Anna-Sofie Gerth ist Sozialarbeiterin und Diakonin. Sie leitet die City-Station der Berliner Stadtmission in Berlin-Charlottenburg.
Wärmehallen
In der aktuellen Diskussion kommt Anna-Sofie Gerth ein Gemälde des Künstlers Jens Birkholm von 1908 in den Sinn: Es gewährt Einblick in die Wärmehallen von damals. © picture alliance / akg-images
Hilfsangebot mit sozialem Sprengstoff
Was tun, wenn im Winter das Geld fehlt, um zu heizen? Betroffenen Menschen Wärmehallen bereitzustellen, ist zu kurz gedacht, findet die Sozialarbeiterin Anna-Sofie Gerth. Bestehende Konflikte zwischen Hilfsbedürftigen könnten sich dort verschärfen.
Es ist Spätsommer im Jahr 2022 und in Berlin wird diskutiert, ob es im Winter Wärmehallen für Menschen geben muss, die frieren werden und einen kostenlosen Ort zum Aufwärmen brauchen.
Als Sozialarbeiterin kommt mir bei dem Begriff Wärmehallen ein Bild in den Sinn, das ich im Studium kennengelernt habe. Bereits im Januar 1895 gab es in Berlin Wärmehallen. Gefüllt mit bis zu 4000 Menschen, die Tagesasyl gesucht haben. Menschen, die damals ebenso gefroren haben und sich in diese Räumlichkeiten begeben haben, in denen strenge Hausregeln herrschten.
Der Künstler Jens Birkholm hat 1908 ein Bild gemalt, welches einen Einblick in diese Wärmehallen gewährt. Es hängt in der Berlinischen Galerie und vermittelt eher ein dunkles Bild von Männern in Mänteln und Hüten.
Eigentlich ein Angebot für Obdachlose
Jahrzehntelang gab es Wärmestuben jetzt nur noch für Menschen ohne Wohnung oder Obdach. Wobei, so ganz stimmt das nicht. Die City-Station der Berliner Stadtmission, die ich leite, ist zwar in erster Linie ein Angebot für wohnungslose Menschen, aber unser Café und Restaurant wird auch viel von Menschen besucht, die eine Wohnung haben. Sie sind arm, oft alt und einsam, und die Wärme, die sie bei uns suchen, lässt sich nicht in Grad Celsius messen.
Wie wird es dort im Herbst und Winter aussehen? Werden wir noch in der Lage sein, all die Menschen zu versorgen, die dann zusätzlich zu uns kommen werden? Und was wird in den städtischen Wärmehallen passieren?
Wenn die Heizung zu Hause zu teuer wird
Die sollen Orte für Menschen mit Obdach sein, die es sich aber nicht mehr leisten können, zu Hause die Heizung aufzudrehen. Vermutlich werden Menschen, die ihr ganzes Leben wenig Geld auf dem Konto haben, den ersten Schritt in eine Wärmehalle machen: Menschen in Altersarmut, die es gelernt haben, ihr Leben mit wenig Mitteln zu gestalten.
Jede fünfte alleinlebende Frau über 65 Jahren lebt in Altersarmut. Das sind Seniorinnen, die wissen, wie man mit wenig Geld viel zaubert. Und es sind Frauen, die bisher immer kreative Lösungen gefunden haben, um Kultur und Teilhabe zu erfahren, doch die jetzt an ihre Grenzen stoßen werden.
Wer wird Hilfe in Anspruch nehmen müssen?
Ich sehe Menschen vor mir, die sich für ihre kleine Rente schämen und sich sogar dafür rechtfertigen. Es sind Senior:innen, die stolz darauf sind, dass sie bisher keine Hilfe in Anspruch genommen haben, und nun werden diese Menschen in Hallen sitzen. Zusammen mit anderen Bedürftigen: Darunter werden Familien mit kleinen Kindern sein, Arbeitslose, Geflüchtete.
Auch die, die schon vor der Zeit der Wärmehallen gefroren haben, sind weiterhin da und werden diese Orte nutzen. Es werden sich dort auch Menschen aufhalten, die obdachlos sind. Oder deren Leben von Drogenkonsum geprägt ist. Wie wird es sein, wenn diese Menschengruppen in den Wärmehallen aufeinandertreffen?
Bereits jetzt gibt es in Einrichtungen der Obdachlosenhilfe Konkurrenz und Konflikte. Es gibt unter Obdachlosen Gruppen, die sich für besser als andere halten. In den Einrichtungen kämpfen wir täglich gegen Rassismus und insbesondere Antiziganismus in verschiedenen Gruppen an.
Ein sozialpädagogisches Konzept fehlt
Wie wird das in den Wärmehallen sein? Werden die Menschen dort unter strengen Regeln in einem Raum sitzen und sich mit Argwohn betrachten? Wird man am Ende noch darüber diskutieren, ob in diese Hallen überhaupt obdachlose Menschen hineindürfen?
Es ist gut, dass die Politik angesichts der explodierenden Heizkosten etwas für Menschen in finanzieller Armut tun will. Und es ist gut, dass sie bei dem Thema finanzielle Armut nicht nur mit dem Verweis auf die Tafeln antwortet. Doch ohne ein sozialpädagogisches Konzept, ist meine Sorge, werden die Wärmehallen des Winters kein Ort des Friedens sein.