Ende des Wachstums in Barcelona

"Tourist go home"

Überfüllter Strand in Barcelona
Überfüllte Strände sind nur eines der Probleme, die Touristen in Barcelona verursachen. © imago / Christian Franz Tragni
Von Oliver Neuroth und Marc Dugge |
Barcelona ist bei Touristen so beliebt wie keine andere spanische Stadt. Jedes Jahr kommen rund 27 Millionen Besucher. Den Einwohnern macht der Gäste-Rummel zu schaffen. Die Stadt hat dem unregulierten Tourismus den Kampf angesagt. Und das hat Folgen.
Die "Rambla" ist in Barcelona so etwas wie das Epizentrum des Tourismus. Zehntausende Urlauber schieben sich mit Flip-Flops und Rollkoffern über die breite Promenade - vor allem in den Sommermonaten. Wirklich leer ist es aber auch in den anderen Jahreszeiten nicht. Zu den klassischen Barcelona-Urlaubern kommen zusätzlich immer mehr Passagiere von Kreuzfahrtschiffen, die einen Tagesstopp in der katalanischen Metropole machen.

Wo endet das Wachstum? Alle Folgen der Reihe hören Sie im Podcast der Weltzeit. Wir berichten unter anderem aus Singapur, Bolivien, Ecuador und Belgien.

Doch viele Einwohner von Barcelona wollen nicht länger zusehen, wie der Massentourismus ihre Stadt überrollt. Sie sagen: "Die Rambla gehört uns!" Wie der Rest der Innenstadt auch.
Touristen gehen am 21.07.2017 durch die Einkaufsstraße La Rambla in der Innenstadt von Barcelona (Spanien). Foto: Hauke-Christian Dittrich
Massen von Touristen schieben sich durch Barcelonas Einkaufsstraße La Rambla.© picture alliance / dpa / Hauke-Christian Dittrich
Vor etwa anderthalb Jahren gehen die Anwohner des Zentrums zum ersten Mal gegen die Urlauberflut auf die Straße - eine Gruppe von etwa 100 Menschen. Die Demonstranten strecken Touristen auf der Rambla Plakate entgegen mit Sätzen wie "Gebt uns unsere Stadt zurück" oder "Der Tourismus tötet Barcelona". Rodolfo und Minerva sagen:
"Diese Stadt entwickelt sich zu einem Freizeitpark des Kommerz und verliert ihre kulturelle und künstlerische Seele."
"Hier ist alles voller Touristen, sie vertreiben uns regelrecht. Wir kämpfen zum Beispiel für unser Recht auf bezahlbaren Wohnraum!"
Demonstration gegen Massentourismus und Kreuzfahrtschiffe in Barcelona.
Demonstration gegen Massentourismus und Kreuzfahrtschiffe in Barcelona - viele Bürger Barcelonas haben die Nase voll vom Massentourismus.© imago / ZUMA Press
Bei den meisten Urlaubern sorgen solche Aktionen für Kopfschütteln, zum Beispiel bei diesem Touristen aus Deutschland.
"Die Rambla ist nun mal die Flaniermeile hier in Barcelona, in Nordspanien. Da muss man einfach mit den Leuten leben, die hier das Geld herbringen."
Andere dagegen können die Einheimischen verstehen. Dieser Urlauber sagt: Ein Limit, eine Balance müsse her.
"They have to find a balance. It’s a question about balance, I think!"

"Eigentlich ist Tourismus eine gute Sache"

Die Touristenflut bringt Ada Colau in eine schwierige Situation. Die Bürgermeisterin von Barcelona will einerseits, dass die Bewohner der Stadt ein zufriedenes Leben haben - andererseits darf sie die Urlauber nicht verschrecken, was Gastronomen und Hoteliers gegen die Politikerin aufbringen würde. In einem Fernsehinterview brachte es Colau einmal so auf den Punkt:
"Tourismus ist eigentlich eine gute Sache. Alle wollen eine weltbürgerliche, offene Stadt. Solche Orte möchten Urlauber besuchen. In unserem Fall ist das aber außer Kontrolle geraten, in Barcelona herrscht Massentourismus. Darunter leiden vor allem die Viertel in der Innenstadt. Und das ist schlecht für alle."
Ada Colau (links) ist seit Juni 2015 Bürgermeisterin der Millionenstadt Barcelona.
Ada Colau (links) ist seit Juni 2015 Bürgermeisterin der Millionenstadt Barcelona. © dpa / picture alliance / Alberto Estevez
Die Stadtverwaltung hat vor ein paar Monaten eine Umfrage unter den Bewohnern zum Massentourismus gestartet: Jeder zweite wünscht sich demnach ein Urlauber-Limit - nämlich 49 Prozent. Bei einer ähnlichen Umfrage vor sechs Jahren waren es 25 Prozent, also jeder Vierte. Eine Idee von Bürgermeisterin Colau könnte den Tourismus tatsächlich spürbar eingrenzen: Die Stadt hat beschlossen, dass im Zentrum keine Hotels mehr gebaut werden dürfen. Mehr noch: Selbst wenn ein altes Hotel schließt, darf kein neues mehr einziehen. 33 konkrete Bauprojekte in Barcelona sind damit gestoppt. Die Zahl der angebotenen Hotelzimmer dürfte mittelfristig also deutlich sinken. Ihre Preise dagegen weiter steigen.

