Endlich wieder Soldat spielen

Von Susanne von Schenk |
16 Jahre, nachdem die Nationale Volksarmee aufgelöst wurde, wird auf einem ehemaligen Kasernengelände im brandenburgischen Harnekop wieder geschossen und gekämpft. Anfangs wurde nur der alte Schießstand von ehemaligen Soldaten aus der Gegend wieder benutzt. Dann richteten zwei ehemalige Militärs, einer aus dem Osten, einer aus dem Westen, eine Art Freilichtmuseum ein. Und nun wird wieder angetreten, marschiert, weggetreten und aufgesessen. 170 Euro kostet ein Wochenende auf dem Gelände. Dafür darf man im Regen durch den Matsch robben, sich anschreien lassen und mit Plastikmunition schießen
"Achtung! Die Augen geradeaus! Richt Euch!"

Klaus Tautmann, alias Klotzi, ist in seinem Element. Über zwei Meter ist er groß, und seine Uniform ist ein wenig zu knapp. Mit blitzenden Augen steht er auf dem Appellplatz der Raumschießanlage Harnekop. 60 meist junge Männer haben sich in U-Form vorm ihm aufgestellt.
Neben Klotzi steht Manfred August, Manne genannt, und grinst. Klein und rundlich ist er das Gegenstück zu seinem langen Freund. Manne war früher Major bei der NVA, der Nationalen Volksarmee, und nun arbeitet er als Wirtschaftskaufmann. Sein Hobby: der Berliner Softairclub der Black Berets. Manne ist ihr Teamchef.
Heute wird Manne zum General befördert. Zur Feier des Tages hat er sich in eine blaue, mit Orden behängte Jacke gezwängt und an den äußeren Hosennähten eigens zwei rote Streifen angebracht.

"Im Auftrage des Bundespräsidenten führe ich Ihnen gerne diese Akte zu und hoffe auch bei weiteren Beförderungen wieder sehen zu dürfen. Kräftigen Applaus bitte."

Freitagabend, 20 Uhr. Noch sind nicht alle Teilnehmer des Softair-Wochenendes auf dem ehemaligen NVA Gelände in Harnekop eingetroffen. Trotzdem hat Manne zum Appell getrommelt. Schließlich soll die Disziplin gewahrt werden. Die "Operation Pentecoste" muss starten.

"Folgende taktische Situation besteht: Diese Basis stellt für die nächsten vier Tage eine imaginäre Hauptbasis eines nicht genannten Landes dar. In dieser Basis befindet sich die Hauptbasis der Raketentruppen, des Chemielagers und der Hauptstab."

Neben dem Exerzierplatz ragt der Schornstein des einstigen Heizwerks in den Abendhimmel, in den früheren Kasernen mit Tarnanstrich sind ein paar Fensterscheiben eingeworfen, zwischen den Steinplatten sprießt das Unkraut – eine ideale Kulisse für ein sportlich-kriegerisches Wochenende.

Da stehen sie erwartungsvoll, all die Metzger, Gebäudereiniger, SAP-Berater, Ingenieure oder Schüler, aus Brandenburg und Berlin, aus Schleswig Holstein und sogar vom Bodensee. Ein bunter Haufen, der zum Fürchten aussieht: Schlaksige Jungs in alten Bundeswehruniformen, stämmige Kerle in ausrangierten NVA-Klamotten, nervöse Zappler in coolen US-Tarnanzügen – was sich eben so in den Army Shops auftreiben ließ. Hauptsache militärisch. Aber das sei nicht alles hier in Hrnekop, meint Manne.

"Man kann hier, wenn man es richtig und ernsthaft macht, auch Werte vermitteln, die man leider, meiner persönlichen Meinung nach, nicht heute mehr so oft findet: Kameradschaft, Zusammengehörigkeit, Teamgeist, einer für den anderen, aber nicht mit diesen negativen Vorzeichen, sondern im reinsten und ehrlichsten Sinne."

Das könnte man auch beim Rudern, Fußball oder wenn man sich sozial engagiert. Wenn es auch keiner der Teilnehmer so nennen mag – hier wird das gespielt, was an zahlreichen Orten der Welt bittere Wirklichkeit ist: Krieg. Nach mehr oder weniger strengen Regeln. Mit Plastikwaffen, die so echt aussehen, dass die Polizei bereits vor Verwechslungen gewarnt hat.

