Trumps Versprechen für den Rust Belt
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Die Renaissance des Rust Belt war 2016 ein Wahlversprechen von US-Präsident Trump. Die größte Industrieregion des Landes ist schon lange im Niedergang — Stahlhütten und Fabriken dicht, die Arbeitsplätze ins Ausland verlagert. Was hat Trump verändert?
Juni 2016: Wahlkampfveranstaltung von Donald Trump in Monessen, im Südwesten von Pennsylvania. Hinter dem designierten republikanischen Präsidentschaftskandidaten türmt sich eine Wand aus Recycling-Aluminium. Vor ihm stehen hunderte geladene Gäste und lauschen gespannt, als Trump sein "America First"-Programm für die Wirtschaft vorstellt.
"Wir werden amerikanisches Stahl und Aluminium wieder in das Rückgrat unseres Landes stecken. Und so werden gewaltige Zahlen an Arbeitsplätzen entstehen. Gut bezahlte Jobs. Nicht die Jobs, die wir heute haben. Gewaltige Zahlen an guten Jobs!"
Stacy Wolford steht an diesem Tag mit in der Menge. Die Mitvierzigerin ist Redakteurin beim "Mon Valley Independent".
"Es war richtig aufregend. Es war das erste Mal seit Präsident Kennedy 1962 die Stadt besucht hat, dass so etwas Großes in unserem kleinen Nest passiert."
Bei der passenden Kulisse für seine Rede hatte Trumps Team nicht viel Auswahl. In Monessen gibt es nur noch zwei größere Betriebe in der Montan-Industrie: die Recycling-Firma und eine Kokerei. Früher lebten in der Kleinstadt rund 20 Kilometer südlich von Pittsburgh über 20.000 Menschen. Jetzt sind es nur noch knapp 7000. 7000 Arbeiter schufteten in den beiden Stahlwerken am Ufer des Monongahela. Die gibt es schon seit den 80er-Jahren nicht mehr.
"Er hat viel Hoffnung mitgebracht"
Auch Stacy Wolford, in einem Kleid in neon-orange, Fingernägeln in der gleichen Farbe und einer Maske mit Leoparden-Muster, stammt aus einer der Stahlarbeiter-Familien. Trumps Besuch hätte den Menschen in Monessen Mut gemacht.
"Er hat viel Hoffnung mitgebracht. Die Stahlhütten-Industrie ist schon seit Jahren tot. Damit verschwanden die Menschen und die Arbeitsplätze. Und seitdem quälen wir uns dahin, nicht nur in Monessen, sondern in all den kleinen Städten entlang des Flusses kann man die Verwahrlosung sehen. Und er hat neuen Enthusiasmus, neue Aufregung verbreitet. Ich glaube, die Leute wollten auch daran glauben. Schließlich brauchen wir doch alle Hoffnung."
Der "Mon Valley Independent" residiert in einer heruntergekommenen Baracke, die sich die Zeitung mit einer Tankstelle teilt. Im Newsroom läuft der Fernseher, vier Reporter tippen und telefonieren.
Die versprochenen Jobs gibt es nicht
Stacy und ihre Kollegen kennen die lokale Wirtschaftsentwicklung genau. Ein paar neue Läden, ein paar kleine, hochspezialisierte Produktionsfirmen, die beispielsweise Teile für die Gasindustrie herstellen, sind in den vergangenen vier Jahren entstanden. Die Arbeitslosenquote lag vor der Coronapandemie im März 2020 bei rund sechs Prozent – so wie schon bei Trumps Amtsantritt im Januar 2017. Aber die vielen gut bezahlten neuen Jobs, die Trump versprochen hat – es gibt sie nicht, schon gar nicht in der Stahlindustrie.
"Wir alle wissen doch, dass Stahl nicht zurückkommt. Das ist einfach die Realität."
Im Ortskern von Monessen erinnert die Wandmalerei auf einer Brandmauer an die stählerne Vergangenheit. Die Hochöfen, die darauf zu sehen sind, machten schon in den späten 80er-Jahren dicht. Nur die Kokerei existiert noch.
Joe Como steht am Maschendrahtzaun vor dem riesigen Werksgelände direkt in der Ortsmitte. Eine Hangar-große Halle, ein rostiger Kran und ein Förderband ragen dahinter in die Höhe. Früher standen auf dem weitläufigen Gelände zwischen Fluss und Hauptstraße auch ein Draht- und ein Schienenwalzwerk.
Über die Hälfte der Mitarbeiter musste gehen
Joe, ein stämmiger Mann von Mitte 60, mit kurzem grauem Haar und weitaufgeknöpften Poloshirt, zeigt auf die riesigen Batterien der Kokerei: "Sie laufen momentan nur Notbetrieb." Der weltgrößte Stahlkonzern Arcelor-Mittal produziert hier normalerweise den Brennstoff für seine Werke in der Nähe von Philadelphia und in Canada. Aber seit Sommer steht die Produktion wegen der Pandemie still.
