Energiekrise im Süden

Droht Bayern der Blackout?

08:53 Minuten
Hochspannungs-Verteilermasten im Sonnenuntergang
Bayern untersucht gerade, ob die vorhandene Energiekapazität auch für den Winter reicht. Sollte das Ergebnis negativ ausfallen, müsste wohl ein Atomkraftwerk länger laufen. © imago images / MiS
Von Lorenz Storch |
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Es herrscht Energieknappheit in Deutschland. Gaskraftwerke sollen möglichst nicht betrieben werden. Doch Alternativen dazu sind in Bayern bereits vom Netz gegangen. Und auch die wichtigen Trassen in den Norden lassen auf sich warten.
Der Bayreuther Netzbetreiber Tennet arbeitet derzeit an knapp einem Dutzend Projekten zum Stromnetzausbau in Bayern. Die größten Projekte sind zwei unterirdische Gleichstromtrassen nach Nord- und Ostdeutschland. In praktisch jedem Fall gibt es Kommunen oder Grundstückseigentümer, die sich widersetzen, indem sie den Fachleuten zum Beispiel Probebohrungen nicht erlauben. Das koste Zeit, die Bayern eigentlich gar nicht mehr hat, sagt Ina-Isabelle Haffke von Tennet.
Dörte Hamann ist trotzdem gegen die Trassen. Die Sprecherin des Aktionsbündnisses der Trassengegner kämpft mit ihren Mitstreitern seit mehr als acht Jahren gegen neue, große Stromleitungen durch Bayern. Sie denkt auch jetzt, angesichts der Energiekrise, ganz und gar nicht daran, klein beizugeben. Sie hält die Trassen weiter für überflüssig.
Das Ergebnis: Der Netzausbau in Bayern hinkt dem ursprünglichen Zeitplan weit hinterher. Die großen, erdverkabelten Gleichstromtrassen Südostlink und Südlink hätten eigentlich dieses Jahr verlegt sein sollen, bevor das letzte bayerische Kernkraftwerk Isar 2 stillgelegt wird. Jetzt heißen die neuen Zieldaten 2027 und 2028 – und auch das nennt der Netzbetreiber Tennet „ambitioniert“.

Selbstgemachte Probleme

Bayerns CSU-Ministerpräsident Markus Söder gibt sich deswegen inzwischen entrüstet. Seit Beginn dieses Jahres, als die Ampel-Koalition in Berlin übernommen hat, kritisiert Söder, dass der Stromleitungsbau zu langsam vorangehe: „Wenn wir totalen Überschuss an regenerativer Energie im Norden haben, die aber nicht über Stromleitungen in den Süden kommt, dann stimmt ja das ganze System in Deutschland nicht mehr.“

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Der Fraktionsvorsitzende der Landtagsgrünen, Ludwig Hartmann, schüttelt den Kopf, wenn er das hört. Er erinnert daran, wie die bayerische Staatsregierung zu dieser Situation selbst beigetragen hat: „Seit 2014 wurden die Stromleitungen massiv bekämpft. Seehofer damals hat noch gesagt, man braucht keine Stromleitung in Bayern. Jetzt erleben wir, dass wir eigentlich viel zu spät dran sind.“

Keine "Monstertrassen" mehr

Rückblende ins Jahr 2014. Nachdem die Bundesregierung beschlossen hatte, aus der Atomenergie auszusteigen, bekamen die Übertragungsnetzbetreiber den Auftrag, Gleichstromleitungen durch Deutschland zu planen, damit die Stromversorgung im Süden auch nach dem Ausstieg Ende 2022 gewährleistet bleibt - mit ausdrücklicher Billigung der bayerischen Staatsregierung.
Aber als am 2. Februar 2014 der grob geplante Verlauf des Südostlinks dann vorgestellt wird, kommen die Sprecher des Netzbetreibers kaum zu Wort. Die Stimmung in der Stadthalle Kulmbach ist aufgeheizt. Die Bewohner beklagen sich über die geplanten "Monstertrassen" durch ihre Ortschaft.
Die Politiker sind damals besonders sensibel, denn es ist Kommunalwahlzeit. Es dauert nicht lang, und CSU-Ministerpräsident Horst Seehofer stellt sich an die Seite der Stromtrassengegner: „Ich persönlich und die bayerische Staatsregierung halten diese Stromtrasse von Sachsen-Anhalt nach Meitingen in Schwaben nicht für notwendig – und wir werden alles tun, dass sie nicht kommt.“

