Energieeffizienz und Baukultur

Von Adolf Stock |
Zum 18. Mal haben die Architektenkammern zum Tag der Architektur geladen: Von Hamburg bis München öffneten am Wochenende rund 1500 Gebäude, die für Besucher sonst meistens verschlossen sind. In diesem Jahr hatten sich die Architektenkammern das Motto "Energie" gewählt.
Die geplante Energiewende wird unsere Gesellschaft nachhaltig verändern, sagt Sigurd Trommer, Präsident der Bundesarchitektenkammer:

"Wir brauchen eine andere Energiezukunft, und das ist wie ein Stückchen auch Epochenwandel. Und das haben alle Bundesländer aufgenommen, unsere Länderkammern, und haben dann Projekte ausgesucht, wo diese Frage Energie eine große Rolle spielt, im Zusammenhang natürlich mit der Architektur."

Rund 90 Prozent der Altbauten haben noch energetischen Sanierungsbedarf. Angesichts dieser Zahlen kann einem angst und bange werden, wenn man erste Ergebnisse dieser Sanierung sieht. In Hamburg wurden schöne Backsteinfassaden ganzer Siedlungen mit Dämmmaterial verklebt und anschließend mit einer Art Laminat tapeziert, die nur entfernt an den alten Zustand erinnert. So wird die energetische Sanierung zum Generalangriff auf die Baukultur.

Sigurd Trommer: "Wobei man fairerweise sagen muss, es ist so eine erste Welle, auch eine politische Welle, wo Politik auch sagt, wie kommen wir denn dahin zu einer anderen Energiezukunft?

Und wo dann möglicherweise auch dann aus der Industrie gesagt wird, also wir haben hier wunderbare Dämmprodukte und die will ich an den Mann bringen, das kennen wir, das Plakat, man stülpt den Gebäuden Wollmützen über und sagt, da müssen wir hin."

Rundum verpackte Altbauten mit Fenstern, die wie Schießscharten sind. Sehen so bald unsere Wohnviertel aus? Viele Architekten und Bauherren sind alarmiert und suchen nach neuen Wegen. Der Berliner Architekt Winfried Brenne ist einer von ihnen, er saniert schon seit Jahren historische Bauhausgebäude und Häuser aus den 50er-Jahren:

"Der Durchschnitt der zu sanierenden Gebäude hat leider eben dieses Bild bekommen. Da ist sicherlich alles sehr kurz gegriffen. Man muss einfach erst einmal diese Gebäude bewerten, um daraus zu lernen, welches Potenzial besitzen die Gebäude, welche architektonischen Möglichkeiten entwickeln sich, wenn man eben jedes Bauteil einzeln betrachtet und bewertet, um die Architektursprache zu erhalten und vielleicht auch eine energetisch positive Entwicklung herbeizuführen."

In Berlin zeigt Winfried Brenne, wie das geht. Er hat Mietshäuser aus den 50er-Jahren saniert, in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer Bruno-Taut-Siedlung, die seit 2008 auf der Liste des Weltkulturerbes steht. Statt abzureißen wurde repariert. Die hellen Fensterfronten, zeittypische Blumenfenster und das großzügig verglaste Treppenhaus konnten erhalten werden.

In Kassel hat Alexander Reichel ein Kasernengebäude aus den 70er-Jahren umgewidmet. Die Mitarbeiter der Firma Enco, die Energiekonzepte für Bauherren entwickelt, waren zunächst gar nicht begeistert. Sie wollten in keine Kaserne ziehen, in ein altes Haus, das mit seinen dunklen Fluren nach zu viel Drill und Ordnung riecht. Doch vom Ergebnis sind jetzt alle begeistert. Durch ein paar mutige Eingriffe des Architekten sind offene, helle Räume entstanden, und auch energetisch ist jetzt alles in Ordnung, sagt Prokurist Marin Jost:

"Der Energieverbrauch war vorher bei circa 280 bis 300 Kilowattstunden pro Quadratmeter, und wir sind durch die energetische Sanierung nicht ganz beim Passivhaus aber circa bei 26 bis 30 Kilowattstunden pro Quadratmeter angelangt."

Auch in Kassel verwischt sich der Eindruck, dass eine energetische Sanierung zwangsläufig zulasten der Baukultur geht. Architekt Alexander Reichel:

"Jedes Gebäude hat eine andere Struktur, hat anderes Material. Und natürlich können wir als Architekten darauf reagieren, so wie jetzt bei diesem Gebäude die Speichermasse das Wesentliche, das Wertvolle war, also der dicke Stein, der Beton. Man kennt ja das System ganz gut vom warmen Sommerabend, also ich sitz am Ufer auf einem Stein, der den ganzen Tag über mit Sonne gewärmt worden ist, und der dann diese Wärme zeitverzögert abgibt.

Das ergibt die Chance, wiederum auch mit der Fassade anders umzugehen, weil ich nicht überall nur mit einer einzigen Standard-Dämm-Maßnahme das Gebäude erschlagen muss. Ich muss auch daran denken, dass kein Sondermüll entsteht, das waren alles Dinge, die sich hier dann auch in dem Gebäude widerspiegeln."

Nicht nur in Kassel wird jetzt neu nachgedacht. Beim Tag der Architektur soll das am Wochenende sichtbar werden. Viele Gebäude zeigen den gelungenen Spagat zwischen Energieeffizienz und Baukultur.

Alexander Reichel: "Baukultur hängt ja mit dem räumlichen Ausdruck des Gebäudes zusammen, ähnlich wie beim Auto, es gibt natürlich die PS-Zahl, aber die Schönheit des Autos hängt auch mit der Form, mit der Gestaltung zusammen, und genauso wie wir da mit ganz vielen verschiedenen Aspekten herangehen müssen, kann ich natürlich ein Gebäude nicht auf den Heizwert, auf den Gesamtenergiewert reduzieren, und ich glaube dass das ein ganz wichtiger Punkt ist."

Es gibt allerdings auch viel Mainstream und Belanglosigkeiten, vor allem dann, wenn wie in Nordrhein-Westfalen eine Jury fehlt, die entscheidet, wer zum Tag der Architektur eingeladen wird. Hier müssen die Besucher schon selbst aufpassen, wenn sie ihre Auswahl treffen. Aber die positiven Beispiele zeigen, dass ein Paradigmenwechsel möglich ist.

Bei Neubauten sowieso, aber viele Architekten erforschen auch das Potenzial alter Gebäude, suchen Hilfe bei Spezialisten und arbeiten eng mit den Bauherren zusammen, um neue Sanierungskonzepte zu entwickeln - jenseits der öden Pudelmützen.
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