Energierechtsexperte: Rechtslage für Atomausstieg eindeutig
Was zu erwartende Klagen der Stromkonzerne gegen den Atomausstieg angeht, sehe er den Staat "auf der sicheren Seite", sagt der auf Energierechtsfragen spezialisierte Rechtsanwalt und Buchautor Peter Becker. "Man braucht jetzt einfach einen Maßstab der absoluten Sicherheit, und der ist mit Kernkraftwerken nicht zu erreichen."
Jan-Christoph Kitzler: 2021 ist Schluss mit der Kernkraft in Deutschland – oder? Zumindest die Bundeskanzlerin zeigte sich gestern, wie man in solchen Fällen wohl sagt, zutiefst überzeugt. Die Opposition kritisiert aber die Hintertürchen, zum Beispiel, dass bis zu drei Meiler noch ein Jahr länger auf Stand-by gehalten werden können, falls es mit der Energiewende doch nicht so schnell vorangeht wie geplant. Die vier großen Stromkonzerne und Kernkraftwerksbetreiber in Deutschland waren gestern relativ zurückhaltend. RWE und E.ON haben immerhin angekündigt, sie wollen nun über eine Klage nachdenken. Finden die Konzerne noch juristische Pferdefüße oder dämmert ihnen allmählich, dass die Energiewende endgültig ist? Der Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg – darüber will ich jetzt sprechen mit Peter Becker aus Marburg. Er ist Gründer der größten deutschen Energierechtskanzlei und im letzten Jahr hat er das viel beachtete Buch "Aufstieg und Krise der deutschen Stromkonzerne" veröffentlicht. Schönen guten Morgen!
Peter Becker: Guten Morgen!
Kitzler: So eine Energiewende ist ja eine juristisch nicht ganz einfache Angelegenheit – können Sie denn mit dem jetzt gewählten Weg leben, aus Ihrer Sicht?
Becker: Ja, denn die Rechtslage ist ziemlich eindeutig. Früher war es ja für Kläger gegen Atomkraftwerke eher kritisch, ihnen wurde das Restrisiko entgegengehalten, das heißt, die Gesellschaft musste ein bestimmtes, nicht ganz festlegbares Risiko aus dem Betreiben von Atomkraftwerken hinnehmen. Das war eine Folge des technischen Fortschritts. Es galt der Maßstab der praktischen Vernunft, das war das Wissen der führenden Kernkrafttechniker und -physiker, die in der Reaktorsicherheitskommission zusammen waren. Darauf beriefen sich die Richter, und solche Entscheidungen ergingen dann in großem Umfang gegen Atomkraftkritiker. Das waren eben Szenarien, die jenseits der praktischen Vernunft lagen. Und das Blättchen hat sich gewendet, es hat viele große Unfälle gegeben, die Sicherheitsabschätzungen aus den USA im sogenannten Rasmussen-Report waren viel zu optimistisch. Die Eintrittswahrscheinlichkeit von Unfällen war viel größer, und so hat sich im Laufe der Zeit auch in Deutschland sehr viel atomkritischer Sachverstand aufgebaut, und zwar in den Atomaufsichtsbehörden selbst. Grüne waren in Hessen und in Schleswig-Holstein für die Atomaufsicht zuständig, und so wurde der atomkritische Sachverstand immer mehr Bestandteil auch der Aufsichtstätigkeit der Ministerien. Dann waren es sogar über zehn Jahre Atomaufsicht in den Händen der Grünen im Bund, und so ist Deutschland einzigartig in der Welt praktisch in der Situation, dass der Staat selbst Atomkritik aufgebaut hat, und nur so ist der erste Ausstiegsbeschluss zu erklären.
Kitzler: Zwei wichtige Stichpunkte haben Sie schon gegeben: einmal die Neubewertung des Restrisikos und andererseits die Frage der praktischen Vernunft. Wie muss das denn jetzt gefasst werden, damit das auch juristisch wasserdicht ist und vor möglichen Gerichtsverfahren Bestand hat?
