Nein zur Stromtrasse
Im Norden wird mehr Strom erzeugt als im Süden - Windenergie an der Nordsee, Braunkohle in Sachsen-Anhalt. Die große Frage der Energiewende: Wie kommt der Strom vom Norden in den Süden? Gegen die dafür nötigen Trassen protestieren die Bürger deutschlandweit. Vor allem in Franken machen die Bürger mobil gegen die Gleichstromtrasse von Sachsen bis Schwaben.
Ein blauer Van parkt an der Strasse von Simmelsdorf hinter einer Reihe anderer Fahrzeuge. Die Familie steigt aus: Großvater, Vater, Mutter, zwei Kinder. Der Vater öffnet die Heckklappe, holt ein zusammengerolltes Plakat heraus, der Großvater nimmt ein zweites vom Rücksitz und rollt es auf:
Großvater: "Ja da steht drauf: Megastromtrasse zerstört den Lebensraum für unsere Kinder."
Kind: "Ich hätte vorgeschlagen, dass wir ein Kleber mitgenommen hätten ..."
Die Frau tackert unten rechts ein Schild fest. Darauf steht: Pegnitz. Ihr Wohnort. 30 Kilometer entfernt. Danach tritt sie ein Stück zurück, betrachtet das Plakat und nickt mit dem Kopf. Der Großvater steht neben ihr und nickt ebenfalls. Das Plakat hat er mitgemalt:
"Weil direkt über unserem Haus oder knapp daneben eine Megastromleitung durch geht und wir wissen heute noch nicht, was das für gesundheitliche Auswirkungen hat. Wir wissen nicht, ob in zwei, drei Jahren die Hälfte der Kinder dann Leukämie oder sonst welche Krankheiten hat."
Zum vierten Mal protestiere er jetzt gegen die geplante Stromtrasse, sagt er. Dann packt der weißhaarige Mann das Plakat und geht energisch los. Die Kinder, sein Sohn und Schwiegertochter hinterher. Der Enkel trägt ein Schild um den Hals:
Kind: "Ja, ein Haus und Strommasten und die sind durchgestrichen ... ja eigentlich weiß ja keiner was das auslösen kann, eine Krankheit oder so. Mehr weiß ich jetzt auch nicht., außer dass ich weiß, dass es an ein Kohlekraftwerk angeschlossen werden soll, wahrscheinlich."
Der kleine Trupp geht eine Seitenstraße entlang in Richtung einer Menschenmenge. Rund 200 Leute haben sich versammelt. Zwei Polizeibusse stehen daneben. Der Grund für den Auflauf:
"Weil wir gehört haben, dass da CSU-Abgeordnete hier sind und für mich sind das die Mitverursacher für das ganze Dilemma. Es braucht keiner die Stromtrasse und nur für irgendwelche EON oder Hedgefonds die hier zu bauen, damit die richtig den Hals voll kriegen, da sind wir wirklich dagegen."
Angekommen bei der kleinen Demonstration die Nachricht: Der CSU-Neujahrsempfang wurde kurzfristig abgesagt. Die Bierkästen werden wieder abtransportiert. Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner lässt sich entschuldigen. Die Menschen in den grellorangenen Westen blasen in ihre Trillerpfeifen. Die Stimmung ist gereizt:
"Ilse Aigner hat abgesagt. Die Veranstaltung ist geplatzt."
"Der Neujahrsempfang ist komplett abgesagt."
"Haben wir erfahren, als wir hergefahren sind. So schnell rennt die Politik davon."
Verhinderer der Energiewende?
