Gutes Karma für eine bessere Welt
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Buddhismus wird im Westen häufig assoziiert mit zur Ruhe kommen, friedlicher Akzeptanz und Meditation. Doch die buddhistische Lehre hat auch eine politische Dimension. Sie speist sich aus dem Bewusstsein der Verbundenheit mit allem Lebendigen.
Es ist das Jahr 1964, in Vietnam herrscht ein Stellvertreterkrieg zwischen den USA und der Sowjetunion. Es fallen Bomben und Schüsse, die Straßen sind überfüllt mit menschlichem Leid. Mitten in diesen Kriegswirren appelliert der vietnamesische Zen-Buddhist Thích Nhất Hạnh an die buddhistischen Mönche und Nonnen, die Meditationshallen zu verlassen und zu helfen, ohne jedoch die Meditation zu verlassen. Mit ihm begann die Idee des engagierten Buddhismus, sich zu verbreiten.
Engagierter Buddhismus, das meint die bewusste Rückkehr von der Meditation in die Aktion. Statt sich lediglich innerlich von leidvollen Denkmustern zu lösen, sollen auch die äußeren Ursachen des Leidens bekämpft werden.
Nicht jedes Leid akzeptieren
"Im Vietnamkrieg, da gab es durchaus Mönche und Nonnen, die haben erlebt, was da um sie herum stattfindet, aber sie haben es mehr oder weniger hingenommen wie eine Art Schicksal. Es ist halt so, das Dasein ist sowieso schrecklich und leidvoll, also müssen wir es so akzeptieren", erzählt Franz-Johannes Litsch, Initiator des deutschsprachigen Netzwerkes für engagierte Buddhisten.
Ihm zufolge entspricht das aber nicht Buddhas Lehre. Zwar habe der historische Buddha erkannt, dass die wirklichen Ursachen alles Leidens nicht primär in den äußeren Realitäten Altern, Krankheit und Tod liegen, sondern in der Haltung, die man ihnen gegenüber einnimmt. Damit sei aber nicht gemeint, dass man alles Leid akzeptieren könne, sagt Litsch.
Im Dharma, also in der buddhistischen Lehre Zuflucht vor den Unruhen und Grausamkeiten der Welt zu suchen, sei in Wahrheit Flucht vor dem Dharma. Denn eine Lehre, deren zentraler Wert Empathie ist und die Einsicht gibt in die Verbundenheit alles Lebendigen, sollte selbstverständlich Anlass sein, sich auch für die Verbesserung der äußeren Umstände aller Lebewesen aktiv einzusetzen. Buddhismus ist also eigentlich automatisch engagierter Buddhismus, meint Litsch, zumindest ursprünglich.
Existieren in Beziehung
Was ihn von weltlichen Motivationen für Wohltätigkeit und Aktivismus unterscheidet, sind die buddhistischen Grundannahmen: "Alles, was existiert, entsteht, vergeht, existiert nie für sich alleine, sondern immer in Beziehung miteinander. Also man könnte sagen, die Grundlehre des Buddha ist: Es existiert nur Beziehung. Alles ist Beziehung. Kein Kind bringt sich selbst auf die Welt", sagt Litsch.
Und das könne man ausdehnen auf die ganze Welt: Auch die Erde existiere nicht für sich allein, sondern abhängig vom Sonnensystem, das sei unendlich. "Daraus folgt, dass wir eben auf diesen Bezogenheitszusammenhang achten müssen. Erstens ihn wahrnehmen, und zweitens ihn dann auch praktizieren."
Wie ein solches Engagement aussehen kann, zeigt Kai Romhardt. Er war Schüler von Thích Nhất Hạnh in einem französischen Meditationszentrum und hat 2004 gemeinsam mit anderen Schülern des Zen-Meisters das Netzwerk Achtsame Wirtschaft gegründet.
"Alles, was wir tun, ist Handlung. In der Sprache ist die Handlung, in Gedanken ist die Handlung, in der körperlichen Aktivität ist die Handlung. All das prägt mein Umfeld und so gehe ich durch den Tag. Und so gehe ich mit Geld um, und so gehe ich in die Arbeit, so gehe ich durch die verschiedensten Bereiche der Wirtschaft", meint Romhardt.
Mit diesen kleinen Taten werde etwas in Bewegung gesetzt. Und darauf zu achten, sei die Basis seiner Arbeit im Netzwerk Achtsame Wirtschaft. "Dass wir da wacher werden für uns selber, und dass wir immer wieder hinschauen: Was mache ich da eigentlich?"
Wo kommt mein Kaffee her?
Also ganz konkret: Wo kommt mein Kaffee her? Wer hat meinen Spargel gestochen? Wie investiert meine Bank mein Geld? Aber auch: Welches Menschenbild liegt den Zielsetzungen meiner Firma zugrunde, welche Atmosphäre herrscht unter meinen Kollegen – oder in Romhardts Worten: Was ist der Duft meiner Arbeit?
Über diese Fragen diskutiert der ehemalige Unternehmensberater bei Veranstaltungen oder in Coachings mit interessierten Menschen aus der Wirtschaft oder mit Freunden und Bekannten in den eigenen Meditationsräumen in Berlin-Zehlendorf.
