerhaft gesponnenes, stetig und gleichmäßig pulsierendes Netzwerk der Verbindungen und Möglichkeiten, der Synergien und der Kooperation für ein neues Zeitalter der Nachhaltigkeit und des stabilen Gleichgewichts.
Denn das ist die einzige Alternative zu Klimawandel und Erdölimperialismus, der die Flugzeug- und Autoflotten dieser Welt unter Feuer hält. Die Neuerfindung des Nachtzugs wäre ein Mosaikstein dieser Mobilitätstransformation. Vielleicht kommen Bahn und vor allem die staatliche Bahnpolitik ja noch zur Besinnung und ein weiteres Mal würde sich damit die alte Weisheit bestätigen: Totgesagte leben länger!
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