Der Sound des Windrads
Ein Berliner Künstler hat sich eine ungewöhnliche Aktion ausgedacht, die Menschen für die alternative Stromproduktion begeistern soll: Er bietet geführte Audiotouren durch einen Windpark im brandenburgischen Havelland an.
Zug-Ansage: "Nächster Halt Nauen, dieser Zug endet dort. Fahrgäste bitte alle aussteigen."
Weder der graue Himmel noch der eisige Wind trüben die gute Laune von Karl-Heinz Jeron und seiner dreiköpfigen Besuchergruppe beim Aussteigen aus dem Regionalexpress. Im Gegenteil, Wind ist heute mehr als erwünscht. Karl-Heinz Jeron und seine kleine Truppe wollen an diesem Nachmittag zu den Windrädern der Nauener Platte. Seit über 30 Jahren arbeitet Jeron als Künstler. Die neueste Idee des 51-Jährigen sind geführte Audio-Wanderungen durch Windkraftanlagen:
"Ich halte mich da ein bisschen an John Cage. Er sagte einfach, wenn ein Geräusch stört, dann soll man genau hinhören. Das nehme ich wörtlich, ich denk mir einfach, wenn man etwas als unangenehm empfindet oder als störend, wenn man sich mit beschäftigt, entdeckt man vielleicht was Interessantes und dann ist das auf einmal nicht mehr störend."
Gleich hinterm Bahnhof hält ein Transporter vor der kleinen Gruppe. Die kurze Fahrt geht durch menschenleere und trostlos wirkende Straßen zum Stadtrand. Durch die nebelfeuchten Minibusscheiben halten die drei Besucher gespannt Ausschau nach den ersten Windrädern, auch Dorothea Etzlar. Sie ist eine Bekannte von Jeron, selbst Videokünstlerin und gespannt auf den heutigen Tag. Den John-Cage-Trick kennt sie gut:
"Ich hab mal in Hongkong in so einer Pension gewohnt, das war ganz nach hinten raus zu so einer back alley mit tausend Klimaanlagen und Rauschteilen. Und beim Einschlafen habe ich es dann irgendwann mal geschafft, mir das als kleinen Bach vorzustellen, der dann einer Mühle vorbei rauscht und die Mühle klappert. Das hat echt funktioniert." (lacht)
Windräder am Horizont
Nach zehn Minuten Fahrt hält der Minibus an einem Feldrand neben den letzten Häusern der Stadt. Schemenhaft sind in der Ferne die ersten Windräder zu erkennen. Zu hören sind noch aber nur die Autos auf der nahen Landstraße und das Plätschern eines Vorgartenbrunnens. Während Karl-Heinz Jeron mit zügigen Schritten voraus in Richtung der Windräder geht, erklärt er Dorothea die riesige Anlage. Auf 10.000 Hektar stehen hier, in Deutschlands größtem Windpark, über 170 Turbinen:
"Die ersten zwei Anlagen. Die ersten zwei, siehste. Und das sind tatsächlich, da ist auch eine im Nebel, hier ist auch eine im Nebel, das sind hier einfach wirklich hunderte. Wenn hier klare Sicht ist, ist man hier in einem Wald von Anlagen."
Mit großen Schritten laufen Karl-Heinz Jeron und Dorothea Etzlar gemeinsam mit den beiden anderen über den matschigen Feldweg, unterhalten sich natürlich über Windräder. Im Moment kann Dorothea noch gut verstehen, dass Anwohner sich an den riesigen Schatten stören und an den ständigen Geräuschen:
"Ich finde diesen Dauerlärm eigentlich schon störender. Also ich habe es wirklich lieber ganz laut Krach und das ist es wirklich still als so dieses permanente Geräusch. Je nach Windrichtung ist es schon so, dass ich dann doch nicht in der Nähe so einer Anlage wohnen würde wollen." (lacht)
Dann ist es endlich soweit. Ganz leise ist in der Ferne ein dumpfes Rauschen zu hören:
"Also es gibt im Prinzip drei Dinge, auf die man achten kann. Das eine ist der Hintergrundsound, dieser drown, wenn man so will. Dann gibt's halt die Überlagerung von unterschiedlichen Sounds der einzelnen Windanlagen und dann gibt es dann das Interne, wirklich Technische, was man dann auch hört."
Klang im windigen Feld
Drown, Soundmix und Technik-Sound: Das klingt in der Theorie nach viel Klang. Wer auf einem windigen Feldweg steht, hört in der Praxis aber zuerst nur eines: einen dröhnenden Wind im eigenen Ohr.
Dorothea steht deshalb irgendwann bewegungslos da, dreht den Kopf langsam hin und her, um den Wind aus den Ohren zu bekommen und endlich das sanfte Flap-flap der Rotorblätter zu hören.
Jeron: "Also so eine Anlage hat eine Charakteristik, es hört sich auch jede Anlage immer ein bisschen anders an."
Karl-Heinz Jeron legt den Kopf an den riesigen Betonfuß der Turbine, Dorothea lauscht dem Sirren des nebenstehenden Trafohäuschen, die beiden anderen Besucher halten ihre Ohren Richtung Rotorblätter. Dann laufen die vier langsam zu den nächsten Turbinen am Wegrand, blicken dabei ausgesprochen konzentriert und achten auf jedes neue Klackern oder Rauschen.Nach etwa einer Stunde wandern alle zufrieden Richtung Straße zurück, der Bus wartet schon.
Dorothea Etzlar: "Ja, ich fand es interessant, okay. Ich hatte superhohe Hoffnungen oder Erwartungen, weil ich von Leuten gehört hatte, dass es ganz, ganz, ganz, ganz toll ist. Es hat jetzt für mich eher so auf einer zweiten Ebene funktioniert, nämlich so am Anfang, dass man erst mal noch so gar nicht sensibilisiert ist und tatsächlich nach einer Stunde auf einmal wirklich so die feinen Unterschiede hört."
Karl-Heinz Jeron ist mit der heutigen Geräusch-Ausbeute ebenfalls zufrieden:
"Also mir gefällt es tatsächlich gut. Mich erinnert das tatsächlich schon an Meeresrauschen. Wenn man da am Strand sitzt und dann kommt eben periodisch die Welle und bricht. Das ist doch eine ähnliche Geräuschkulisse. Aus meiner Sicht jedenfalls."
Allerdings kann er nach wie vor, trotz geschärfter Wahrnehmung und Interpretation à la John Cage, jeden verstehen, der in der Nähe einer Windanlage wohnt und damit nicht so glücklich ist:
"Ich glaube auch nicht, dass man direkt das Meeresrauschen in seinem Schlafzimmer die ganze Nacht haben möchte."