Er hat auch ein Buch zum Thema geschrieben. Darin plädiert er für einen wacheren Blick auf den individuellen Beitrag zur Wirtschaft und die tieferen Gründe wirtschaftlichen Leidens auf der Welt. Die liegen laut Romhardt nämlich ursächlich nicht etwa in der Finanzkrise, bei niedrigen Löhnen oder den Mechanismen des freien Marktes, sondern in den menschlichen Geisteszuständen Ärger, Gier und Unwissenheit, die im Buddhismus als Geistesgifte bezeichnet werden.
Aufmerksam für eigene Zustände und Handlungen
"Die Frage ist für mich immer wieder gewesen: Ist die Gier des Investment-Bankers nach viel Geld schlimmer zu beurteilen als die Gier des Gewerkschaftsbosses nach mehr Macht? Es ist beides Gier. Es ist ein unheilsamer Geisteszustand und der wirkt in der Gewerkschaft anders als beim Investment-Banker und anders als im Krankenhaus", sagt Romhardt.
Sich der Auswirkungen der eigenen Geisteszustände und Handlungen bewusst zu sein, ist die erklärte Hauptaufgabe engagierter Buddhisten. Sie ist eng mit der Lehre vom Karma verknüpft, erklärt die buddhistische Lehrerin Nagadakini aus dem Zentrum der Buddhistischen Gemeinschaft Triratna in Essen: "Das buddhistische Wort für 'Handeln' ist 'Karma'. Wir verbinden Karma oft pauschal mit 'was wir aus der Vergangenheit mitbringen'. Aber Karma heißt schlichtweg auf Sanskrit 'Handeln'. Wir ernten die Früchte unseres Handelns."
In Nagadakinis Gemeinschaft werde immer gesagt: Handeln hat Folgen. Das sei zwar banal, aber die Frage sei doch: Denken wir daran bei unserem Handeln? Beim Einkauf, beim Konsum, unseren Urlauben, unserem Wählen und Nicht-Wählen?
Positive Samen säen
In der vergangenen Woche ist Nagadakini zusammen mit anderen engagierten Buddhisten aus Essen zum globalen Klimastreik auf die Straße gegangen. "Handeln hat Folgen. Nicht-Handeln auch" stand auf einem ihrer Plakate. Diese Folgen treffen natürlich nicht nur das Individuum, sondern – buddhistisch gesprochen – die Gesamtheit der fühlenden Wesen.
Weil sie alle durch ein Netz an Kausalitäten miteinander verbunden sind, geht es gerade im engagierten Buddhismus nicht darum, für sich selbst gutes Karma zu sammeln, sondern für alle. Ziel ist es, durch achtsames Handeln positive Samen in die Welt zu säen.
Das gilt auch für die Art und Weise, wie man selbst politische Inhalte vermittle, meint Kai Romhardt: "Ich bin fest davon überzeugt, dass ich, wenn ich jemanden sehe, der sich schädlich verhält, wenn ich den anschreie, oder ihm mit Hass oder Verachtung begegne, dass ich diese Person nicht überzeuge."
Nebenwirkungen: Ruhe und Stressfreiheit
Da Menschen sich sowieso nur selbst überzeugen könnten, sei es das Beste, als engagierter Buddhist die gesellschaftliche oder politische Veränderung zu verkörpern und damit Vorbild für andere zu sein. Und Nagadakini findet: "Wenn wir eine bessere Welt haben wollen, dann müssen wir selbst etwas tun, da können wir nicht nur klagen."
Darin sind sich die engagierten Buddhisten einig. Dem Trend entsprechen sie damit nicht: "Ich finde, was gerade im Westen unglaublich dominiert in Bezug auf die buddhistische Praxis: Es geht um Ruhe, Entspannung, Stressfreiheit und In-der-Hängematte-Liegen. Das ist aber, würde ich sagen, eine Nebenwirkung der buddhistischen Praxis, das ist nicht das Wesentliche", sagt Litsch.
Diese Verzerrung, wie er es nennt, sei in den 1970er-Jahren durch das Mindful Based Stress Reduction-Programm entstanden. Indem westliche Wissenschaftler einige Elemente der buddhistischen Praxis instrumentalisiert hätten, um die Symptome von Wachstumszwang und 40-Stunden-Wochen zu bekämpfen, sei das Wesentliche vom Buddhismus abhandengekommen: Die Idee von Verbundenheit, Eigenverantwortung und Engagement für die Mitwelt.
Offenheit für Innenschau
Andererseits, so Kai Romhard, sei es zunächst etwas Positives, dass immer mehr Menschen offener für die Innenschau würden, auch wenn es dafür manchmal erst einmal einen Burnout brauche. Es sei die zunehmende Überlastung der Menschen, aber auch die schrittweise Enttabuisierung von Depressionen in den Medien, die dazu geführt habe, dass Meditation heute längst nicht mehr so exotisch klinge wie noch vor 30 Jahren.
Noch gehen allerdings wenige Buddhisten den Schritt vom persönlichen Achtsamkeitstraining zum politischen Handeln. Der engagierte Buddhismus, der zu Zeiten des Buddha wohl selbstverständlich war, ist heute zu einer eigenständigen Bewegung geworden.