Becker: So wie Minister Röttgen das schon formuliert hat. Er hat gesagt, in Japan hat uns Fukushima vor Augen geführt, dass selbst ein Hochtechnologieland wie Japan bei den Abschätzungen, bei der Auslegung der Sicherheit von Kernkraftwerken danebenliegen kann. Dieselben Erfahrungen hat man bei vielen anderen Kernkraftwerken gemacht, und das hat dazu geführt, dass man das Restrisiko neu bewerten kann. Man braucht jetzt einfach einen Maßstab der absoluten Sicherheit, und der ist mit Kernkraftwerken nicht zu erreichen.
Kitzler: Muss das gefasst werden in einem neuen Gesetz, in einem neuen Atomausstiegsgesetz?
Becker: Das könnte man reinschreiben. Meines Erachtens ist es aber nicht nötig, denn schon in den Stilllegungsanordnungen für die sieben alten Meiler – mir liegt der für Biblis A vor – klingt das schon an, und das könnte der Staat dann auch genauer definieren. Eine gesetzliche Regelung, mit der man das festlegt, ist meines Erachtens nicht erforderlich. Der Staat kann mit dem Gesetz den Ausstieg anordnen und kann in der amtlichen Begründung beschreiben, worauf das beruht, schwierig ist das meines Erachtens nicht. Ich sehe die rechtlichen Änderungen, die da ins Haus stehen, als wasserdicht an, der Staat ist auf der sicheren Seite.
Kitzler: Sie haben ja schon viele Prozesse gegen die vier großen Stromkonzerne geführt – ist deren Quasimonopol jetzt eigentlich am Ende?
Becker: Die Konzerne werden mit ihrem Einfluss stark zurückgehen. Interessant ist, dass die Unternehmen sich ja ganz unterschiedlich aufgestellt haben. E.ON beispielsweise hat – so wie ich das analysiere – den Ausstieg im Jahr 2000/2002 ernst genommen und hat seine Tätigkeit weitgehend ins Ausland verlegt, 25 bis 30 Prozent des Umsatzes wird noch in Deutschland gemacht, der Rest woanders. Bei RWE ist das ganz anders. Bei RWE sind es noch um die zwei Drittel, die in Deutschland gemacht werden, und deswegen wird RWE von dem Ausstieg aus der Kernkraft deutlich stärker getroffen als E.ON. EnBW ist sowieso ein ganz interessanter Konzern, weil er ja jetzt durch die Kapitalmehrheit in der Hand des Staates beziehungsweise der Kreise und Kommunen einen neuen Weg gehen wird, und der Staat wird sich überlegen müssen, wie er die Führung des Konzerns jetzt aufbaut, damit die Energiewende in einem deutschen Stromkonzern – das muss man sich klarmachen – dann auch durchgezogen wird.
Kitzler: Sie haben schon viel das Handeln der Regierung gelobt, halten Sie auch den Weg für richtig, der gegangen wurde, nämlich mit einer Ethikkommission, in der ja nicht nur Techniker da waren, sondern auch Ethikfachleute, Soziologen, die ganz unterschiedlich besetzt war, auch mit Kirchenmännern?
Becker: Ein Bischof, genau. Das war auch eine kluge Entscheidung, muss ich sagen, denn die Fragen Restrisiko, praktische Vernunft, Zumutbarkeit für die Gesellschaft sind vom Bundesverfassungsgericht ja in eine fast staatsphilosophische Ebene gehoben worden – das war die berühmte Kalkar-Entscheidung aus dem Jahr 1978. Und wenn das so war, wenn das also praktisch eine Frage der gesellschaftlichen Zumutbarkeit war, die der Gesetzgeber beurteilt hat, dann war es jetzt richtig, dass man diese Fragen der gesellschaftlichen Zumutbarkeit heute auch praktisch im Vorfeld einer Gesetzgebung von Leuten aus der Gesellschaft eine gewisse Repräsentativität beantworten ließ. Ich habe die Beschlüsse der Ethikkommission gelesen, das, muss ich sagen, ist klug, eine ausgesprochen überzeugende Einleitung zum Ausstieg. Dann der weitaus größere Teil befasst sich ja mit dem Umstieg, das ist seriös, das hat richtig Bestand – also ich muss sagen, ich bin sehr beeindruckt und glaube, das wird halten.