Gegen Billigtourismus - für "Qualitätstouristen"

Aber das ist ganz im Interesse der linken Bürgermeisterin. Sie will vor allem den Billigtourismus aus der Stadt verbannen. "Qualitätstouristen" sollen bleiben dürfen.
"Die Besucher möchten eine echte Stadt erleben. Eine Stadt, die freundlich zu ihren Einwohnern ist - mit niedrigen Mieten, mit Leben in den einzelnen Vierteln - und eine Stadt, die freundlich zu Gästen ist. Deshalb müssen wir zusehen, dass die Hotelbranche nicht weiter wächst - genauso wie die illegale Vermietung von Wohnungen."
Solche Sätze der Rathauschefin sind es, die die Demonstranten auf der Rambla hören wollen. Zum Beispiel Lola. Sie freut sich über den Hotel-Baustopp:
"Das ist eine großartige Nachricht. Denn so kann der Massenandrang auf das Zentrum vielleicht beendet oder zumindest besser kontrolliert werden."
Tausende Touristen genießen die Sonne am Strand von Barcelona.
Auch der Strand von Barcelona ist wegen vieler Touristen überfüllt.© picture alliance / dpa / Andreu Dalmau
So ruhig und friedlich wie die Gruppe rund um Lola, Rodolfo und Minerva protestieren nicht alle Tourismus-Gegner. Im vergangenen Jahr haben auch robustere Aktionen für Schlagzeilen gesorgt: Wie zum Beispiel jene, in der eine Gruppe Vermummter in Barcelona einen vollbesetzten Urlauberbus stoppt und ihn mit Farbe besprüht. "Tourismus tötet die Stadtteile" schreiben sie in großen Buchstaben auf die Frontscheibe. Verletzt wird niemand. Das Video der Aktion verbreitet sich rasend schnell im Internet. Ähnlich wie ein Clip aus Palma de Mallorca, wo Vermummte Rauchbomben in ein Restaurant werfen. Unterlegt sind die Anti-Tourismus-Clips im Internet mit Songtexten wie diesen:
"Massen von Touristen kommen, wir sind für sie nur Teil der Landschaft. Die Touristen merken gar nicht, was sie für schlimme Dinge anrichten."
Das Kreuzfahrtschiff "MSC Meraviglia" der Kreuzfahrtgesellschaft MSC Crociere verlässt am 21.07.2017 den Hafen von Barcelona (Spanien). Foto: Hauke-Christian Dittrich
Auch die Tagestouristen, die mit riesigen Kreuzfahrtschiffen nach Barcelona kommen, sorgen in der Stadt für Unmut und Überfüllung.© picture alliance / dpa / Hauke-Christian Dittrich
Die Stimmung heizt sich im Sommer vergangenen Jahres immer weiter auf - immer wieder tauchen touristenfeindliche Schriftzüge an Wänden oder Mauern in Barcelona auf. Kommunalpolitiker verurteilen die Radikalen: "Gegen den Tourismus zu protestieren, kann niemals bedeuten, Personen zu bedrohen oder Gegenstände zu beschädigen", schreibt Barcelonas Bürgermeisterin Colau auf Twitter. Andere Politiker spielen die Vorfälle herunter und sprechen von "isolierten Taten", die keinesfalls die Stimmung der Bewohner der Stadt ausdrücke.

