"Enduring Freedom" in Afghanistan macht "keinen Sinn mehr"

Moderation: Marie Sagenschneider |
Der SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels hat den US-geführten Militäreinsatz in Afghanistan kritisiert. Bartels forderte die USA auf, ihre etwa 10.000 Soldaten aus der Operation "Enduring Freedom" der NATO zu unterstellen. Diese Mission zusätzlich zur NATO-geführten ISAF aufrechtzuerhalten, habe keinen Sinn mehr.
Marie Sagenschneider: Über die Verlängerung von gleich drei Afghanistaneinsätzen wird der Bundestag im Herbst entscheiden. Die ISAF-Mission, die den Wiederaufbau absichern soll, den Tornado-Einsatz und die deutsche Beteiligung an der Operation "Enduring Freedom", die von den USA geführt wird und mit einer sehr robusten Strategie die Taliban im Süden und Osten des Landes bekämpft. Ein Kampf, dem mittlerweile zahlreiche Zivilisten zum Opfer gefallen sind, was auch das Image der ISAF zu beschädigen droht. Trotzdem will Verteidigungsminister Jung an der deutschen Beteiligung an der Operation "Enduring Freedom" festhalten, in der SPD-Bundestagsfraktion hingegen ist man sehr skeptisch. Ihr Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels meint sogar, eine Mehrheit sei eindeutig für einen Ausstieg aus diesem Kampfeinsatz. Guten Morgen, Herr Bartels!

Hans-Peter Bartels: Guten Morgen.

Sagenschneider: Würden Sie sagen, es ist fast schon beschlossene Sache für die SPD, einer Beteiligung an der Operation "Enduring Freedom" nicht mehr zuzustimmen, wobei man sagen muss, diese Beteiligung ist ja theoretisch, weil seit 2005 kein deutscher KSK-Soldat daran beteiligt war?

Bartels: Nein, ich bin ja kein Prophet, aber ich glaube, die Argumente, sich an "Enduring Freedom" in Afghanistan zu beteiligen, sind doch immer schwächer geworden. Zum einen, es sind tatsächlich keine Soldaten mehr seit zwei Jahren im Einsatz. Zum anderen, an dieser amerikanisch geführten Anti-Terror-Mission, die seit 2001 läuft, haben wir möglicherweise einen Anteil von Soldaten, aber keinen Einfluss auf das tatsächliche Operationsgeschehen. Deshalb: Wir übernehmen Verantwortung, politische Mitverantwortung für etwas, was wir tatsächlich nicht beeinflussen können. Ich glaube, das sollten wir jetzt bereinigen. Es geht nicht darum, dass wir uns nicht am Wiederaufbau Afghanistans militärisch auch beteiligen können und müssen. Also was ISAF angeht, glaube ich, wird es eine ganz breite Mehrheit in der SPD-Fraktion geben, dass wir das Mandat verlängern.

Sagenschneider: In der Union allerdings heißt es, wenn Deutschland da aussteigt, also bei "Enduring Freedom", dann werde man innerhalb der NATO unter Druck geraten, das Engagement bei der ISAF zu verstärken?

Bartels: Ja, das scheint mir aber ein virtuelles Argument zu sein, denn unser schon nicht mehr abgerufener Beitrag ist militärisch nichts, was an anderer Stelle Druck ausüben könnte. Es ist eine politische, vielleicht auch eine symbolische Frage. Besser wäre eigentlich, wenn auch die USA ihre Truppen, die sie heute noch in diesem Anti-Terror-Einsatz hat, immerhin etwa 10.000 Mann unter amerikanischem Kommando, dem NATO-Kommando in Afghanistan unterstellen würde. Denn wir haben ja seit Ende letzten Jahres in Afghanistan eine Gesamtverantwortung in der NATO für das ganze Land. Das ist anders als in den Jahren zuvor, wo ja zunächst nur in Kabul, dann im Nordsektor, dann im Westen und dann im Süden und zum Schluss im Osten die NATO Verantwortung für die Sicherheit übernommen hat. Es war ja nicht von Anfang an das ganze Land, sondern die Sektoren sind erst aufgebaut worden. Aber seit das so ist, seit es ein Operationsgebiet Afghanistan für die NATO gibt, macht eigentlich die zusätzliche, die ursprüngliche Anti-Terror-Mission OEF keinen rechten Sinn mehr. Und wir stellen schon fest, die militärische Operationsführung ist auch nicht immer identisch.

Sagenschneider: Das heißt, es geht Ihnen in erster Linie um die Frage der unterschiedlichen Strategien, die nicht so recht in Einklang zu bringen sind, oder stellen Sie die Operation "Enduring Freedom" grundsätzlich infrage?

