Ende eines Handelsbündnisses

Das letzte Treffen der Hanse

Der Stahlhof, die Handelsniederlassung der Hanse in der Thames Street in London, Ausschnitt eines historischen Kupferstiches aus dem 17. Jahrhundert, auf dem Bild markiert als Gebäudekomplex Nr. 55
Der "Stalhof", die Londoner Handelsniederlassung der Hanse, auf einem historischen Kupferstich © picture-alliance / akg-images
Von Winfried Dolderer |
Vor 350 Jahren versammelten sich im Lübecker Rathaus die Abgesandten von neun norddeutschen Städten. Sie vertraten die Städte der Hanse, die im späten Mittelalter den Nord- und Ostseeraum beherrschten. Eine Zukunft hatte die Hanse 1669 aber nicht mehr.
Sie hatten eine prall gefüllte Tagesordnung, die Vertreter Hamburgs, Bremens, Danzigs, Rostocks sowie fünf weiterer Hansestädte, die sich am 29. Mai 1669 im Lübecker Rathaus versammelten. Das letzte vergleichbare Treffen lag bereits vier Jahrzehnte zurück. Mittlerweile war der Dreißigjährige Krieg zu Ende gegangen. Die gemeinsame Niederlassung der Hanse in London, der Stalhof mit seinen Geschäfts-, Lager- und Wohnräumen für die deutsche Kaufmannschaft, war 1666 abgebrannt. Zu entscheiden war über den Wiederaufbau, ferner über die Ernennung eines Syndikus als Geschäftsführer der Hanse sowie nach den Worten der Lübecker Historikerin Angela Huang nicht zuletzt über einen neuen Konföderationsvertrag: "Was deutlich wird, ist, dass die vordringlichsten Punkte (…) das Londoner Kontor, also (…) der Stalhof, waren und die Konföderation der Hansestädte, das nimmt den meisten Raum ein neben der Beratung auch von finanziellen Fragen."

Mehr als 300 Jahre Handelstradition

Nach zähem Feilschen gelang immerhin eine Einigung über den Stalhof. Der englische König hatte Druck gemacht und gedroht, das Ruinengrundstück an der Themse zu enteignen.
"Letzten Endes beschließt man dann aber, dass Hamburg den Stalhof wiederaufbauen soll, allerdings im Namen der Gemeinschaft und ohne dass die Rechte der anderen Städte davon berührt wurden."
Die Delegierten, die 1669 im Lübecker Rathaus 18 Sitzungen miteinander verbrachten, standen am Ende einer mehr als drei Jahrhunderte zurückreichenden Tradition. Der erste Hansetag hatte 1356 stattgefunden, als das Handelsbündnis der norddeutschen und Ostseestädte im Zenit seiner Macht stand. Zur Debatte stand damals ein Konflikt mit der Grafschaft Flandern, die die Privilegien der Hanse-Kaufleute in Brügge beschneiden wollte. Die Hanse pflegte in solchen Fällen ein Handelsembargo zu verhängen, mit dem sie die jeweils gegnerische Partei in der Regel in die Knie zwang. Auch Brügge gab nach einigen Jahren klein bei. Dem ersten Treffen der hansischen "Ratsendeboten" folgten in unregelmäßigen Abständen weitere, in der Regel in Lübeck.

Über 170 Hansetage insgesamt

"Wir gehen derzeit davon aus, dass es etwas über 170 Hansetage gab, allerdings mit abnehmender Frequenz. (…) In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts finden sehr viele Hansetage statt. Das nimmt dann im 16. Jahrhundert allmählich ab und wird (…) schließlich im 17. Jahrhundert durch den Dreißigjährigen Krieg auf (…) ganz wenige Tagfahrten reduziert. Zwischen 1629 und 1669 findet dann (…) gar kein Hansetag mehr statt."
Die Geschichte der Hansetage spiegelte somit das Schicksal des Handelsbündnisses selber. An dessen Anfang standen genossenschaftliche Zusammenschlüsse von Kaufleuten, die auf auswärtigen Märkten, in Russland, Skandinavien, England, Flandern, gemeinsame Interessen schützen und privilegierte Geschäfte treiben wollten. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts war daraus ein Städtebund hervorgegangen, der den gesamten Handel auf der Achse zwischen Nowgorod, Brügge und London kontrollierte und, wenn es sein musste, auch erfolgreich Krieg führte gegen Großmächte seiner Zeit.

Monarchien läuten Niedergang der Hanse ein

Der Niedergang setzte ein, als sich das politische Umfeld änderte. Die Stabilisierung monarchischer Herrschaft in der frühen Neuzeit ging auf Kosten städtischer Autonomie. Das Geschäftsmodell der Hanse, das auf exklusiven Handelsprivilegien beruhte statt auf dem Prinzip eines freien Warenaustauschs, geriet unter Druck. Auch der innere Zusammenhalt des Bündnisses wurde brüchig. Mehr "umbra" als "res ipsa", mit anderen Worten, nur noch ein Schatten ihrer selbst sei die Hanse, konstatierten 1669 die Stadtväter von Wismar. War das Ende also absehbar?
"Rückblickend sehen wir natürlich gerne, dass das ja klar war, dass es sich lange angebahnt hat, dass dies der letzte Hansetag sein sollte. Das war den teilnehmenden Delegierten nicht bewusst. Man war sich durchaus bewusst, dass die Hanse nach dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr in dem Zustand war wie zuvor, dass man also die Hanse wieder aufrichten wollte. (…) Doch werden viele Punkte auch explizit auf einen nächsten Hansetag (…) verschoben. (… ) Insofern wird aus den Protokollen selber (…) sehr klar deutlich, dass man hier keinen Endpunkt gesehen hat."
Einen weiteren Hansetag hat es dann allerdings nicht mehr gegeben. Für eine neue Konföderation, die Wiederherstellung des alten Glanzes, die Verwirklichung der großen Vorsätze des Delegiertentreffens von 1669 fehlte die Kraft.
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