Streit um Frankreichs Atommüll
Die französischen Grünen sind erzürnt, ebenso Politiker in Luxemburg und Deutschland. Das grenznahe Atommüllendlager im lothringischen Bure sollte klammheimlich beschlossen werden. Trotz Veto des Verfassungsrats soll 2017 die Pilotphase beginnen.
Eine Kirche, ein Dutzend Häuser, überwiegend Bauernhöfe, 93 Einwohner. In Bure, einem winzigen Ort im Osten Frankreichs, kommt niemand vorbei, wenn er keinen triftigen Grund hat. Den atomaren Endlagerplänen stehen die Menschen der Region eher gleichgültig gegenüber. Sie hätten ihnen auch nichts entgegen zu setzen, sagen Aktivisten der Anti-Atombewegung. Tagelang hat Miriam Claudon vor den Toren des atomaren Versuchslabors in Bure ausgeharrt.
"Es sind sehr wenige, gerade mal sechs Einwohner pro Quadratkilometer, es gibt für sie nichts zu tun und es ist sehr viel Geld im Spiel. Gelände wurde aufgekauft, die Dörfer runderneuert, Kirchen, Rathäuser, Straßen renoviert. Die Bewohner spüren, sie haben es mit einer mächtigen Institution zu tun."
Die Andra, die für radioaktive Abfälle zuständige Behörde in Frankreich, hat sich nicht lumpen lassen. Neben dem atomaren Versuchslabor, dessen Herz nicht überirdisch sondern unter Tage schlägt, steht ein Besucherzentrum und inzwischen auch ein nagelneues 3-Sterne-Hotel. Bure ist als einziger Standort für die Lagerung hochradioaktiven Mülls übrig geblieben. Anderswo hatten die Proteste der Anwohner, der Bauern und Winzer die Pläne schon früh im Keim erstickt. Der Sprecher der Andra, Marc-Antoine Martin, leugnet nicht, dass sich die Atombehörde die Bescheidenheit der Menschen vor Ort zu Nutze macht.
"Es gib einige Stimmen, na ja, die sind dagegen, aber mehrheitlich ist die Region der Auffassung, dass es von Vorteil ist, die radioaktiven Abfälle hier zu lagern."
Abstimmung mit der Vertrauensfrage verknüpft
Die politische Umsetzung des Projektes war jedoch ins Stocken geraten. Das änderte sich erst im Juli dieses Jahres. Ohne jegliche Ankündigung und ohne parlamentarische Debatte wurde die Endlagerfrage im Rahmen eines Gesetzes über wirtschaftliche Reformen entschieden. Weil die Regierung für diese Reformen in den eigenen Reihen keine Mehrheit hatte, verknüpfte sie die Abstimmung über das Gesetz mit der Vertrauensfrage. Die Zustimmung war ihr also gewiss und ohne inhaltliche Diskussion war es möglich, auch andere heikle Angelegenheiten durchs Parlament zu bringen. Den Grünen fiel es auf.
"Bure in der Champagne wird zum nuklearen Mülleimer Frankreichs."
Denis Baupin, Vizepräsident der Nationalversammlung, wollte sich mit der Art und Weise wie Artikel 201 durchgepaukt wurde nicht abfinden. Schließlich beschreibt das Gesetz den Übergang von der Laborphase zur industriellen Pilotphase. Spätestens 2017 soll die endgültige Lagerung radioaktiver Abfälle in Frankreich konkret werden. Dabei seien noch zahlreiche Fragen ungeklärt und auch über die Kosten sei noch nichts bekannt, argumentiert Baupin:
"Dieses Dossier ist nicht ausgereift, das sagen nicht wir, sondern das sagt selbst die Atombehörde, denn wir kennen die Kosten des Projektes nicht. Das wurde noch einmal im Wirtschaftsausschuss unterstrichen, dort haben die Experten der Atomwirtschaft von astronomisch hohen Kosten gesprochen. Irgendetwas zwischen 16, 32 oder 40 Milliarden, wir wissen nicht was es kostet."