Reimund Gumpert ist empört. Neben ihm seine Frau Irene. Beide ebenfalls Betroffene, denn über ihr Haus einige Kilometer weiter soll die Stromtrasse verlaufen. Hier wollten sie mit den CSU-Verantwortlichen diskutieren. Er zeigt auf die Menge. Da steht der Bürgermeister von Simmelsorf, auch der Bürgermeister von Plech, die beide ihre Bürger unterstützen. Aber keiner sei von der Regierungspartei gekommen, beklagt sich Uli Strauss von der Bürgerinitiative "Bürger gegen Strommonstertrasse". Er steht neben den Gumperts am Protestplakat, versucht sich zu beruhigen. Als "Verhinderer der Energiewende", wie immer wieder von den Medien behauptet, sieht er sich nicht:
"Inzwischen ist es ja Fakt und das kann man unzweifelhaft jetzt sagen und feststellen: Diese Trasse soll Braunkohlestrom, vorwiegend Braunkohlestrom aus Mitteldeutschland nach Südbayern transportieren. Und Amprion hat im Zuge der Veranstaltung ja auch offiziell schon zugegeben, natürlich wird dort auch Atomstrom transportiert."
Amprion, die Firma, die die Trasse plant und baut, hat auf der Informationsveranstaltung in Nürnberg einige Tage zuvor nur 500 Menschen in die Meistersingerhalle hinein gelassen, beschweren sich die Protestler. Niemand wollte ihnen die bei der Trasse verwendete neue Gleichstromtechnik erklären.
Plötzlich scharen sich alle um einen Mann: Norbert Dünkel Landtagsabgeordnete vom Nürnberger Land, CSU. Der hochgewachsene 52-Jährige in grauem Anzug zittert unmerklich. Er versucht zu erklären: Dass die CSU sich für Erdverkabelung einsetzt, dass die CSU sich in Berlin für eine Änderung des Netzausbaues einsetzen will und dass Ministerpräsident Horst Seehofer den Netzausbau gestoppt habe. Im Hinterkopf die Kommunalwahl im März.
Simmelsdorfs Bürgermeister Perry Gumann, Freie Wähler, hält dagegen:
"Meines Erachtens ist diese Gleichstromtrasse Unsinn, aber wenn man natürlich - und das betrifft alle Politiker - vor so 15 Jahren die Stromkonzerne privatisiert und die jetzt nicht in Gaskraftwerke investieren wollen, weil die Draufzahlgeschäfte sind und stattdessen lieber den Braunkohlestrom aus Brandenburg bei uns verkaufen wollen, dann braucht man sich nicht wundern oder aufregen. Das haben die alle mit verbrochen."
In acht Jahren sollen die 75 Meter hohen Strommasten stehen
Reimund Gumpert und seine Frau Irene gehen nach der Demonstration zurück zu ihrem Haus und zeigen auf den Buchenwald, das Hirschgehege, den Kindergarten gegenüber und die Wiese vor dem Haus:
Herr Gumpert: "Sie stehen jetzt auf unserem Grundstück bei uns. Auf der rechten Seite haben wir die Autobahn cirka 100 Meter weg, die A9, Transitautobahn, der Verkehr hat sich in den letzten zehn Jahr verdreißigfacht und jetzt soll genau auf der anderen Seite eine 75 Meter hohe Stromtrasse an uns vorbeilaufen. Wir sind genau mittendrin. Da kann man nicht mehr leben, das kann man keinem Menschen mehr zumuten."
Frau Gumpert: "Wir haben Schulden auf das Haus. Es gibt ganz viele im Ort, die haben sich grad erst ein Haus gekauft. Die müssen abbezahlt werden. Und wir wollen dann hier nicht mehr leben, so will ich nicht leben."
Auf dem Wohnzimmertisch liegen Landkarten. Von ganz Deutschland, von Bayern, von Franken und von Plech.
Irene und Reimund Gumpert schauen aus dem Fenster. Auf die Autobahn. Auf den Kindergarten. Und auf die Wiese, wo in spätestens acht Jahren die 75 Meter hohen Strommasten stehen sollen:
"Die Trasse verhindert die erneuerbaren Energien. Sie verhindert, die Windräder, den Solarstrom. Wir haben auch ein Solarstrom, die Gemeinde Betzenstein. Wir sind zu 60 Prozent autark, aber solche Trassen - das ist nur Kommerz."