"Die liegt super in der Hand. So eine hatte ich schon vor, mir zu kaufen. So eine kostet schon 200 Euro. Wow. Ich hatte vor, mir die M14 zu kaufen, kostet bei Brigady mit%e 480 Steine."

Alexander Damier, Tarnname Velo, wird an diesem Wochenende 18 Jahre alt. Der fast zwei Meter große Kerl ist bei weitem nicht der jüngste Teilnehmer der "Operation Pentecoste". Der ist gerade 14 und dürfte eigentlich noch gar nicht mitmachen.

Alexander und seine Kumpels haben eine lange Reise hinter sich: von Friedrichshafen bis nach Harnekop. Fast 800 km - für drei Tage ballern. 69 Euro kostet der Spaß. Die Nacht in blau-weiß karierter NVA-Bettwäsche in einem der Mannschaftsgebäude ist dafür nicht drin, nur schlafen im eigenen Zelt. Aber ans Schlafen denkt hier keiner. Noch nicht.

Ab Mitternacht geht’s los. Drei lange Tage robben die Jungs durch den Wald, schießen mit Plastikkugeln – aber bitte immer Schutzbrillen tragen, damit nichts ins Auge geht. Der Störtrupp, unter Klotzis fachkundiger Leitung, soll die Raketenstation und das Chemielager erobern und, wenn möglich, Manne, den gegnerischen Chef, auch noch um die Ecke bringen. Der hat derweil seine Leibgarde, pompös Prätorianer genannt, um sich geschart. Nun heißt es: ab in die Basislager. Es wird ernst.

"Klotzi komm her, Mensch, Klotzi, das nächste Mal, wenn wir uns wieder sehen, sehen wir uns unter anderen Bedingungen.
Halt die Ohren steif, Großer.
Mach ick."

Harnekop – ein großer Abenteuerspielplatz. Wer allerdings glaubt, NVA-Nostalgiker, Kriegsverherrlicher oder Kahlköpfe der rechten Szene anzutreffen, der irrt. Hier, so heißt es, zählen der sportliche Aspekt und das Spiel. Dass einem ahnungslosen Außenstehenden bei den bis an die Zähne bewaffneten Kerls auch mal Assoziationen zu El-Kaida-Lagern oder ähnlichen Camps kommen könnten, das kann Sven Andresen nicht nachvollziehen. Alles harmlos, meint er und grinst.

"Das Faszinierende an sich ist, wie es auch bei uns im Club ist, unter Menschen, viele Gleichgesinnte, man hat Spaß zusammen. Für uns ist es ’ne Spielerei, wir kommen raus aus dem Alltag und können ’nen bisschen an die frische Luft. Es ist nicht Kriegsverherrlichendes oder ähnliches, das ist wirklich nur ein Hobby, die frische Luft, hört sich zwar blöd an. Das eigentliche Ziel und ich töte den jetzt, das steht zu keiner Zeit im Mittelpunkt."

Zusammen mit sechs Freunden aus dem Softairclub ist Sven Andresen aus Schleswig Holstein angereist. So ein Terrain wie Harnekop gibt es im hohen Norden nicht. Stefan Benthin ist ebenso begeistert wie Sven Andresen. Der schmale, feingliedrige Mann aus Lübeck, der den Dienst bei der Bundeswehr verweigert hat, sieht so gar nicht militärisch aus.

"Ich find das ganz beeindruckend, dass hier noch solche NVA-Gebäude auf diese Weise genutzt werden. Weil vielfach werden die Sachen einfach platt gemacht und dann kommen hier Wohngebiete hin. Ich denk mal, dass ist einfach zum Spaß haben."

Was heute eine große Spielwiese ist, war zu DDR-Zeiten hermetisch abgeriegelt. In den grün getarnten Mannschaftsgebäuden fristeten einst die NVA-Soldaten ein eintöniges Dasein. Warum in dieser Abgeschiedenheit? Weil in Harnekop der Bunker des DDR-Verteidigungsministeriums bewacht werden musste. Der liegt nur wenige hundert Meter von dem Gelände entfernt, auf dem all die schießwütigen Softairfans sich austoben.