Kitzler: So sieht es Peter Becker. Er hat im letzten Jahr das Buch "Aufstieg und Krise der deutschen Stromkonzerne" veröffentlicht und er ist Mitgründer der größten deutschen Energierechtskanzlei. Haben Sie vielen Dank und einen schönen Tag!
Becker: Ich danke Ihnen!
Peter Becker: Guten Morgen!
Kitzler: So eine Energiewende ist ja eine juristisch nicht ganz einfache Angelegenheit – können Sie denn mit dem jetzt gewählten Weg leben, aus Ihrer Sicht?
Becker: Ja, denn die Rechtslage ist ziemlich eindeutig. Früher war es ja für Kläger gegen Atomkraftwerke eher kritisch, ihnen wurde das Restrisiko entgegengehalten, das heißt, die Gesellschaft musste ein bestimmtes, nicht ganz festlegbares Risiko aus dem Betreiben von Atomkraftwerken hinnehmen. Das war eine Folge des technischen Fortschritts. Es galt der Maßstab der praktischen Vernunft, das war das Wissen der führenden Kernkrafttechniker und -physiker, die in der Reaktorsicherheitskommission zusammen waren. Darauf beriefen sich die Richter, und solche Entscheidungen ergingen dann in großem Umfang gegen Atomkraftkritiker. Das waren eben Szenarien, die jenseits der praktischen Vernunft lagen. Und das Blättchen hat sich gewendet, es hat viele große Unfälle gegeben, die Sicherheitsabschätzungen aus den USA im sogenannten Rasmussen-Report waren viel zu optimistisch. Die Eintrittswahrscheinlichkeit von Unfällen war viel größer, und so hat sich im Laufe der Zeit auch in Deutschland sehr viel atomkritischer Sachverstand aufgebaut, und zwar in den Atomaufsichtsbehörden selbst. Grüne waren in Hessen und in Schleswig-Holstein für die Atomaufsicht zuständig, und so wurde der atomkritische Sachverstand immer mehr Bestandteil auch der Aufsichtstätigkeit der Ministerien. Dann waren es sogar über zehn Jahre Atomaufsicht in den Händen der Grünen im Bund, und so ist Deutschland einzigartig in der Welt praktisch in der Situation, dass der Staat selbst Atomkritik aufgebaut hat, und nur so ist der erste Ausstiegsbeschluss zu erklären.
Kitzler: Zwei wichtige Stichpunkte haben Sie schon gegeben: einmal die Neubewertung des Restrisikos und andererseits die Frage der praktischen Vernunft. Wie muss das denn jetzt gefasst werden, damit das auch juristisch wasserdicht ist und vor möglichen Gerichtsverfahren Bestand hat?
Becker: So wie Minister Röttgen das schon formuliert hat. Er hat gesagt, in Japan hat uns Fukushima vor Augen geführt, dass selbst ein Hochtechnologieland wie Japan bei den Abschätzungen, bei der Auslegung der Sicherheit von Kernkraftwerken danebenliegen kann. Dieselben Erfahrungen hat man bei vielen anderen Kernkraftwerken gemacht, und das hat dazu geführt, dass man das Restrisiko neu bewerten kann. Man braucht jetzt einfach einen Maßstab der absoluten Sicherheit, und der ist mit Kernkraftwerken nicht zu erreichen.
Kitzler: Muss das gefasst werden in einem neuen Gesetz, in einem neuen Atomausstiegsgesetz?
