Mit dem Angriff von Putin auf die Ukraine haben wir gesehen, dass sich unsere Energiewelt ganz massiv verändert. Wenn wir uns weiter mit der Energie versorgen wollen, die wir brauchen, müssen wir deutlich schneller handeln.
Energiewende
Pionierprojekt im öffentlichen Nahverkehr: In Niebüll in Schleswig-Holstein fährt bei der DB-Tochterfirma Autokraft der Bus heute schon mit klimaneutralem Wasserstoff. © imago / Joerg Boethling
Grüner Wasserstoff statt Erdgas und Öl
06:32 Minuten
Er soll Schiffe, Lkws und Flugzeuge antreiben, die Produktion von klimaneutralem Stahl ermöglichen. Doch lange ging es beim grünen Wasserstoff kaum voran. Nicht zuletzt wegen des Kriegs in der Ukraine wollen Politik und Wirtschaft nun Tempo machen.
Ein Gewerbegebiet in Winsen an der Luhe in der Nähe von Hamburg. In einer der Hallen fährt ein Arbeiter einen Lkw auf einer Hebebühne hoch, es wird geschraubt und gewerkelt. Doch etwas ist anders als in anderen Lkw-Werkstätten.
„Ich freue mich immer wieder darüber, wenn ich hier reinkomme, dass ich keine Gerüche mitnehme, dass ich nicht dreckig werde“, sagt Dirk Graszt.
Keine Ölflecke, kein Dieselgestank – die Technik, mit der das Start-up von Dirk Graszt gebrauchte Lkws umrüstet, basiert auf Brennstoffzellen und Wasserstoff.
Brennstoffzellen wandeln Wasserstoff zu Strom
„Wir nehmen einen solchen Lkw wie den, schmeißen alles raus, was fossil ist. Dazu zählen der Motor, der Antriebsstrang und die Hinterachse. Und wir werden dort emissionsfreie Komponenten einbauen“, erzählt er. Clean Logistics, so heißt das Start-up, das Lkws auf Wasserstoffantrieb umrüstet.
Der Laster auf der Bühne vor uns – der erste Prototyp – ist fast fertig. Graszt zeigt auf zwei blaue Aggregate unter dem Fahrerhaus. Es sind Brennstoffzellen, sie wandeln Wasserstoff um in Strom.
„Den Wasserstoff dazu nehmen Sie aus den grünen Flaschentanks, die hinter dem Fahrerhaus auf dem Rahmen aufgebaut werden“, erklärt Graszts Kollege Markus Körner. „Wir haben hier 350 bar Druckgaswasserstoff. Insgesamt 42 Kilogramm.“
Klimaneutralität ist das Ziel
Der Strom, den die Brennstoffzellen aus dem Wasserstoff machen, treibt zwei Elektromotoren an. Im Prinzip also ein Elektro-Laster, nur mit Wasserstoff als Treibstoff.
Und: Ist dieser Wasserstoff grün und wird mit erneuerbaren Energien hergestellt, ist der Lkw klimaneutral unterwegs – anders als ein Dieseltruck, der pro Jahr rund 80 Tonnen CO2 ausstößt.
Das Beispiel zeigt: Wasserstoff ist im Kommen. Nicht nur Start-ups, auch Großkonzerne setzen darauf: ThyssenKrupp will seine Hochöfen durch eine wasserstoffbasierte Stahlproduktion ersetzen, Airbus tüftelt an Wasserstoffflugzeugen, E.ON möchte grünen Wasserstoff aus Australien importieren.
Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen
Denn Wasserstoff verspricht nicht nur Klimaneutralität, sondern auch Unabhängigkeit vom Erdgas, sagt E.ON-Manager Carsten Borchers.
Jahrelang ging es mit dem Wasserstoff nur zögerlich voran, erst 2020 nahm die Entwicklung Fahrt auf: Mit der nationalen Wasserstoffstrategie initiierte die Bundesregierung ein milliardenschweres Förderprogramm, eine ähnliche Initiative startete die EU.
Seit dem Krieg in der Ukraine werden die Anstrengungen erhöht, die Transformation zu Wasserstoffwirtschaft soll nun schneller gehen.