Ein kleiner Gang zum Objekt 16/102 "Flugwetterstation" – wie die Bunkeranlage von gigantischem Ausmaß einst hieß. Eine in Beton gegossene Neurose des Kalten Krieges. Dort versucht Rene Siraki in einer Führung, den Besuchern die Atmosphäre der untergegangenen Welt nahe zu bringen.

"Hier befindet sich die Waffenkammer. Jeder musste seine Waffe hier abgeben, bis auf den Bunkerkommandanten, weil im Ernstfall, wenn man hier eingesperrt ist, weiß man nicht, was mit seiner Familie passiert, da kann jeder mal durchdrehen. Um nicht sich und andere zu gefährden, muss man die Waffe abgeben."

Krankenstation, aseptisch wirkende Küche, Speiseraum mit Gebirgspanorama an der Wand, Tunnelgänge. Das Herzstück des atomsicheren Bauwerks, in dem bis zu 500 Personen knapp 30 Tage hätten leben können, erinnert an die Kommandobrücke eines Raumschiffes: überall Steuerpulte, Bildschirme, Kameras. Von Harnekop aus sollte im Kriegsfall die gesamte Mobilmachung der NVA gesteuert werden. Nur: Bei einem Nuklearschlag wären die Insassen nie wieder nach draußen gekommen.

"Es ist eine ingenieurtechnische Meisterleistung. 1992 haben die Amerikaner diesen Bunker komplett vermessen, jede Türschwelle und haben dann, speziell um diesen Bunker auszumachen, einen Satelliten losgejagt, und hat den Bunker komplett gefahren, hat alles belastet und es sind trotzdem keine Emissionen auf dem Photo zu sehen gewesen. Also man hätte auch 1992 mit besserer Satellitentechnik diesen Schutzbau noch nicht erkannt."

Helga Kowatzki ist Mitglied des Fördervereins "Baudenkmal Bunker Harnekop". Denn als 1990 die NVA aufgelöst wurde, übernahm die Bundeswehr das Gelände, bis 1993. Dann war es Niemandsland, Müllkippe, Anziehungspunkt für dubiose Gestalten. Mehrere voneinander unabhängige Betreiber teilten das Areal untereinander auf. Vor sechs Jahren gründete sich der Förderverein, um den Niedergang aufzuhalten und den Bunker für die Nachwelt zu erhalten. Inzwischen steht das unterirdische Meisterwerk der Technik unter Denkmalschutz und ist zum beliebten Ziel eines wachsenden Bunkertourismus geworden. 120 Großbunker und Hunderte kleinerer Anlagen, zum Teil noch aus der Zeit des Dritten Reiches, existieren in Ostdeutschland und erinnern an dunkle Zeiten. Auf den Abenteuerspielplatz in der direkten Nachbarschaft könnte Helga Kowatzki gut verzichten.

"Krieg ist immer wieder auf der Welt, das muss man nicht spielen, das könnte man hautnah erleben. Das geht in Spanien los mit den Basken und endet im Iran, Irak, überall auf der Welt. Das ist ein sehr ernstes Thema. Friedensaktivitäten wären mir auf dem Gelände lieber. Und wir legen sehr viel Wert darauf, dass klargemacht wird, wir möchten diese technische Leistung zeigen, wir sind bereit, im Rahmen des Kalten Krieges ’ne Aufklärung, aber mit Kriegsspielen möchten wir hier nichts zu tun haben."

Zurück zu den Schießwütigen. Es ist spät geworden. Auf dem Gelände herrscht angespannte Ruhe. Nur hin und wieder sirrt ein Schuss durch die Nacht. Wann wird Klotzi mit seinem Störtrupp den ersten Angriff starten?

"Schön hinlegen, es passiert gar nichts. Ich mach den Verband jetzt runter, ok. So, wo tut's weh, hier, dort? Einfach mal liegen bleiben. Ganz ruhig. so jetzt zieh mal den Fuß hoch. Tief durchatmen. Einfach mal den Fuß senken.""

