Endlager für den Atommüll

Planungen für tausend Jahrtausende

Gelbe Fässer mit radioaktivem Abfall stehen am 6. Mai 2015 neben einem Weg im Zwischenlager der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe (WAK) in Eggenstein-Leopoldshafen (Baden-Württemberg).
Fässer mit radioaktivem Abfall im Zwischenlager Karlsruhe © dpa / picture-alliance / Wolfram Kastl
Von Nadine Lindner |
Eine Million Jahre muss der Atommüll eingelagert werden - und wir wissen noch nicht einmal, wo. Wie kann man einen solchen Zeitraum überblicken? Politik und Wissenschaft suchen nach Antworten.
"Worüber reden wir hier? Wir reden über Science Fiction und müssen es verantworten. Das geht eigentlich gar nicht."
Was passiert mit dem Atommüll, wenn es in einer Million Jahre vielleicht keine Menschen mehr gibt? Was, wenn die nächste Eiszeit kommt? Was werden wohl unsere Nachfahren denken, wenn sie mit unseren Altlasten konfrontiert werden?
"Ich halte es für Blasphemie zu sagen, was in einer Million Jahre ist. Aus meiner Sicht kann niemand sagen, beispielsweise welche Folgen die Klimaänderung für die gesamten geologischen Formationen hat."
Robert Habeck und Michael Müller sind Mitglieder der Endlager-Kommission des Bundestags. In den vergangen zwei Jahren haben sie, gemeinsam mit 32 anderen Politikern und Wissenschaftlern, einen Steckbrief für ein Endlager von hoch radioaktivem Atom-Müll erstellt.
Ihr Ergebnis: es müssen Entscheidungen für den Verlauf von einer Millionen Jahre getroffen werden.
Eine Zahl, die im Kopf hängen bleibt. 2.000 Jahre, die Zeit von Christi Geburt, sind im Abendland eine Bezugsgröße, die wir vielleicht noch irgendwie nachzuvollziehen können.
Aber wie gehen Vertreterinnen und Vertreter von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft mit dieser abstrakten Herausforderung um? Eine Millionen Jahre. Vier Herangehensweisen.
Nummer eins: Verantwortung für die eigene Generation
Das heißt: wir haben von der Atomkraft profitiert, also müssen wir uns auch um die Folgen kümmern. Das findet Robert Habeck, grüner Umweltminister aus Schleswig-Holstein:
"Unsere Generation, auch wenn wir in Teilen dagegen waren, hat diesen Schlamassel angerichtet. Wir müssen den auch beseitigen. Das ist unsere Pflicht und Schuldigkeit."
Robert Habeck ist jetzt Mitte 40, mit Atomstrom aufgewachsen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er in 15, 20 Jahren die Standortentscheidung noch als aktiver Politiker miterlebt und den Bürgern erklären muss, ist relativ groß. Aber es hilft nichts, sagt Habeck.
"Aber wir kommen als Gesellschaft nicht weiter, wenn alle immer nur Angst haben."
Nummer zwei: Gelassenheit und Professionalität
Dazu rät Ulrich Kleemann, er war als Wissenschaftler in der Kommission. Er hat über geologische Tiefenbohrungen promoviert – sein ganzes Berufsleben lang beschäftigt er sich damit, wie unterirdische Lagerung sicher funktionieren kann.
"Ich bin Geologe und für einen Geologen ist das ein kleiner Zeitraum. Da ist man gewohnt, über längere Zeiträume zu diskutieren."
Geologische Formationen verändern sich nicht so schnell – sagt Kleemann. Das gelte für alle drei Gesteinsformen, die für die Endlagerung geeignet seien. Ton, Salz oder Granit. Was sich wandeln wird, sind die Menschen und die Gesellschaften, in denen sie leben.
"In der Erdgeschichte ist eine Million Jahre sehr wenig. Aber man kann natürlich jetzt sehr schwer Prognosen darüber anstellen, wie sind die gesellschaftlichen Voraussetzungen? Gibt es überhaupt eine Menschheit?"
Welche Sprache werden die Menschen sprechen? Werden sie die Sicherheitshinweise, die wir heute schreiben, lesen können? Auch das muss mit bedacht werden.
Nummer drei: Fehlerkorrektur
Wir müssen die Möglichkeit schaffen, dass falsche Entscheidungen von heute auch wieder korrigiert werden können.
Darauf pocht Michael Müller. Der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete ist Ko-Vorsitzender der Kommission. Ein linker Umweltpolitiker, ein Wachstumskritiker, der sich in der Vergangenheit intensiv mit den Auswirkungen des Kapitalismus auf die Umwelt beschäftigt hat.
Salzstock Gorleben, 840 Meter Tiefe, Blick auf den Fahrstuhl, bergmännisch: die Seilfahrtanlage
Salzstock Gorleben, 840 Meter Tiefe: Wenn das Endlager gefunden ist, muss der Atommüll spätestens in 500 Jahren wieder an die Oberfläche© Deutschlandradio / Axel Schröder
"Zukunftsethik ist etwas, das heißt, ich muss vorentscheiden. Über alle Eventualitäten versuchen nachzudenken. Ich muss klar definieren, was auch mein Nicht-Wissen ist."
Der Atommüll muss in 500 Jahren wieder herausgeholt werden können, das ist eine Bedingung, die in dem Bericht festgeschrieben wurde.
"Und wir müssen, wo immer es geht, Dokumentations- und Korrektur-Mechanismen einbauen. Um eben mit unserem begrenzten Wissen umgehen zu können."
Mit dem Korrekturmechanismus versuchen sich alle in der Kommission ein wenig zu beruhigen. Da schwingt auch die Hoffnung mit, dass es vielleicht in der Zukunft bessere technische Möglichkeiten gibt, mit dem strahlenden Müll umzugehen.
Ab der Einlagerung ist 500 Jahre lang Zeit, um mögliche Fehler von heute zu korrigieren. Viel länger hält das Material der Gefäße, in denen der Atommüll aufbewahrt wird, nicht durch. Dabei geht es um Keramik, Glas und Edelstahlbehälter.
Nummer vier: Disziplin und langer Atem
Eine der größten Gefahren im Umgang mit Atommüll liegt schlicht in der Unachtsamkeit der Menschen, sagt Armin Grunwald. Er ist technischer Leiter beim Büro für Technik-Folgen-Abschätzung des Bundestags, war auch Mitglied der Endlagerkommission. Wenn das Endlager erst mal gefunden sei, müsse es äußerst sorgfältig ausgebaut werden.
"Und da könnte ich mir vorstellen, dass dann doch eine gewisse Betriebsblindheit einkehrt, eine gewisse Nachlässigkeit, eine gewisse Sorglosigkeit. Weil das Interesse nachgelassen hat, sobald man denkt, das wird schon alles, da wird gesorgt, dann kümmert man sich nicht mehr."
Eine Million Jahre soll der Müll sicher lagern. Damit das gelingt, kommt es auf die nächsten 30, 40 Jahre an, denn in dieser Zeit wird der Standort ausgesucht und gebaut. Grunwald sagt, dass jetzt über das Endlager geredet werde, aber das Interesse könne auch schnell wieder abflauen und dann schaue vielleicht in zehn Jahren niemand mehr so genau hin.
Mehr zum Thema