Energiewende in Bayern
Fernwärme ist nicht nur für Großstädte eine Option. Auch immer mehr kleine Orte setzen angesichts der Klimaziele auf die Rohrnetze. © Getty Images / imantsu
Besser heizen fürs Klima
10:12 Minuten
Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden, Bayern sogar bis 2040. Fossil betriebene Gebäudeheizungen gelten auf diesem Weg als größte Herausforderung. So werden bayerische Kommunen aktiv, um ihre Bürger umweltfreundlich mit Wärme zu versorgen.
In Bayern werden drei Viertel der Häuser noch fossil beheizt, vor allem Ölheizungen sind weit verbreitet. Dabei will das Bundesland bis 2040 klimaneutral werden, die ganze Republik fünf Jahre später. Die Heizungen in Gebäuden weg von fossilen Brennstoffen zu bringen, sehen Experten als das dickste Brett, das dabei zu bohren ist.
Eine wichtige Rolle dabei spielen Stadtwerke – auch kleine, wie etwa das in Neuburg an der Donau, einer Stadt mit knapp 30.000 Einwohnern. Fernwärme wird hier erst seit wenigen Jahren angeboten, aber die Nachfrage ist bei Bürgerinnen, Bürgern und Betrieben hoch. Zumal sie wissen, dass ein Großteil dieser Wärmeenergie aus klimafreundlicher Quelle kommt – und zwar aus einem Industriegebiet am Rand der Stadt.
Abwärme aus Glasschmelze verpufft nicht mehr
Hier stellt die Firma Verallia Glasverpackungen für Lebensmittel her, unter anderem die Gläschen für die Babynahrung von Hipp. Glasherstellung braucht viel Hitze und damit viel Energie. Ein rot-weiß gestreifter Schlot bläst Abgas in den Himmel. Am Fuß des Kamins führen Metallrohre in einen Nachbarkomplex. Hier kommt die Fernwärme für Neuburg her.
„Über das obere Rohr geht die Abwärme zur Stadt rüber“, erklärt Matthias Meile, der Energiebeauftragte des Werks. „Und über das untere Rohr geht die Abwärme wieder zurück zu unserer Anlage, und dann wieder über den Kamin in die Atmosphäre.“
Dass die Abwärme aus der Glasschmelze nicht mehr einfach verpufft, wie es 40 Jahre lang der Fall war, gefällt Meile gut. „Das ist für uns auch ein finanzieller Aspekt, weil wir dafür Erlöse erzielen.“ Andererseits sei es natürlich auch gut für die Umwelt: Die 24 bis 25 Millionen Kilowattstunden Abwärme, die sie im Jahr lieferten, entsprächen in etwa dem Energiebedarf von tausend Einfamilienhäusern.
Neuburg will noch mehr Abwärme
Die dafür nötigen Voraussetzungen haben die kommunalen Neuburger Stadtwerke geschaffen. Sie haben eine Wärmezentrale auf das Betriebsgelände von Verallia gebaut. Über mehrere Stockwerke laufen hier ineinander verschlungene Rohre, die beispielsweise dem Kondensatrücklauf des Abhitzkessels dienten, erklärt der verantwortliche Roland Wein.
Bald soll in Neuburg noch ein weiteres Unternehmen Abwärme liefern: der Dämmstoffhersteller Rockwool. „Dann sind wir in Neuburg in der Lage, über ein Drittel des gesamten Wärmebedarfs südlich der Donau aus Abwärme zu stemmen“, sagt Richard Kuttenreich, der Chef der Neuburger Stadtwerke.
60 Millionen Euro Schulden
Fernwärmeleitungen zu bauen, ist allerdings sehr teuer. Das muss man sich als Kommunalunternehmen erst einmal trauen – auch wenn es dafür Förderung vom Staat gibt. Rund 60 Millionen Euro Schulden haben die kleinen Neuburger Stadtwerke aufnehmen müssen. Daran gab es durchaus Kritik. Und tatsächlich: Geld hätten sie keins, sagt Kuttenreich. „Deswegen müssen wir sehr, sehr genau schauen: Wie sehen die Kapitalrückflusszeiten aus? Welchen Invest können wir uns Jahr für Jahr leisten?“ Das gehe nur Schritt für Schritt. „Aber es ist so, dass wir in den letzten Jahren immer mehr die schwarze Null hatten.“
Fernwärme ist eine Investition in die Zukunft. Wenn die Rohre einmal unter der Erde liegen, bleiben sie dort sehr lange. Eine Stadt wie München hat ihr großes Wärmeleitungsnetz über einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren aufgebaut. Etwa 30 Jahre dauert es, bis sich Investitionen in Fernwärme amortisieren.