„Die allergrößte Herausforderung ist tatsächlich die Zeit. Wir müssen in kurzer Zeit ganz viele Dinge in Schwung bringen“, sagt Jeanette Uhlig von der Deutschen Energieagentur.
Kapazitäten müssen massiv erhöht werden
In Schwung gebracht werden muss vor allem die Erzeugung von grünem Wasserstoff: Sie erfolgt durch sogenannte Elektrolyseure, sie spalten Wasser mithilfe von regenerativ erzeugtem Strom.
Nur: Bislang gibt es weltweit zu wenig Elektrolyseure, ihre Jahreskapazität liegt bei 200.000 Tonnen Wasserstoff. Die EU will bis 2030 auf eine Jahresproduktion von 20 Millionen Tonnen kommen.
„Das heißt, innerhalb von acht Jahren müssen wir unsere Kapazität um einen Faktor von mehr als 100 aufbauen. Das ist eine gewaltige Herausforderung. Wir können das schaffen, aber wir müssen uns da arg konzentrieren“, meint Jorgo Chatzimarkakis vom Europäischen Wasserstoffverband.
Bislang werden Elektrolyseure in Kleinserien gefertigt. Jetzt soll eine Massenproduktion aufgebaut werden. Die Hersteller stehen in den Startlöchern, meint Werner Diwald vom Deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verband.
Grüner Wasserstoff ist noch teuer
„Es gibt schon große Konzerne, die sofort in der Lage wären, größere Einheiten zu liefern“, sagt er. „Damit sind wir jetzt in der Lage, auch relativ schnell, wenn die Politik es wünscht, ein Hochlaufen zu organisieren.“
Bislang aber ist grüner Wasserstoff noch zu teuer. Um ihn marktfähig zu machen, braucht es eine Anschubhilfe. Darum will sich in Deutschland unter anderem eine noch junge Stiftung namens H2Global kümmern, sagt Vorständin Kirsten Westphal: „Die Mission ist, sehr schnell grünen Wasserstoff nach Deutschland zu bringen und loszulegen.“
Das Prinzip: Im Ausland, in wind- und sonnenreichen Ländern, lässt sich grüner Wasserstoff günstiger herstellen als bei uns. Diesen Wasserstoff will H2Global einkaufen, mit langfristigen Verträgen und zu garantierten Preisen.
Politik will beim Preis helfen
Die Idee dahinter ist, den Unternehmen wirklich Investitionssicherheit zu geben und eine langfristige Perspektive. Damit nehmen wir erst mal bei den Verträgen das Preisrisiko raus – und auch das regulatorische Risiko.
Dieser Wasserstoff soll in Deutschland an Unternehmen verkauft werden, aber zu günstigeren Preisen. Die Differenz zahlt das Bundeswirtschaftsministerium, das dafür 900 Millionen Euro bewilligt hat.
Mit schnellen Erfolgen aber rechnet niemand: Der Aufbau einer Infrastruktur für die Erzeugung, aber auch für den Transport durch Schiffe und Pipelines, wird dauern. Deshalb dürfte Wasserstoff wohl erst ab 2030 eine nennenswerte Rolle spielen.
Große Nachfrage nach Wasserstoff-Lkws
Immerhin: Der Anfang scheint gemacht, das spürt auch Dirk Graszt vom Lkw-Umrüster Clean Logistics. „Wir haben eine unfassbare Dynamik in den Prozessen. Uns liegen bereits Kunden-Order vor, um diese Fahrzeuge in größerer Menge auf die Straße zu bringen“, erzählt er.
Zuvor muss sich der Prototyp im Betrieb bewähren, dann soll die Serienfertigung für den Wasserstoff-Lkw starten. Doch die Stückzahlen, um die es geht, sind enorm, sagt Markus Körner. Ansonsten werden sich die angestrebten CO2-Einsparungen nicht erreichen lassen.
„Der Sektor Straßengüterverkehr soll bis 2030 20 Millionen Tonnen einsparen. Das bedeutet also, dass wir bis 2030 250.000 Trucks emissionsfrei auf der Straße haben müssen“, erklärt er.