Tourismus - der wichtigste Industriezweig Spaniens

Auch die spanische Zentralregierung schaltet sich im August 2017 ein: Der damalige Ministerpräsident Rajoy sieht das Image des Landes im Ausland bedroht. Außerdem tausende Arbeitsplätze: Nach Rajoys Worten ist das Geschäft mit Urlaubern der wichtigste Industriezweig Spaniens.
"Zweieinhalb Millionen Menschen in Spanien arbeiten im Tourismussektor, er macht 13 Prozent des gesamten Arbeitsmarkts aus. Der Tourismus sorgt für Reichtum, für Arbeit und Wohlstand. Ihn anzugreifen, wie es nun einige tun, ist Unsinn."
Der spanische Premierminister Mariano Rajoy in Barcelona am 12.11.2017
"Der Tourismus sorgt für Reichtum" - sagte Spaniens Ex-Ministerpräsident Mariano Rajoy.© AFP/Pau Barrena
Doch die Aktionen gehen weiter, die Randalierer haben es offenbar auf weite Teile der touristischen Infrastruktur abgesehen: Vor einem Fahrradverleih in Barcelona, der bei Urlaubern beliebt ist, zerstechen Unbekannte die Reifen der Räder. Mitarbeiter Joan Mohedano konnte seinen Augen nicht trauen, als er eines morgens eine Handvoll Platten zu flicken hatte.
"Es gab weder eine Art Bekennerschreiben noch einen anderen Hinweis, wer dahinter stecken könnte. Deshalb können wir nicht sagen, ob es die Gruppe 'Arran' war, die für ähnliche Aktionen verantwortlich ist."

Radikale Anti-Urlauber-Aktionen

"Arran" ist eine linke Organisation, die Jugendabteilung der radikalen katalanischen Unabhängigkeitspartei CUP. Sie sieht nicht nur in der Verbindung zu Spanien ein Übel - auch in der Flut an Touristen aus allen Teilen der Welt. Arran bekennt sich offen zu einigen Anti-Urlauber-Aktionen. Die Gruppe will nach ihrer Darstellung vor allem auf die schwierige Wohnsituation in den Städten aufmerksam machen, die bei Urlaubern beliebt sind - auf die explodierenden Mietpreise, gerade in Barcelona. Gerade für junge Menschen sei das Wohnen in der Nähe des Zentrums kaum bezahlbar. Die Mieten sind in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen.
Graffiti "Tourist go home" an einer Säule in Barcelona.
"Tourist go home" - an vielen Stellen in Barcelona finden sich Anti-Tourismus-Graffiti.© imago / ZUMA Press
Viele Immobilienbesitzer vermieten ihre Zimmer nur noch an Touristen - über Vermittlungsportale wie Airbnb oder Wimdu. So verdienen sie mehr Geld als mit langfristigen Mietverträgen. Wer seine Wohnung an Urlauber vergibt, braucht in Barcelona eine spezielle Lizenz. Doch die Stadt stellt seit Jahren keine neuen mehr aus. Fast 4.000 Wohnungsbesitzer scheint das nicht zu stören - sie bieten ihre Zimmer trotzdem über die Portale an.

Kontrolle von Airbnb

Die Stadt wollte das vor etwa einem Jahr stoppen und verkündete Geldstrafen von 600.000 Euro gegen Airbnb und Co. Aber ein Gericht hob diese Strafen wieder auf. Airbnb hat sich immerhin mittlerweile bereit erklärt, Wohnungen ohne Lizenz aus dem Angebot zu nehmen. Um eben diese illegalen Touristenunterkünfte aufzuspüren, hat die Stadt eine Spezial-Einsatz-Gruppe gegründet, die verbotene Ferienwohnungen aufspüren soll. Das Lagezentrum ist nicht leicht zu finden. Es liegt versteckt im Busbahnhof von Barcelona. In einem Hinterzimmer, als würde es zur Geheimpolizei gehören. Aber um detektivische Ermittlungen geht es hier ja auch. Ricard Barrera, Chef der Zivilkräfte von Barcelona:
"In erster Linie sind wir Sammler von Beweisen. Dafür, dass es sich bei einer Wohnung wirklich um eine illegale Touristenwohnung handelt. Wir sehen uns die Anzeigen auf den Internetplattformen genauer an, prüfen, ob die Wohnungen offiziell registriert sind. Und wenn wir uns 100prozentig sicher sind, dass es sich um eine illegale Wohnung handelt, melden wir das der Stadtverwaltung, damit die ein Verfahren einleitet."

Inspektoren auf der Spur von illegalen Wohnungen

In dem Großraumbüro sitzen junge Menschen vor Bildschirmen. Darauf: Verschiedene Buchungsseiten im Internet. Mitarbeiter Walter:
"Hier haben wir jetzt eine Wohnung. Jetzt schaue ich mir das Angebot genauer an – und ob sie die Nummer ihrer Lizenz angeben."
Die Lizenz, um seine Wohnung an Touristen zu vermieten, hat vermutlich nur die Hälfte der Anbieter. Walter vergleicht die Wohnungsfotos auf der Webseite mit Satellitenaufnahmen der Straße. Auf welches Gebäude schaut die Wohnung? Ist sie wahrscheinlich im zweiten Stock oder im dritten? Walter macht er sich Notizen, zieht sich eine Signalweste an, holt seine Kollegin Maria José – und geht mit ihr vor die Tür.
"Wir gehen jetzt durch das Viertel und suchen neue Touristenwohnungen – und zwar indem wir einfach mit den Nachbarn reden!"

