Ende mit Totalschaden
Marcel Duchamp als Ehemann: Über diese Rolle des Künstlers ist bislang wenig bekannt. Die Industriellentochter Lydie Fischer Sarazin-Levassor, die 1927 acht Monate lang mit ihm verheiratet war, hat die Erinnerungen an diese für sie sehr schmerzhafte Zeit niedergeschrieben.
Wir kennen ihn als genialen Künstler, als Leitfigur der Avantgarde, als Erfinder des Readymades, als leidenschaftslosen Denker und sogar als Schachspieler. Nur als Ehemann war Marcel Duchamp bisher nicht weiter aufgefallen. Dabei hat die Industriellentochter Lydie Fischer Sarazin-Levassor, die 1927 acht Monate lang mit ihm verheiratet war, ihre Erinnerungen an diese für sie sehr schmerzhafte Zeit niedergeschrieben. Allerdings erst 50 Jahre danach, anlässlich einer Retrospektive des Künstlers im Centre Pompidou. Merkwürdigerweise blieb dieses erstaunliche Dokument jahrzehntelang unveröffentlicht. Erst 2004 erschien die französische Originalausgabe, nun liegt die Übersetzung vor.
Ihre kurze gemeinsame Zeit – von fast allen Biografen als Nebensache in zwei Sätzen abgehandelt – schildert Lydie Fischer Sarazin-Levassor als rasante Fahrt, die nur als Totalschaden für sie enden konnte. Zu unterschiedlich waren die beiden Persönlichkeiten, zu unterschiedlich vor allem ihre Heiratsmotive. Duchamp schwebte eine reine Versorgungsehe vor. Davon allerdings ahnte die 24-jährige Lydie nichts, als sie sich vom Fleck weg in den 16 Jahre älteren und damals schon bekannten Künstler verliebte. Aber nicht nur sie war ahnungslos, auch er ging von falschen Voraussetzungen aus: Lydies großbürgerliche Familie hatte weniger Geld als vermutet, die kleine Leibrente für ihre Tochter fiel bescheiden aus. Duchamp hatte sich gründlich verrechnet.
Dennoch verläuft die erste gemeinsame Zeit glücklich. In den Flitterwochen zieht das Paar von einem Pariser Restaurant zum nächsten, oftmals in Begleitung von Freunden und Künstlerkollegen wie Francis Picabia, Kiki de Montparnasse, Constantin Brancusi oder Man Ray, der übrigens die Hochzeit gefilmt hatte. Der asketische Duchamp zeigt sich hier erstaunlich sinnenfroh. Doch im Ehealltag entpuppt sich der Künstler, der sich damals vor allem dem Schachspiel widmet, als extrem narzisstischer und launischer Einzelgänger. Lydie kann ihm intellektuell nicht das Wasser reichen. Sie kennt sich in der Kunstwelt nicht aus und lauscht verständnislos seinem künstlerischen Credo: Geldverdienen sei ein Zwang, von dem sich der Künstler zu befreien habe.
Da Duchamp auch für den Kunstmarkt nur Verachtung übrig hat, wird die Situation für die beiden finanziell zunehmend prekär. Hinzu kommt die räumliche Enge seines gemeinsam bewohnten 30 Quadratmeter großen Ateliers. Duchamp hält die Nähe schließlich nicht mehr aus und begegnet seiner Frau nur noch mit Härte und "chirurgischer Kaltblütigkeit". Was sie für eine vorübergehende Störung halten möchte, ist das Ende: Duchamp besteht auf einer sofortigen Scheidung.
"Marcel wollte ein Reisender ohne Gepäck sein", schreibt Lydie Fischer Sarazin-Levassor in ihren äußerst unterhaltsamen, aufschlussreichen und erst gegen Ende bitter zu lesenden Erinnerungen. Dass er auch sie als Ballast empfand, wurde ihr zu spät bewusst. Dennoch schreibt sie 50 Jahre später ohne jegliches Ressentiment oder Rachegefühl. Lesenswert ist auch das ausgezeichnete Nachwort Herbert Molderings, das diese Ehe in Duchamps Biografie einordnet.
Besprochen von Eva Hepper
Lydie Fischer Sarazin-Levassor: Meine Ehe mit Marcel Duchamp
Aus dem Französischen von Isolde Schmitt
Nachwort: Herbert Moldering
Piet Meyer Verlag, Wien 2010
320 Seiten, 26 Abbildungen, 26,50 Euro
Ihre kurze gemeinsame Zeit – von fast allen Biografen als Nebensache in zwei Sätzen abgehandelt – schildert Lydie Fischer Sarazin-Levassor als rasante Fahrt, die nur als Totalschaden für sie enden konnte. Zu unterschiedlich waren die beiden Persönlichkeiten, zu unterschiedlich vor allem ihre Heiratsmotive. Duchamp schwebte eine reine Versorgungsehe vor. Davon allerdings ahnte die 24-jährige Lydie nichts, als sie sich vom Fleck weg in den 16 Jahre älteren und damals schon bekannten Künstler verliebte. Aber nicht nur sie war ahnungslos, auch er ging von falschen Voraussetzungen aus: Lydies großbürgerliche Familie hatte weniger Geld als vermutet, die kleine Leibrente für ihre Tochter fiel bescheiden aus. Duchamp hatte sich gründlich verrechnet.
Dennoch verläuft die erste gemeinsame Zeit glücklich. In den Flitterwochen zieht das Paar von einem Pariser Restaurant zum nächsten, oftmals in Begleitung von Freunden und Künstlerkollegen wie Francis Picabia, Kiki de Montparnasse, Constantin Brancusi oder Man Ray, der übrigens die Hochzeit gefilmt hatte. Der asketische Duchamp zeigt sich hier erstaunlich sinnenfroh. Doch im Ehealltag entpuppt sich der Künstler, der sich damals vor allem dem Schachspiel widmet, als extrem narzisstischer und launischer Einzelgänger. Lydie kann ihm intellektuell nicht das Wasser reichen. Sie kennt sich in der Kunstwelt nicht aus und lauscht verständnislos seinem künstlerischen Credo: Geldverdienen sei ein Zwang, von dem sich der Künstler zu befreien habe.
Da Duchamp auch für den Kunstmarkt nur Verachtung übrig hat, wird die Situation für die beiden finanziell zunehmend prekär. Hinzu kommt die räumliche Enge seines gemeinsam bewohnten 30 Quadratmeter großen Ateliers. Duchamp hält die Nähe schließlich nicht mehr aus und begegnet seiner Frau nur noch mit Härte und "chirurgischer Kaltblütigkeit". Was sie für eine vorübergehende Störung halten möchte, ist das Ende: Duchamp besteht auf einer sofortigen Scheidung.
"Marcel wollte ein Reisender ohne Gepäck sein", schreibt Lydie Fischer Sarazin-Levassor in ihren äußerst unterhaltsamen, aufschlussreichen und erst gegen Ende bitter zu lesenden Erinnerungen. Dass er auch sie als Ballast empfand, wurde ihr zu spät bewusst. Dennoch schreibt sie 50 Jahre später ohne jegliches Ressentiment oder Rachegefühl. Lesenswert ist auch das ausgezeichnete Nachwort Herbert Molderings, das diese Ehe in Duchamps Biografie einordnet.
Besprochen von Eva Hepper
Lydie Fischer Sarazin-Levassor: Meine Ehe mit Marcel Duchamp
Aus dem Französischen von Isolde Schmitt
Nachwort: Herbert Moldering
Piet Meyer Verlag, Wien 2010
320 Seiten, 26 Abbildungen, 26,50 Euro