„Da muss man einen langen Atem haben“, so der Chef der Neuburger Stadtwerke Richard Kuttenreich. „Deswegen kommen wahrscheinlich nur Kommunen infrage und keine privatrechtlichen Gesellschaften.“ Sie bauten erst mal einen Berg Schulden auf. „Aber der Rückfluss kommt. Wir sehen ja, dass bei allen anderen Energieträgern, ob Öl oder Gas, die CO2-Besteuerung kommt – und die Abwärme hat eben keine Steuer drauf.“ Das heißt: Auch wenn zunächst größere Investitionen nötig sind – langfristig kommt der Wechsel zu CO2-freien Alternativen bei der Heizung billiger.
Hackschnitzel schlagen Öl
Diese Einsicht ist aber längst noch nicht überall angekommen, wie das Beispiel Gößweinstein in der Fränkischen Schweiz zeigt. Hier hat die Kommune ein Netz für die Nahwärme – wie die Fernwärme hier heißt – initiiert, das gerade in Betrieb gegangen ist, beheizt mit Hackschnitzeln. Damit wolle die Gemeinde einen Beitrag leisten, dass weniger Öl verbrannt und damit CO2 eingespart werde, sagt der zweite Bürgermeister Georg Bauernschmidt. Und die Gemeinde wollte möglichst viele mit dieser Nahwärme versorgen.
Doch als der Heizölpreis im vergangenen Jahr stark gesunken ist, sind viele Interessenten abgesprungen – weil es sich kurzfristig scheinbar nicht lohnte. Das Gößweinsteiner Nahwärmenetz musste viel kleiner werden als zunächst geplant. Nachdem die Heizölpreise inzwischen wieder gestiegen sind, bedauern so manche ihre Entscheidung gegen die Nahwärme. Doch nun ist es zu spät.
Freiwilliges Engagement der Kommunen
Die Beharrungskräfte sind groß, seufzt Markus Ruckdeschel von der Energieagentur Nordbayern, die den Markt Gößweinstein bei seinem Nahwärmenetz beraten hat. Dabei ist bereits klar, dass Öl und Gas schon wegen des CO2-Preises immer teurer werden in den kommenden Jahren.
Jede Bürgerin, jeder Bürger einer Kommune, die bei der Frage nach der Wärmeversorgung selbst aktiv wird, könne sich glücklich schätzen, meint Ruckdeschel. Die Kommunen seien nicht verpflichtet dazu, hier tätig zu werden. „Aber es gibt trotzdem viele, viele kommunale Vertreter, die sich diesen Schuh anziehen. Und die kann man eigentlich nur loben.“
Lokaler Brennstoff ohne Kostenrisiko
200 Kilometer südlich liegt eine weitere engagierte Kommune: Dorfen im Landkreis Erding, östlich von München. Die Stadt hat 15.000 Einwohner. Hier kümmert sich das Stadtwerk um umweltfreundliche Fernwärme aus Hackschnitzeln. Am Rand der Stadt steht ein Heizwerk. Das sei wesentlich sinnvoller, als wenn jeder Dorfener Haushalt einzeln Holz anschürt, erklärt der technische Leiter der Stadtwerke Alois Huber.
Der Vorteil sei, dass die Abgase an einem Ort erzeugt werden – mit optimaler Brenntechnik und Abgasreinigung, so Huber. „Wir haben im Talkessel von Dorfen keine oder deutlich reduzierte Abgase und reduzieren damit auch die Kohlendioxidbelastung.“
Die Hackschnitzel kommen zum Großteil aus dem Dorfener Stadtwald, den die Stadtwerke selbst bewirtschaften. Ein lokaler Brennstoff ohne weiten Transportweg und ohne Kostenrisiko. An die Fernwärme mit 20 Kilometer Leitung ist inzwischen der Großteil der Kernstadt angeschlossen. Jedes Jahr kämen ein, zwei Kilometer Wärmeleitungen hinzu, sagt Huber.
Neuburg, Gößweinstein, Dorfen: Dass sich auch kleinere Kommunen zuständig fühlen für eine umweltfreundliche und kostengünstige Wärmeversorgung ihrer Bürger, kommt immer häufiger vor. Doch selbstverständlich ist es in Bayern und Deutschland noch lange nicht.
Audio: Lorenz Storch
Onlinetext: abr
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