Como ist Bezirkschef der einst mächtigen Stahlarbeiter-Gewerkschaft "United Steelworkers". Auch die Belegschaft der Kokerei vertritt er. Über die Hälfte der knapp 200 Mitarbeiter wurde in den vergangenen Monaten entlassen.
Zum Mittagessen lädt der Gewerkschafter ins Clubhaus der örtlichen Feuerwehr ein. Comos ältere Tochter betreibt das Lokal und kocht, die Jüngere kellnert. Im Fernseher über der Bar läuft eine Quizshow. Ein paar Gäste sitzen schon – mit großem Abstand zwischen den Tischen - vor gewaltigen Tellern mit Fischsandwiches, Fritten und Krautsalat.
Seine Töchter hätten mehrere Jobs um überhaupt über die Runden zu kommen., erzählt Como zwischen zwei Bissen. Früher sei das das anders gewesen. "Mein Vater hat 44 Jahre in der Stahlhütte gearbeitet. Unsere Autos waren orange. Man hat die Hütte überall gerochen. Aber: Wir hatten Kleider. Wir hatten Essen. Wir konnten in die Ferien fahren."
2016 stimmten hier Viele für Trump
Gewerkschaftsmitglied sein, das hieß jahrzehntelang auch fast automatisch die Demokraten wählen. Doch 2016 stimmten viele seiner Mitglieder für Trump – nicht genug, um den Republikaner in der traditionell demokratischen Hochburg Monessen gewinnen zu lassen. Aber genug, um Como ins Grübeln zu bringen.
"Warum Gewerkschaftsleute Trump mögen – ich weiß es nicht. Hauptsächlich ist es wohl die Art, wie er redet. Dass er einfach sagt, was ihm in den Sinn kommt. Aber die Gewerkschaftsleute verstehen einfach nicht, dass die Republikaner die Gewerkschaften schwächen wollen."
Joe Como jedenfalls wird für seinen Namensvetter Biden stimmen – und preist ihn fast mit den gleichen Worten, wie Trump-Anhänger den amtierenden Präsidenten: "Er weiß, was nötig ist, um Amerika wieder groß zu machen."
"Trump ist mein Präsident"
Man muss im Mon Valley nicht lange suchen, um Menschen zu treffen, die das ganz anders sehen. Eine halbe Autostunde nordwestlich von Monessen, auf einem Hügel über der Ortschaft Finleyville hat die Walter Long Manufacturing Company ihren Sitz.
Vor der Eingangstür zum kleinen Bürogebäude steht ein blaues Schild: "Trump ist mein Präsident."
David Long, ein vergnügter Mitsechziger mit Glatze und Bismarck-Schnurbart, führt den Familienbetrieb mit seinem Bruder Robert. Im Büro hängen historische Fotos aus den Anfängen. Sein Urgroßvater kam in den 1880er-Jahren aus England nach Amerika, ließ sich in der Stahlstadt Pittsburgh nieder. Walter und seine Brüder stellten Kessel her und reparierten sie. Als die Stahlhütten in Pittsburgh schlossen, zog der Betrieb aufs Land – aber er überlebte.
David führt hinüber in die große Werkshalle. Die riesigen Pressen und Walzen zischen, klopfen und kreischen, ein Dutzend Männer mit Tattoos und Gehörschutz bedienen sie. Überall stapeln sich Stahlplatten, Rohre und Trichter in verschiedenen Größen. Davids Sohn Jesse ist hier der Werkstattleiter. Der 38-Jährige mit dem grauem Zopf und Rauschebart zeigt auf eine schwarze Walze: Baujahr 1879, sein Ur-Urgroßvater hat sie kurz vor dem 1. Weltkrieg gekauft. Funktioniert immer noch.
Trump wurde gewählt und das Geschäft boomte
Ihre Kunden seien traditionell andere Stahlbetriebe, Unternehmen in der Kohle und in der Erdgasindustrie, erzählt David. In der Obama-Ära sei das KohlegGeschäft wegen strengerer Auflagen fast komplett eingebrochen. Mit der Wahl 2016 war schlagartig alles anders.
"Trump wurde gewählt. Und am Tag danach – es war als hätten all die großen Firmen nur darauf gewartet –, und alle machten 'wooey' und die nächsten zwei Jahre hat das Geschäft geboomt. Es war super viel zu tun."