Becker: Das könnte man reinschreiben. Meines Erachtens ist es aber nicht nötig, denn schon in den Stilllegungsanordnungen für die sieben alten Meiler – mir liegt der für Biblis A vor – klingt das schon an, und das könnte der Staat dann auch genauer definieren. Eine gesetzliche Regelung, mit der man das festlegt, ist meines Erachtens nicht erforderlich. Der Staat kann mit dem Gesetz den Ausstieg anordnen und kann in der amtlichen Begründung beschreiben, worauf das beruht, schwierig ist das meines Erachtens nicht. Ich sehe die rechtlichen Änderungen, die da ins Haus stehen, als wasserdicht an, der Staat ist auf der sicheren Seite.
Kitzler: Sie haben ja schon viele Prozesse gegen die vier großen Stromkonzerne geführt – ist deren Quasimonopol jetzt eigentlich am Ende?
Becker: Die Konzerne werden mit ihrem Einfluss stark zurückgehen. Interessant ist, dass die Unternehmen sich ja ganz unterschiedlich aufgestellt haben. E.ON beispielsweise hat – so wie ich das analysiere – den Ausstieg im Jahr 2000/2002 ernst genommen und hat seine Tätigkeit weitgehend ins Ausland verlegt, 25 bis 30 Prozent des Umsatzes wird noch in Deutschland gemacht, der Rest woanders. Bei RWE ist das ganz anders. Bei RWE sind es noch um die zwei Drittel, die in Deutschland gemacht werden, und deswegen wird RWE von dem Ausstieg aus der Kernkraft deutlich stärker getroffen als E.ON. EnBW ist sowieso ein ganz interessanter Konzern, weil er ja jetzt durch die Kapitalmehrheit in der Hand des Staates beziehungsweise der Kreise und Kommunen einen neuen Weg gehen wird, und der Staat wird sich überlegen müssen, wie er die Führung des Konzerns jetzt aufbaut, damit die Energiewende in einem deutschen Stromkonzern – das muss man sich klarmachen – dann auch durchgezogen wird.
Kitzler: Sie haben schon viel das Handeln der Regierung gelobt, halten Sie auch den Weg für richtig, der gegangen wurde, nämlich mit einer Ethikkommission, in der ja nicht nur Techniker da waren, sondern auch Ethikfachleute, Soziologen, die ganz unterschiedlich besetzt war, auch mit Kirchenmännern?
Becker: Ein Bischof, genau. Das war auch eine kluge Entscheidung, muss ich sagen, denn die Fragen Restrisiko, praktische Vernunft, Zumutbarkeit für die Gesellschaft sind vom Bundesverfassungsgericht ja in eine fast staatsphilosophische Ebene gehoben worden – das war die berühmte Kalkar-Entscheidung aus dem Jahr 1978. Und wenn das so war, wenn das also praktisch eine Frage der gesellschaftlichen Zumutbarkeit war, die der Gesetzgeber beurteilt hat, dann war es jetzt richtig, dass man diese Fragen der gesellschaftlichen Zumutbarkeit heute auch praktisch im Vorfeld einer Gesetzgebung von Leuten aus der Gesellschaft eine gewisse Repräsentativität beantworten ließ. Ich habe die Beschlüsse der Ethikkommission gelesen, das, muss ich sagen, ist klug, eine ausgesprochen überzeugende Einleitung zum Ausstieg. Dann der weitaus größere Teil befasst sich ja mit dem Umstieg, das ist seriös, das hat richtig Bestand – also ich muss sagen, ich bin sehr beeindruckt und glaube, das wird halten.
Kitzler: So sieht es Peter Becker. Er hat im letzten Jahr das Buch "Aufstieg und Krise der deutschen Stromkonzerne" veröffentlicht und er ist Mitgründer der größten deutschen Energierechtskanzlei. Haben Sie vielen Dank und einen schönen Tag!
Becker: Ich danke Ihnen!