Nicht weit vom "Chemielager" steht das Sanitätsfahrzeug. Auf einer Pritsche liegt der erste Verletzte. Nichts schlimmes, meint Oberstabsarzt Martin Krahl nach gründlicher Untersuchung und entlässt den Jungen wieder. Dann setzt er sich entspannt auf die Pritsche und trinkt ein Bier.

""Ein Sanitätskoffer – eine Rarität aus der DDR. Haben dieses Fahrzeug vor zwei Jahren in einer Scheune gefunden, ist ein Ello, luftgekühlter Ottomotor, ein Benziner, hat auf seiner Ladefläche dieses Konstrukt, was man einen Koffer nennt."

Martin Krahl, Schmerztherapeut aus Berlin, hat Spaß an seiner Aufgabe. Als Orientierungsläufer kam er vor ein paar Jahren zufällig in Harnekop vorbei. Er lernte die Betreiber der Raumschießanlage kennen, die auch seine Patienten wurden. Als ein "Doc" für die Spiele gesucht wurde, war Martin Krahl zur Stelle. Seitdem verbringt er jede freie Minute in Harnekop. Über die militärisch Kostümierten lächelt er. Politische Absichten? Neonazis dabei? Nein.

"Man steigt in ein Spiel ein und vergisst alles, was zuhause ist, was der Beruf macht … und ist mit Leuten zusammen, die ... auf die gleiche Art rumspinnen. Die Leute sind wesentlich entspannter, wenn sie dann nach Hause kommen, die brauchen dann nicht irgendwelche Leute anpöbeln. Die toben sich einfach aus. Weil es alles nur Leute sind, die das Gleiche wollen, richtet es keinen Schaden an. Insofern ist das unbedenklich, in den meisten Fällen. Es gibt natürlich den einen oder anderen, der durchdreht, aber zu 95, 99 Prozent ist das unbedenklich."

Von 7 bis 9 Uhr ist Feuerpause. Manne und die Prätorianer haben sich auf dem Gang der Baracke zum Frühstück niedergelassen. Sie sehen müde aus, die wenigsten haben geschlafen. Bei einigen ist die Tarnschminke verlaufen. Macht nichts. Gleich geht es wieder los.

Auf einem ausgedienten NVA-Laster fahren sie zurück in die Stellungen. Circa einen Kilometer von der Zentrale befindet sich das Raketenlager: ein baufälliges Gebäude auf einer sandigen Waldlichtung. Sieben Raketen aus Pappmache müssen verteidigt werden. Gelingt es dem Feind, Böller an den Raketen anzubringen und sie zu zünden, punktet er.

"Die Nacht war ruhig, aber erholsam. Es ist bei uns noch nichts groß passiert, eher langweilig, aber auch das soll’s geben."

Bernd Zweschper ist auf einer steilen Leiter nach oben geklettert und hält Ausschau. Aus drei Fensteröffnungen kann er den Waldrand beobachten. Nichts rührt sich. Wo Klotzi nur bleibt?

Leider nur ein Scheinangriff der Prätorianer, Mannes Leibgarde. Und da kommt er auch schon, der Chef. Übernächtigt und schlecht gelaunt schiebt er sich durch die Absperrung. Seine Jungs halten die Knarren im Anschlag.

"Ich werd nass. Und wenn ich was nicht abkann, ist es, nass zu werden. Das war ich die letzten vierzehn Tage. Ich mag nicht mehr. Eins ist klar: wenn ich reinkommen, haue ich mich an die Maschine und haue so lange druff, bis ich Klotzi erwischt habe. Dann stellt sich einfach mal die Frage, ob er möchte, dass sich alle zu Tode langweilen oder ob er langsam mal den Finger zieht."

Noch zwei Tage geht es so weiter. Warten, funken, schießen, Rauchbomben zünden, Bohneneintopf mit Würstchen fassen. Bis alle erschöpft ihre Uniformen mit Zivilkleidung vertauschen und die Heimreise antreten. Ein bisschen Ausspannen, ein bisschen Alltag und dann mal schauen, wann das nächste Softair-"Wellness"-Wochenende angeboten wird.