Energiekrise

Die Stunde von Lowtech

Eine junge Frau steht auf einer einsamen Strasse, ihr Gesicht wird vom Smartphone beleuchtet, darüber ein spektakulärer Sternenhimmel.
Smartphones an sich sind äußerst energieeffizient, erklärt Adrian Lobe: Die Serverfarmen, die sie am Laufen halten, machen sie zu Stromfressern. © Getty Images / Aerialperspective Images
Ein Einwurf von Adrian Lobe |
Kerzen statt Glühbirnen, Bücher statt E-Books, Fahrrad statt Auto: In der Energiekrise schlägt die Stunde von Lowtech. Das ist nicht nur Retro, sondern auch richtig gut fürs Klima auf diesem Planeten, meint der Politikwissenschaftler Adrian Lobe.
Es ist schon seltsam: Da schalten Städte das Licht von öffentlichen Gebäuden ab und fahren die Heizungen runter, decken sich Bürger mit Brennholz, Kerzen und Teelichtern ein, um Energie zu sparen und eine pseudoländliche Wohlfühlatmosphäre in ihren Wohnstuben zu erzeugen.
Doch noch immer leuchten in Bussen und Bahnen die Smartphones und Tablets in die reizüberfluteten Augen der Leute. Hier ein Youtube-Clip, da ein Instagram-Post – ohne Smartphone und Internet könnte mancher wohl nicht leben. Wenn der Akku leer ist, lädt man ihn eben wieder auf. Der Strom kommt schließlich aus der Steckdose!

Anwendungen machen Smartphones zu Stromfressern

Smartphones sind äußerst energieeffizient. Eine Ladung kostet selbst bei den aktuell hohen Strompreisen nicht mal einen Cent. Läppisch, könnte man meinen! Doch das ist eine Milchmädchenrechnung. Denn die eigentlichen Stromfresser sind nicht die mobilen Endgeräte, sondern die Anwendungen – genauer gesagt: die Serverfarmen, die sie am Laufen halten.
E-Mails, Streaming, Gaming: Rechenzentren verbrauchen schon gut ein Prozent der globalen Stromproduktion und pusten dabei mehr CO2 als die gesamte Luftfahrtindustrie in die Luft. Die wolkige Rhetorik von der sauberen Cloud vernebelt die Tatsache, dass das Internet einen unsichtbaren Auspuff hat.

Bitcoin Server verbrauchen besonders viel Strom

Allein das Training einer künstlichen Intelligenz emittiert laut einer US-Studie so viel Kohlendioxid wie fünf Autos in ihrem gesamten Lebenszyklus. Auch Kryptowährungen sind alles andere als umweltfreundlich: So verbrauchten die heiß laufenden Bitcoin-Server, die teils mit schmutziger Kohlekraft betrieben werden, zeitweise mehr Strom als Argentinien, ein Land mit 46 Millionen Einwohnern.
China hat den digitalen Goldschürfern, den Minern, die mit ihren Hochleistungsrechnern komplizierte mathematische Rätsel lösen, bereits den Stecker gezogen, weil es immer wieder Stromausfälle gab. In der Energiekrise könnte daher die Stunde von Lowtech schlagen: Fahrrad statt Auto, Bücher statt E-Books, Straßenatlas statt GPS.

Auch im digitalen Zeitalter braucht es Autonomie

Natürlich haben digitale Dienste ihre Vorzüge, und es geht auch nicht darum, Technikpessimismus zu verbreiten und einem rückständigen Analog-Leben das Wort zu reden. Es geht um etwas anderes: um Resilienz und Autonomie.
Was machen wir eigentlich, wenn Google Maps den Dienst verweigert und der digitale Autoschlüssel streikt? Warum muss man mit seinem Smartphone GPS-Satelliten anfunken, um sich wie ein ferngesteuerter Roboter 200 Meter über die Straße zur nächsten Fast-Food-Filiale lotsen zu lassen? Warum muss man Notizen in die Cloud hochladen, wo es Bleistift und Papier gibt?

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Die moderne, individualistische Gesellschaft ist extrem abhängig von digitalen Technologien und die sind wiederum sehr verwundbar und anfällig. Eine Cyberattacke oder die Sabotage eines Internetkabels genügen, um ganze Landstriche lahmzulegen.
So kam es im vergangenen Dezember bei Amazons Cloudsparte AWS zu einem Server-Ausfall, von dem Millionen Menschen auf der ganzen Welt betroffen waren: Der Saugroboter Roomba verweigerte den Dienst, Tinder-Nutzer konnten nicht mehr flirten, und auch die sonst so gesprächige virtuelle Assistentin Alexa schwieg plötzlich. Da half nur Abwarten und Tee trinken.

Eigenes Denken ist energiesparend

Vielleicht sollte man einfach mal den eigenen Denkapparat einschalten. Das menschliche Gehirn verbraucht lediglich 20 Watt. Zum Vergleich: Die Jeopardy-Version von IBMs Supercomputer Watson benötigte 85.000 Watt, um bei der Rateshow zwei menschliche Spieler zu bezwingen. Es gibt nichts, was so energiesparend und klimafreundlich ist wie eigenes Denken.

Adrian Lobe, Jahrgang 1988, hat in Tübingen, Heidelberg und Paris Politik- und Rechtswissenschaft studiert. Seit 2014 arbeitet er als freier Journalist für diverse Medien im deutschsprachigen Raum, unter anderem „Die Zeit“, „NZZ“, „Süddeutsche Zeitung“. 2016 wurde er für seine Artikel über Datenschutz und Überwachung mit dem Preis des Forschungsnetzwerks „Surveillance Studies“ ausgezeichnet. Er ist zudem Träger des Georg von Holtzbrinck Preises für Wissenschaftsjournalismus. Im September erschien bei C.H. Beck sein neues Buch „Mach das Internet aus, ich muss telefonieren“.

Adrian Lobe
© privat
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