Der schwierige Einstieg in den Ausstieg
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Bis 2030 wollen die Niederlande die Gasförderung komplett einstellen, bis 2050 will das Land sogar komplett CO2-neutral Strom erzeugen. Für manche ist das Land daher schon der Musterknabe Europas in Sachen Energiepolitik. Doch dieses Image trügt.
Kurz nach sechs Uhr abends. Zeit, die Grillwürstchen zu braten und den Salat zuzubereiten. Abends wird in den Niederlanden warm gegessen, auch bei den Kamermans in Voorschoten bei Den Haag. Ina Kamermans stellt die Pfanne auf den Herd und macht die Gasflamme an.
Denn auch das ist für die Niederländer die normalste Sache der Welt: Kochen mit Gas. Und Heizen mit Gas. 90 Prozent aller Haushalte tun es. "Es ist einfach die beste Art, zu kochen! Weil Gas sofort reagiert. Ich kann mir nur schwer vorstellen, auf andere Weise zu kochen!"
Voll-Ausstieg aus der Gasförderung angekündigt
Bisher brauchten es die Niederländer auch nicht. Zusammen mit Norwegen waren sie die größten Gasproduzenten Europas. Ein Supergasfeld in der Provinz Groningen im Norden machte es möglich: das Slochterenveld - eines der zehn größten Gasfelder der Welt.
Von der geförderten Menge verbrauchten die Niederländer selbst nur gut die Hälfte, den Rest exportierten sie: nach Belgien, Frankreich und nach Deutschland. Knapp ein Drittel aller deutschen Erdgasimporte stammt aus den Niederlanden.
Doch die exzessive Förderung hat ihren Preis: Durch das Bohren senkt sich der Boden ab, es entstehen Spannungen. Erdbeben sind die Folge. Tausende von Häusern wurden stark beschädigt. Anfang 2018 verkündete Klima- und Wirtschaftsminister Eric Wiebes deshalb den kompletten Ausstieg aus der Gasförderung:
"Die Erdgasförderung wird möglichst schnell auf Null reduziert. Wir machen eine Kehrtwende. Spätestens 2030 werden wir mit der Förderung ganz aufgehört haben."
Gute Imagepflege, aber wenig dahinter
Eine gigantische Aufgabe. Denn gleichzeitig müssen die Niederländer auch den Verbrauch von Kohle und Öl drastisch vermindern, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Bis 2030 soll der CO2-Ausstoß im Vergleich zu 1990 halbiert werden. Und bis 2050 soll die Stromerzeugung vollständig CO2-neutral sein. So steht es im neuen Klimagesetz, das gerade erst verabschiedet wurde.
Und damit nicht genug: Bis 2020, also schon im nächsten Jahr, muss der CO2-Ausstoß gegenüber 1990 um ein Viertel gesunken sein. Dafür hat die Umweltstiftung Urgenda gesorgt. Per Gerichtsurteil. Um der Regierung auf die Sprünge zu helfen, so Urgenda-Direktorin Marjan Minnesma:
"Unser Ministerpräsident tut in Brüssel gerne so, als wären wir Niederländer in Sachen Klimaschutz die Klassenbesten. Das Gegenteil ist der Fall: Wir gehören zu den Schlusslichtern, trotz aller schönen Worte!"
So ist der CO2-Ausstoß pro Kopf in den Niederlanden seit 2008 nur um acht Prozent gesunken – der EU-Durchschnitt liegt bei 18 Prozent.
Auch bei Sonnen- und Windenergie hinken die Niederländer - anders als ihr Image vermuten lässt - hinterher: In der EU betrug der Anteil der erneuerbaren Energien an der gesamten Energieproduktion 2016 bereits 17 Prozent – im Polderstaat waren es lediglich sechs Prozent. Und auch hier liegt die Latte hoch: Bis 2020 sollen es 14 Prozent sein.
Kurzum: Kaum ein anderes EU-Land hat in der Klimapolitik soviel aufzuholen wie die Niederlande. "Wie in aller Welt", fragt sich da auch Ina Kamermans, "wollen wir das in so kurzer Zeit hinkriegen?"
Ein Maßnahmenpaket soll die Klimawende bringen
"Klimavereinbarung" lautet die Antwort von Den Haag: Im Februar 2018 haben sich alle Beteiligten an einem Tisch gesetzt, um nach gut holländischer Manier zu poldern, sprich: Kompromisse auszuhandeln: Vertreter von Regierung, Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften, Industrie, Bauern, Verbraucher- und Umweltschutzorganisationen.
Sie haben ein ganzes Maßnahmenpaket ausgearbeitet. So etwa soll der Gaspreis erhöht und als Ausgleich der für Strom gesenkt werden. Unternehmen, die nicht ausreichend auf nachhaltige Produktion umsteigen, müssen einen CO2-Zuschlag zahlen. Auf der Nordsee sollen mehr Windturbinenparks gebaut werden. Und – das ist die drastischste Maßnahme - die fünf Steinkohlekraftwerke des Landes sollen bis spätestens 2030 geschlossen werden.
Aber: Bislang sind das alles noch Vorhaben. Eine der wenigen bereits umgesetzten Maßnahmen: Seit letzten Sommer dürfen Neubauten nicht mehr ans Erdgasnetz angeschlossen werden. In bestehenden Haushalten sollen Gasherde durch Induktionsplatten und Gasthermen durch Wärmepumpen ersetzt werden – also Pumpen, die über das Heizungssystem Energie aus der Luft oder aus dem Erdreich in den Wohnraum holen.
Der Umstieg ist für den Einzelnen teuer
Auch Inas Mann Dolf Kamermans hätte das gerne getan, als seine alte Gastherme kaputt ging. Aber, so stellte er fest: viel zu umständlich, technisch noch nicht ausgereift und viel zu teuer. Alles in allem würde ihn die Umstellung in seinem Einfamilienhaus 35.000 € kosten:
"Wir haben uns letztendlich für eine konventionelle Therme entschieden, allerdings mit einem hybriden Element, das heißt, die Möglichkeit, eine Wärmepumpe anzuschliessen, bleibt."
Dass sich die Regierung Klimaziele gesetzt hat, findet der pensionierte Betriebswirt eine gute Sache. Aber sie müssten schrittweise umgesetzt werden. "Nicht Hals über Kopf, mit unübersehbaren Kosten", sagt Dolf Kamermans.
Das Gas kommt jetzt aus Russland
Dass die Energiewende so nicht zu schaffen ist, ist auch der Regierung bewusst. Sie setzt deshalb parallel auf mehr Importgas - auch aus Russland. Obwohl Den Haag es gerne vermieden hätte, von Moskau und Putin abhängig zu werden.
Auch Ina Kamermans findet das ganz schrecklich: "Aber was will man machen – der Gashahn in Groningen wird zugedreht! Da muss man den Menschen Zeit geben."
Vorläufig jedenfalls denkt sie nicht daran, ihren alten Gas- durch einen Induktionsherd zu ersetzen. Und übt sich statt dessen in Optimismus. Schließlich heißt es auch in Holland:
"Die Suppe wird nicht so heiß gegessen, wie sie gekocht wird."