Deutschlandweite Mehrkosten

Die CSU-Staatsregierung zweifelt jetzt plötzlich die Notwendigkeit der Leitungen überhaupt an, obwohl sie dem Projekt vorher noch zugestimmt hatte. Verhindern kann Seehofer die Leitungen zwar nicht, aber er sorgt dafür, dass der sogenannte Südostlink nicht durch Oberbayern führt, sondern weiter östlich, durch Ostbayern nach Landshut.
Im Juli 2015 dann der Beschluss: Die Gleichstromtrassen sollen auf Druck Bayerns erdverkabelt werden, und zwar auf ganzer Länge. Die Kosten vervielfachen sich und werden auf die Stromkunden in ganz Deutschland umgewälzt.
Die Planungen müssen daraufhin noch einmal bei Null anfangen. Was dazu führt, dass die großen Gleichstromtrassen selbst im Optimalfall erst Jahre nach dem geplanten Aus der letzten drei Kernkraftwerke fertig werden. Für die Zwischenzeit werden darum Reserve-Gaskraftwerke gebaut, aber die Kosten dafür ebenfalls über die Netzentgelte auf die Stromkunden abgewälzt.
Und heute? Krieg in der Ukraine, Energieknappheit in Deutschland. Um Erdgas zu sparen, sollen Gaskraftwerke möglichst nicht mehr betrieben werden. Jetzt wären die Stromtrassen besonders wichtig, um den Wind- und Kohlestrom aus dem Norden in den Süden zu bringen. Auch für den umgekehrten Weg: Für die großen Ausbaupläne der Staatsregierung bei der Photovoltaik bräuchte es ebenso Stromleitungen, die dann den bayerischen Sonnenstrom nach Norden ableiten.

Braucht es das Atomkraftwerk?

War die Verzögerungspolitik der CSU-Staatsregierung bei den Stromtrassen aus heutiger Sicht ein Fehler? Eine Nachfrage dazu lassen Söder und die bayerische Staatskanzlei unbeantwortet. Der Bayreuther Netzbetreiber Tennet konstatiert, inzwischen sei mehr Unterstützung der bayerischen Genehmigungsbehörden für die Trassenplanungen da. Doch CSU-Landräte und –Bürgermeister, vor allem in Ostbayern, stellen sich weiterhin gegen die Trassenpläne und unterstützen zum Beispiel Klagen vor Gericht.
Dörte Hamann vom Aktionsbündnis der Trassengegner macht klar: Für sie ist die Energiekrise kein Grund, ihre Einstellung gegen neue, große Stromleitungen zu überdenken. Schuld an der Misere sei die CSU-Staatsregierung, die vor allem den Ausbau der Windkraft im Freistaat sabotiert habe. Bayern brauche in der jetzigen Notlage zwar Strom von außen, aber „die vorhandenen Leitungen müssen dafür reichen", so Hamann. "Man kann wirklich nur empfehlen, jetzt endlich zeitnah Lösungen für die Energieversorgung und für die Versorgungssicherheit Bayerns zu finden.“
Zurzeit läuft ein neuer, sogenannter Stresstest im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums. Er soll zeigen, ob Bayern in der jetzigen Energiekrise wirklich sicher ohne Blackout über den Winter kommt - obwohl die großen Stromtrassen noch lange nicht fertig sind und nur wenige Kraftwerke im Freistaat laufen.
Lautet die Antwort nein, könnte die Abschaltung des Atomkraftwerks Isar 2 verschoben werden. Aber das wäre vielen bayerischen Trassengegnern erklärtermaßen auch nicht recht.
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