Erinnerungsarbeit für die nächste Generation
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Als die Mauer fällt, kommt Rainer Krukenberg zurück in die alte Heimat in der DDR. Tausende Kilometer fährt er, fotografiert Soldatendenkmäler und dokumentiert die Namen der Gefallenen. Für die nächste Generation, sagt er.
"Hier habe ich mal angefangen zu recherchieren, das ist das große Gräberfeld, wo ich mal zeigen wollte, wo die Namen schon alle verwittert sind."
Ich treffe Rainer Krukenberg auf dem Friedhof in Neuruppin, einer Kleinstadt 50 Kilometer nordwestlich von Berlin. Hinter den gepflegten Gräberreihen steuert er auf eine vertrocknete Wiese zu. Fast stolpern wir über die überwucherten Grabsteine der Kriegsgräberstätte.
Krukenberg stellt seinen großen Rucksack ab und drückt mir eine Tüte Mehl in die Hand. "Bei manchen, wo so Vertiefungen sind, kann man mit ein paar Tricks, das wieder ein bisschen sichtbar machen, auch auf den Denkmälern. Ich habe immer ein paar Tüten Mehl im Auto und ´ne Drahtbürste – bisschen sauber machen, mit Mehl drüber, dann kann man wieder viele Inschriften lesen. Hier hat es wirklich gar keinen Sinn mehr, was zu machen – das ist so dick, Flechten, Moose, verwittert. Die haben nicht mal einen Namen, das ist ja ganz schrecklich."
Leidenschaft seit der Jugend
Rainer Krukenberg, 1962 in Rhinow geboren, gelernter Rohrschlosser, hat seit seiner Jugend eine große Leidenschaft. Naja, das ist jetzt ein bisschen dicke aufgetragen, sagt er und packt das Mehl wieder in den Rucksack.
"In jugendlichen Jahren bin ich schon mit meinem Moped zu DDR-Zeiten rumgefahren und habe diese Denkmäler fotografiert. Wenn man sieht, dass die gerade mal 18 oder 19 Jahre alt waren und da schon gestorben sind, irgendwo in Frankreich oder Russland. Ja, das fand ich immer faszinierend. Und als ich das mal angesprochen habe, dann kam von unserem Staatsbürgerkunde-Lehrer so der Spruch, 'Na, diese imperialistischen Denkmäler, müssen wir sowieso noch alle wegreißen', und dann hat´s mich erst richtig angespornt, das noch mal zu fotografieren."
Wendepunkt in Krukenbergs Leben
Als er ausgelernt hat, wird er gemustert und soll zu den Grenztruppen der NVA. Der Wendepunkt in Krukenbergs Leben: "Also, sie haben von Faschisten geredet, und ich sollte als Soldat mit Schießbefehl im Turm sitzen und Leute erschießen, das war für mich so ein riesen Widerspruch."
Rainer Krukenberg blickt sehr nachdenklich auf die mit Moos bedeckten Gräberreihen – und schüttelt den Kopf. Nein, das ging einfach nicht.
"Da bin ich 1980 nach Ungarn und dann nachts nach Österreich, hab viel Glück gehabt und konnte mir dann die Welt ansehen."
Tausende Kilometer mit Fotokamera unterwegs
Als die Mauer fällt, kommt Rainer Krukenberg wieder zurück in die alte Heimat – und steigt nicht aufs Moped, sondern ins Auto. Zigtausende Kilometer fährt er von Dorf zu Dorf, fotografiert die noch stehenden Denkmäler, dokumentiert die Namen der Gefallenen in den Kirchen. Das ist "Erinnerungsarbeit" sagt er. Für die nächste Generation.
"Mein Ziel ist es ja: Ich mache diese Listen von jedem Ort, und wenn dann wirklich mal ´ne Schulklasse sagt, wir machen 'ne Ferienfahrt nach Frankreich oder Polen und ach guck mal, da liegen die und die aus unserem Dorf oder aus unserem Städtchen, lass uns doch mal da ran fahren und das angucken."
Zusammen mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge hat er schon Hunderte Gräber von Gefallenen ermittelt. Immer wieder steht Rainer Krukenberg – wie in Neuruppin – auf den Friedhöfen vor Kriegsdenkmäler und sucht nach Namen. Dann fährt er nach Russland oder England und ist jedes Mal froh, wenn er einem Namen ein Grab zuordnen kann.
Wenig Geld für Gräber der deutschen Gefallenen
Dabei fällt ihm noch etwas auf, das ihm nicht gefällt. "Dass die Engländer 200 Euro umgerechnet pro Jahr und Grab ausgeben, für ihre Toten und die Deutschen halt 20, und deswegen, man sieht auch in Frankreich den Unterschied. Wenn man auf 'ne deutsche Kriegsgräberstätte geht, muss man gucken, dass man nicht stolpert irgendwo, oder hängen bleibt an einem Maulwurfshügel. Und bei den Engländern, da gehen die, glaube ich, mit 'ner Nagelschere rum, der Rasen wird immer gesprengt, der ist leuchtend grün, da stehen Rosen vor den Grabsteinen."
Als ich in Rainer Krukenbergs Auto steige, schaufelt er erstmal Platz frei. Ich bin immer unterwegs, grinst er. Wenn er nicht Kriegsdenkmäler fotografiert oder auf Montage ist, handelt er mit alten Schallplatten. "Ich bin halt so ein Vergangenheitsmensch".
Jeder Kreis ein Buch
Erst als wir im Café sitzen und er mir einen alten Straßenatlas zeigt, wird klar, was Krukenberg wirklich umtreibt. Die Seiten sind übersäht mit roten Kreuzen, jeder Ort, den er besucht hat, ein rotes Kreuz. "Und die ganzen Orte, die ich hier durchgestrichen habe, die habe ich alle besucht, so von oben von Oranienburg, Rheinsberg, Havelland, runter bis in die Altmark, in die Börde, bis Helmstedt, habe ich jeden Ort besucht und da die ganzen Denkmäler fotografiert, ich komme auf 1800 Orte, wo ich war."
Dann blickt er mich an und – lächelt wieder. Und hofft, dass die Gemeinden oder Landkreise ihn vielleicht irgendwann mal unterstützen. "Ich will das dann kreisweise so in Buchform: Jeder Kreis ein Buch mit sämtlichen Gedenken und Opferlisten", berichtet er von seiner Idee und fährt fort: "Alles auf eigene Kosten. Ich habe noch nie was dafür gekriegt. Aber ich bin halt so ein Typ, ich mache erst mal und dann zeige ich vor und frage ich mal, ob mir mal jemand was gibt und wenn nicht, mache ich trotzdem weiter."