Bartels: Es sind unterschiedliche Strategien, und es gibt ja auch kein eigenständiges Operationsgebiet in Afghanistan mehr. Also der Sinn dieser Operation ist, sagen wir mal, jedenfalls deutlich schwächer geworden. Besser wäre, wenn es eine einheitliche militärische Unterstützungsmission gibt. Es ist ja auch kein Kampfeinsatz mehr, es wird nicht mehr Krieg geführt in Afghanistan, es gibt dort eine gewählte Regierung, ein Parlament, einen Präsidenten, eine Armee im Aufbau, Polizeikräfte, die von uns mit ausgebildet werden. Diese werden von der NATO unterstützt. Also ISAF heißt ja "International Security Assistance Force". Es ist keine Besatzungsarmee, und es ist keine Armee, die in dem Land Krieg führt.

Sagenschneider: Das ist ja immer wieder beklagt worden, dass diese beiden Einsätze da zu wenig miteinander abgestimmt wurden. Verteidigungsminister Jung hat das kürzlich jetzt bei seinem Besuch in Washington ja auch angesprochen. Glauben Sie, das wird sich in absehbarer Zeit ändern, oder wird es da doch auf amerikanischer Seite auch gar kein Einsehen geben können, weil man einfach nicht bereit ist, das Kommando da abzugeben?

Bartels: Es ist vielleicht schwierig für die Amerikaner, ihre eigenständige Handlungsfreiheit hier aufzugeben und sich an multinational abgestimmten Vorgehen in der NATO komplett anzuschließen, aber für den Erfolg der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan. Und was bleibt uns übrig? Wir müssen erfolgreich sein. Wir können die Menschen jetzt nicht wieder sich selbst überlassen und damit einem sicheren Bürgerkrieg entgegensehen. Für den Erfolg wäre es schon wichtiger, dass wir abgestimmt sind auch mit der afghanischen Regierung. Und Hamid Karsai, der Präsident, hat ja selbst doch etwas verzweifelt darauf hingewiesen, es gibt gelegentlich Aktionen, die eher kontraproduktiv sind, die auch das Vertrauen in die afghanische Demokratie bei der Bevölkerung nicht gerade stärken.

Sagenschneider: Dann ist ja seit gestern eine neue Anregung auf dem Tisch, und zwar eine, die gemeinsam von einigen Unions- und SPD-Politikern formuliert worden ist, nämlich den Bundeswehreinsatz auf ganz Afghanistan auszuweiten, also auch auf den Süden und Osten auszudehnen. Es geht eben auch darum, dass Bundeswehr-Ausbildungsteams die afghanischen Einheiten, die von ihnen betreut werden, in andere Landesteile begleiten können, u.a. darum. Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, hätten Sie dagegen gar nichts einzuwenden?

Bartels: Ich glaube, das ist weder eine entscheidende Frage, noch ist das etwas, was von uns jetzt andere dringend erwarten. Wir haben eine besondere Aufgabe im Norden. Wir waren die Ersten, die einen Sektor übernommen. Der erste Sektor, der aufgebaut wurde, war der Nordsektor, dann unter deutscher Führung. Wir haben insgesamt 3000, etwas mehr als 3000 Soldaten in Afghanistan im Einsatz. Und die deutschen Soldaten, die als Militärausbilder bei der afghanischen Armee sind, werden natürlich so lange gebraucht, wie die Truppe da noch in Ausbildung ist. Wenn sie aber in Ausbildung ist, würde ich sie nicht unbedingt in Einsätze schicken.

Sagenschneider: Verknüpft war mit dieser Anregung auch der Vorschlag, alle drei Afghanistan-Mandate der Bundeswehr zu einem einzigen zusammenzuführen unter dem Dach der ISAF. Könnten Sie sich damit anfreunden?

Bartels: Ja, zwei werden mit Sicherheit zusammengelegt, nämlich dieses Tornado-Mandat, was ja später kam und dessen Mandatsende auf das ISAF-Ende synchronisiert ist, also die laufen gleichzeitig aus. Und wenn wir die Tornado-Komponente weiterhin zur Verfügung stellen, dann wird das ein Teil von ISAF sein. Das ist ja eine NATO-Komponente. OEF wäre meine Empfehlung, die 100 Spezialsoldaten KSK, die wir schicken könnten, einfach aus dem Mandat zu streichen. Was dann bleibt, ist die deutsche Beteiligung an der Flotte im Indischen Ozean, ein Marineverband, der seit sechs Jahren dort für die Sicherheit sorgt, zu dem wir in der Regel ein Schiff abstellen. Das kann bleiben, muss vielleicht in Zukunft auf andere Beine gestellt werden, aber daran gibt es auch in der SPD-Fraktion keine Kritik. Es ist das OEF-Engagement in Afghanistan, das aus meiner Sicht inzwischen entbehrlich geworden ist.

Sagenschneider: Hans-Peter Bartels, Verteidigungsexperte der SPD-Fraktion im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Ich danke Ihnen.