Martin Ahrends, geboren 1951 in Berlin. Studium der Musik, Philosophie und Theaterregie. Anfang der 80er-Jahre politisch motiviertes Arbeitsverbot in der DDR. 1984 Ausreise aus der DDR. Redakteur bei der Wochenzeitung „Die Zeit“ und seit 1996 freier Autor und Publizist.
Inflation und Krise
Weniger kaufen und weniger Ressourcen vergeuden, das wollte Autor Martin Ahrends schon lange. Nun könnte es gelingen, dank steigender Preise. © picture alliance / Keystone / Alessandro Crinari
Endlich lernen wir Verzicht!
Die Preise steigen rasant. Der Autor Martin Ahrends sieht darin eine Chance, Konsumgewohnheiten zu ändern – und appelliert an die Politik: Fürchtet keine Proteste, traut den Bürgern Einsicht zu.
Was hat man zu verlieren, wenn man den Gürtel enger schnallt? Bauchspeck vielleicht? Ein paar schlechte Angewohnheiten ganz gewiss auch.
Hier spricht kein Besserverdienender, als freier Autor hatte ich eine Familie mit sechs Kindern zu behausen, zu bekleiden und zu ernähren, nach der offiziellen Statistik galten wir immer als arm. Dennoch habe ich ein paar schlechte Angewohnheiten, etwa die, unnötig mit dem Auto zu fahren, Dinge zu kaufen, die ich nicht wirklich brauche und defekte Gegenstände wegzuwerfen, anstatt sie wieder in Funktion zu bringen.
So konnte es nicht ewig weitergehen
Vielleicht gibt es Marketing-Strategien, die mir genau dies schlechte Verhalten antrainiert haben, mag sein. Ich bin es nun aber, der damit klarkommen muss. Ich bin es, der sich deswegen schämt und ein schlechtes Gewissen hat. Ich bin es, der sich die schlechten Angewohnheiten eines dem Konsumklimaindex förderlichen, braven Verbrauchers wieder abgewöhnen muss.
Jahrelang hatte ich das Gefühl, dafür zu schwach zu sein, nun erfahre ich: Das geht tatsächlich, ich kann mich moralisch regenerieren. Zugegeben, nicht freiwillig, das habe ich nicht geschafft in all den Jahren. Nun aber doch unfreiwillig, immerhin.
Schluss mit billig
Wie im Märchen vom Fischer und seiner Frau ging es so all die Jahre: Pling, kaum gewünscht, schon erfüllt. Das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen, so viel wusste ich natürlich auch. Nun beginnen die Discounter damit, mir nicht mehr alles hinterherzuwerfen, sie beginnen zu geizen, unfreiwillig, aber immerhin. Zu geizen mit Kostbarkeiten, die viel zu billig und deshalb zu vergeuden waren.
Ich wusste, dass es so nicht ewig weitergehen kann und bin irgendwo tief in mir drin ganz froh, dass die Vergeudung nun anfängt aufzuhören. Eben noch war es ganz schick, mal eben für wenig Mäuse nach Malle zu düsen. Es war okay, die doppelte Menge in den Einkaufswagen zu laden, weil das Zeug grad so schön billig ist, und alle paar Wochen die fast neuen Schuhe in den Container zu hauen. Das hat sich nun geändert. Ich falle aber nicht aus allen Wolken, sondern hab das Gefühl, in einer verlorenen Realität anzukommen. Ich muss nun also doch nicht, wie des Fischers Frau, zum König, Kaiser und Papst werden, muss nicht Gott spielen wollen als Wohlstandswesteuropäer, bevor wir alle endgültig im Pisspott sitzen.
Heilsame Einsicht in den Verzicht
Während ihr Politiker panisch versucht, einem Protest den Wind aus den Segeln zu nehmen, der sich noch gar nicht regt, lernen wir Verbraucher gerade, mit weniger Ansprüchen auszukommen. Das ist durchaus möglich in einer Überflussgesellschaft. Traut uns also Einsicht zu in die Notwendigkeit. Wir sind opferbereit, wir sind duldsam in weit höherem Maße, als die populären Medien von uns behaupten.
Wenn ihr den Mut habt, uns das zuzumuten, was wirklich nötig und sinnvoll ist, dann braucht ihr unseren Zorn nicht zu fürchten. Wir, das Volk, wollen nicht wie ein unmündiges, verzogenes Kind behandelt werden, das im Supermarkt ein Weltuntergangsgeschrei beginnt, weil es etwas nicht mehr haben darf, was es doch früher immer haben durfte. Unsere Konsumgewohnheiten sind nicht die allerbesten, das wissen wir selbst, und es zeigt sich nun auf schmerzhaft heilsame Weise. Verderbt uns nicht die Entwöhnung, den Entzug, verderbt uns nicht die Chance, unsere schlechten Angewohnheiten endlich abzulegen.
Die Werbung klirrt und scheppert wie eh und je, fast möchte man Mitleid haben. Sie hat sich nicht verändert. Wir sind dabei, uns zu verändern. Fischers Frau erwacht im Pisspott, das Märchen endet, wo sie vielleicht anfängt, daraus zu lernen. Bei uns soll das anders laufen.