"Nein, keine Touristenphobie"

Die beiden wissen, dass viele in Barcelona genervt sind von den Touristenwohnungen. Doch Maria José will das nicht überbewerten:
"Es gibt hier keine Touristenphobie, nein. Wir haben immer viele Touristen gehabt, Barcelona ist eine sehr offene Stadt, nie gab es Probleme. Aber wenn das jedes Maß überschreitet, kein Benehmen mehr herrscht, sich die Mieten verdreifachen und die Anwohner in andere Viertel ziehen müssen: Dann stört das die Menschen!"
"Mir geht das ja auch so", sagt Walter. "Ich lebe direkt im Zentrum von Barcelona, nahe der Kathedrale. Bis vor zehn Jahren war das ein sehr ruhiges Viertel, meine Großeltern haben schon in meinem Haus gewohnt, alle Nachbarn kannten sich. In den vergangenen zehn Jahren hat das Viertel dann aber einen brutalen Wandel erlebt."

15.000 Touristenwohnungen in Barcelona

Von den früheren Nachbarn sei kaum noch einer da. In Traditionsgeschäfte seien vor allem Souvenirläden eingezogen - und in die Wohnungen Touristen. Die wenigsten würden davon von Privatleuten vermietet, sagt Walter, sondern meist von großen Unternehmen geführt. Sage und schreibe 15 000 Touristenwohnungen soll es in Barcelona geben. An einem Hauseingang bleibt Walter stehen und fragt einen älteren Herrn, ob hier Touristenwohnungen seien.
"Die sind hier überall…ein Desaster!", sagt der.
Walter zückt sein Smartphone. In einer App kann er überprüfen, ob hier Touristenwohnungen gemeldet sind. Der Rentner klagt unterdessen sein Leid. Erzählt von dem, was sich hier in den Nachbarwohnungen abspielt – von denen er längst nicht mehr die Eigentümer kennt. Einmal gab es so viel Lärm, erzählt er, dass ein Anwohner die Polizei rief:
"Die Polizei hat dann aus der Wohnung zwanzig Leute rausgeholt, alle nackt! Denen wurde noch nicht mal Gelegenheit gegeben, sich anzuziehen! Auf die Straße", hieß es. Komplett nackt! Die Männer wie die Frauen!"
Viele Menschen erzählen solche Geschichten in Barcelona. Immerhin: Seit Zivil-Inspektoren wie Walter und Maria José die Straßen durchkämmen, ist die Zahl der entdeckten illegalen Wohnungen deutlich gestiegen. Im Stadtteil Barceloneta gebe es aktuell mindestens 800, sagt Manel Martinez. Er ist der Chef eines Nachbarschaftsvereins, der gegen die illegale Ferienvermietung kämpft. Jede zehnte Wohnung in dem Viertel am Strand werde somit zweckentfremdet, rechnet Manel vor. Hat sich die Lage immerhin etwas entspannt, seitdem die Stadt genauer kontrolliert?
"Por desgracia no. Lo que pasa es que se ha profesionalizado."

60.000 Euro Strafe für illegales Vermieten

Leider nicht, meint Manel. Die Branche habe sich sogar noch professionalisiert. Investoren würden gleich ganze Wohnblocks aufkaufen und die einzelnen Apartments an Urlauber vergeben, ein Riesengeschäft. Der Nachbarschaftsverein beobachtet, dass sich vor allem Sauftouristen in solche Wohnungen einquartieren. Ein Klientel, das nachts laute Partys feiert und sich auf der Straße gerne mal daneben benimmt, sagt Manel. Er schlägt folgende Lösung des Problems vor:
"Es müssen andere Orte gefunden werden, an denen sich dieses Publikum aufhält. Die Tourismus-Industrie sollte sich für diese Leute weiterentwickeln. Der Tourismus hier bei uns muss einfach die Werte der Stadt respektieren."
Ein Vorstoß des Nachbarschaftsvereins von Barceloneta zusammen mit einigen Hotels der Stadt hat kaum etwas bewirkt: Die Plakat-Kampagne hieß "Hotelzimmer für Touristen - Wohnungen für Nachbarn". Hoffnung macht den Gegnern der illegalen Ferienvermietung in Barcelona die Tatsache, dass die Stadtverwaltung die Sanktionen heraufgesetzt hat. Wer eine illegale Touristen-Wohnung betreibt und erwischt wird, muss bis zu 60.000 Euro zahlen.
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