Momentan ist das Geschäft ziemlich ruhig. Ob das mit der Pandemie oder mit dem Handelskrieg zu tun hat? David zuckt mit den Schultern. 2018 verhängte Trump Sonderzölle auf Stahl aus China und der Europäischen Union. Die US-Stahlindustrie fuhr kurzfristig die Produktion hoch – und dann wieder runter. Die Preise gingen in den Keller.
Wenn der "andere Typ" gewählt wird, ist hier alles weg
Aber auch wenn es gerade nicht so gut läuft. David will Trump wieder wählen. "Zum einen bin ich ein Konservativer. Und zum anderen: das Geschäft. Ich habe einfach Angst, dass wenn der andere Typ gewählt wird, dass hier dann alles weg ist."
Zurück in der Kleinstadt Monessen. Im historischen Ortskern stehen fast alle Geschäfte leer. Es gibt noch einen Drugstore, zwei Tankstellen, einen Autohändler. Aus den einst prachtvollen, verzierten roten Klinkerfassaden wachsen Bäume und Gestrüpp. Auf der Schoomaker Avenue, einer der beiden Hauptstraßen durch die Stadtmitte, steht ein leeres Haus neben dem anderen. Fenster und Türen mit Brettern vernagelt, die Vorgärten vermüllt.
"Es hat sich gar nichts geändert"
John Nestor zeigt auf die Zeile gegenüber: Jedes Haus inzwischen leer. Der 32-Jährige wohnt mit seiner Familie im einzigen gepflegten Haus auf dem gesamten Block. Auf seiner Veranda stehen Blumenkübel und Katzenfutter. "Liebe Gott, liebe die Menschen", steht auf Nestors T-Shirt. Er selbst klingt resigniert.
"Leider hat sich gar nichts geändert. Die Regierung ist nicht gekommen und hat was getan. Es ist immer noch das gleiche. Die Leute müssen kapieren, dass die Regierung keine Jobs schafft. Menschen schaffen Jobs. Trump hat jedenfalls nichts geändert. Und wer was anderes geglaubt hat, sollte sich schämen."
Eine deutliche Veränderung hatte Trumps Besuch in Monessen 2016 aber: Auch wegen seinem Auftritt wurde der langjährige demokratische Bürgermeister abgewählt. Matt Shorraw ist der Neue, auch Demokrat. Jetzt sitzt der schmale, dunkelblonde Mann hinter einem riesigen Schreibtisch in seinem düsteren Amtszimmer und erklärt wie alles kam.
"Mein Vorgänger hatte Trump hierher eingeladen. Und hat bei der Gelegenheit viele hässliche Dinge gesagt. Zum Beispiel: Wenn der Islamische Staat nach Monessen käme, würden sie gleich wieder umdrehen, weil die Stadt aussieht als sei sie schon bombardiert worden. So redet man nicht mit der internationalen Presse über seine Stadt! Das hat mich echt geärgert. Also habe ich beschlossen, gegen ihn zu kandidieren."
Es kam nicht einmal Geld für die Infrastruktur
Bei seiner Wahl war Shorraw, der Musik studiert hat und nebenbei die High School Band mitleitet, erst 26 – einer der jüngsten Bürgermeister der USA. Trumps Auftritt habe Shorraw damals skeptisch gesehen.
"Ich hatte wenigstens auf ein bisschen Geld für Infrastruktur gehofft, das würde uns schon riesig helfen. Aber nichts dergleichen. Was wir wirklich brauchen ist irgendein großes Unternehmen, das sich hier ansiedelt. Denn wenn wir die Jobs hätten, um unsere Bevölkerung zu halten – dann wäre das wenigstens ein Schritt in die richtige Richtung."
Sharrow zeigt auf ein Ölbild hinter sich. Es zeigt ihn selbst vor einem der verfallenen Gebäude in der Innenstadt. Er will es unbedingt bewahren. Die Silhouette des alten Bankhauses hat er sich sogar auf den Arm tätowiert. Aber der gewaltige Leerstand ist ein Riesenproblem für die Stadt.
"Jetzt sehen wir, wie die Drogenhändler die Häuser kaufen und daraus dealen. Monessen hat mittlerweile mehr Dealer als User. Das ist ein echtes Problem. Es hat viel mit dem Mangel an Möglichkeiten zu tun, keine Jobs und so weiter. Aber auch mit der großen Zahl an verlassenen Gebäuden. Da kann man viel verstecken."
Sharrow hofft, dass die Demokraten aus Trumps Auftritt in Monessen etwas gelernt haben.
"Biden muss auch raus und die kleinen Orte besuchen. Auch wenn es wegen der Pandemie schwer ist. Aber ich glaube viele Menschen in Städten wie Monessen fühlen sich vergessen. Und es ist ganz wichtig für alle Städte und Dörfer, sich nicht vergessen zu fühlen."