Heimlichtuerei nicht demokratisch, Gesetz aufgeschoben
Die Grünen riefen deshalb den Verfassungsrat an und hatten Erfolg. Ende der vergangen Woche hat der Rat Artikel 201 wieder aus dem Gesetz gestrichen, weil die Heimlichtuerei mit der er zustande gekommen sei eben nicht den demokratischen Spielregeln entspreche. Umgehend hat der französische Regierungschef Manuel Valls danach angekündigt, dass Anfang 2016 eine neue Gesetzesvorlage zur Atomfrage eingebracht wird. Von Entwarnung für die Anrainer, für das Saarland, Rheinlad-Pfalz und Luxemburg, die sich ebenso überrumpelt fühlten wie die französischen Grünen, kann daher nicht die Rede sein, sagt die luxemburgische Umweltministerin Carole Dieschbourg.
"Vom Tisch ist es somit nicht, es ist erst mal aufgeschoben. Aber der Wille der Franzosen ist nicht von gestern oder vorgestern, es gab schon Schritte vorher aber wir haben direkt den Anspruch erhoben, dass wir bei diesem Entscheidungsprozess aktiv eine Rolle spielen können."
Die jetzt eingetretene Verzögerung ändert nichts an der Tatsache, dass die Weichen für Bure als Endlagerstandort gestellt sind. Nur dort existiert ein Forschungs- und Versuchslabor und sämtliche Alternativplanungen sind schon lange aufgegeben worden.
Mit einem Fahrstuhl geht es 500 Meter tief in den Fels. Wer nach unten möchte, wird aus Sicherheitsgründen registriert.
Unter Tage erstreckt sich ein Labyrinth aus Strecken und Röhren, die in den Fels hineingebohrt wurden. Insgesamt 250 Quadratkilometer gleichmäßig geformtes Tongestein stehen zur Verfügung, um die radioaktive Fracht aufzunehmen. Ton sei dafür bestens geeignet, sind die Ingenieure überzeugt.
Seit Jahren liefen bereits Tests
"Ton hat besondere Eigenschaften, er schließt quasi alles ein: Wasser, er ist undurchlässig und Ton absorbiert die Radioaktivität aufgrund seiner physikalischen und chemischen Eigenschaften, einschließlich der Hitze. Und das ist nicht wirklich praktisch, denn wenn sie das strahlende Material im Fels lagern, dann steigt die Temperatur und der Fels ist nur bedingt in der Lage, diese Hitze abzuleiten."
Jacques Delay ist Ingenieur bei der Andra und kennt in den unterirdischen Versuchsstrecken jeden Winkel. Seit Jahren liefen bereits Tests, wie die radioaktiven Abfall-Behälter angeordnet werden müssen, wie viel Abstand sie zueinander haben müssen, damit sich der Fels nicht aufheizt. Die Ingenieure müssen auch eine Antwort finden auf die politische Forderung, die hochradioaktiven Abfälle über Jahrzehnte wieder bergen zu können, sollten die Umstände dies erfordern. Auch dafür gäbe es eine Lösung versichert Delay.
"Sie bohren eine horizontale Öffnung, die kleiden sie aus mit einer Schürze aus Metall und dort hinein schieben sie die radioaktiven Behälter. Auf dem gleichen Weg können sie diese auch wieder zurückholen. Das Konzept ist extrem einfach."
Mit der sogenannten Reversibilitätsklausel trägt die Politik dem technischen Fortschritt Rechnung. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse sollen jederzeit in die Überlegungen für eine optimale Lagerung des hochradioaktiven Mülls einfließen. Es geht um sehr große Mengen. Frankreich möchte zwar mehr in erneuerbare Energien investieren, aber die Atomkraft bildet seit 40 Jahren das Rückgrat der französischen Energieversorgung und das wird auf lange Sicht so bleiben.