Engelsfiguren als Glücksbringer

Mutmacher in Zeiten der Krise

06:35 Minuten
Eine Engelsfigur aus Glas hängt am Fenster, dahinter ein Sonnenuntergang.
Ob als Sammelfiguren, Handschmeichler oder Glücksbringer - Engel gehen immer. © Eyeem / Inva Eck
Von Josefine Janert |
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Sie trösten, schützen oder spenden Hoffnung: Engel sind für viele Menschen wichtige Begleiter. Auch im Islam und Judentum gelten sie als Boten Gottes. Und die Esoterik-Szene feiert Engel ohne Furcht vor Kitsch und Glitter.
"Also, ich besitze einen Engel aus Papier, aus Transparentpapier. Den haben meine Enkelkinder gebastelt." Christine, 64 Jahre alt, Verwaltungsmitarbeiterin und Engelfan, zeigt ihre Sammlung: "Dann hab ich einen Engel aus einem bestimmten Glas, mein Sohn hat mal einen Engel aus Holz geschnitzt. Tja, die stehen da rum und beschützen mich."
Regelmäßig geht die evangelische Christin in einen katholischen Buchladen in Berlin-Mitte, um einzukaufen: Bücher über Engel, Postkarten, Engelsfiguren. Sie sagt: "Engel sind für mich ein Sinnbild dafür – tja, dass ich getragen werde und dass ich irgendwie nicht ganz alleine bin, dass ich Hoffnung haben kann. Und: Ja, das ist einfach schön!"

Porzellanfiguren liegen gut in der Hand

Bettina Klinkmann ist die Inhaberin der Buchhandlung Sonnenhaus. Kunden, die sich für Engel interessieren, führt die Frau mit den kurzen braunen Haaren zu einem Schrank und zeigt ihre Auswahl:
"Handschmeichler, Engel-Handschmeichler in jeglicher Form: aus Porzellan, aus Holz, das hier ist auch Porzellan, aus Bronze, aus Neusilber, in Groß, in Klein, in Mittel, aus Speckstein."
Handschmeichler, das sind Figuren, die man sich in die Jackentasche stecken kann. Bettina Klinkmann verkauft auch Engelfiguren fürs Portemonnaie, als Schlüsselanhänger und zum Aufstellen. Gefragt sind sie das ganze Jahr über, zu Weihnachten, zum Geburtstag, zu katholischen Festen wie der Kommunion, im Trauerfall und als Talisman: wenn junge Menschen in die Welt hinausziehen. Bücher über Engel sind ebenfalls beliebt, sagt Klinkmann, Figuren aber noch mehr:
"Weil der Trend eher dahingeht, dass man was in der Hand braucht, woran man sich festhalten kann, was man anfassen, was man fühlen kann. Lesen liegt leider nicht so im Trend und schon gar nicht, wenn man sich mit irgendwas erst befassen muss. Also, so viel Zeit hat man oft nicht, dass man sich da so rein vertiefen will. Man braucht schnell was, schnell einen Strohhalm oder schnell eine Geschenkidee. Und: Engel geht immer!"

Engelknappheit in der DDR

Dass auch die Esoterikszene den Engeln huldigt, stört die gläubige Katholikin nicht:
"Ich glaube, dass sich das eher bereichert. Das ist weder eine Konkurrenz noch total abzulehnen, weil, ich glaube: Egal! Wenn Menschen was finden, was ihnen hilft, besser durchs Leben zu kommen – wer bin ich, dass ich mich da hinstelle und sage: Das ist Schrott oder das ist doof oder das darf man nicht oder das ist falsch!? Wenn’s den Leuten hilft: Wunderbar!"
Bettinas Mutter Heidrun Klinkmann führte den Buchladen bereits zu DDR-Zeiten. Schon damals sei der Bedarf an Engeln groß gewesen, nicht aber das Angebot. Die schönen handgeschnitzten Engel aus dem Erzgebirge wurden ja vor allem in die Bundesrepublik exportiert, erzählt die Buchhändlerin: "Gab ja besseres Geld, als wenn sie's in der DDR gelassen hätten. Hatten wir eigentlich sehr wenig, an Devotionalien sowieso sehr wenig."
Und so mussten die Leute die Engel selbst basteln. Was über die Jahre gleich geblieben ist: dass Menschen sich in persönlichen und gesellschaftlichen Krisen nach Engeln sehnen. "Das gibt immer mal so Wellen", sagt Bettina Klinkmann. "Es gibt Zeiten, in denen sie total gefragt sind. Es sind meistens schwierige Zeiten, wenn's den Leuten allgemein nicht gut geht. Das ist so eine Stimmung in der Gesellschaft."
Durch das Corona-Virus sei der Engelabsatz aber nicht gestiegen – was schlicht daran liege, dass die Leute zu Hause bleiben.

Esoterische Engel im Trend

Szenenwechsel. Renate Thelen ist Inhaberin der esoterischen Buchhandlung "Zenit" in Berlin-Charlottenburg. Sie verkauft Bücher, Kristalle, Pendel, Aroma-Öle, Orakelkarten und Meditations-CDs. Mitten im Buchladen steht ein großer Engel aus Gips. Außerdem bietet Thelen Engelbücher, kleine Engelsfiguren und Karten mit Engelmotiven an. Sie beobachtet ebenfalls, dass Menschen sich in schwierigen Zeiten gern an Engeln festhalten – vor allem Frauen und vor allem in den letzten zwei Jahren:
"Das nimmt ja immer mehr zu, allgemein jetzt: Stress und Burnout. Die kommen nicht mehr klar. Die merken: Es kommen Dinge in ihnen hoch, die können sie nicht mehr richtig handlen: Gefühle, Ängste. Engel sind oft ein Einstieg für die Menschen in diese spirituelle Welt. Engel kennen sie aus der Kindheit, von Geschichten oder aus ihrer Religion heraus. Frauen holen sich die Engelkarten und legen sich die Karten oder verbinden sich mit den Energien oder beten zu den Engeln."
Renate Thelen stammt aus einer streng katholischen Familie. Sie hat von jeher eine enge Beziehung zu Engeln. "Ich weiß noch, als ich 20 war – ich bin jetzt über 50 – da war Engel ein Tabuthema", erinnert sie sich. "Da war das lächerlich. Da durfte man Engel erwähnen, aber im Privaten oder sich einen Engel mal hinzustellen, da war man ja gleich schon spinnert! Aber es hat sich in den letzten 20 Jahren enorm verändert."

Engel sehen, Engel spüren

Weil sie den Katholizismus als dogmatisch empfand, trat sie schon als junge Frau aus der Kirche aus. Trotzdem bezeichnet sich Renate Thelen heute als spirituelle Christin. Sie weiß von Menschen, die Engel sehen können. Sie selbst gehöre nicht dazu, die Anwesenheit von Engeln spüren könne sie aber:
"Die Zugänge zu diesen Energien sind nur in den letzten zehn Jahren etwas leichter geworden. Es hat sich schon mit der Erde, mit der Schwingung – genau wissen wir’s nicht, ja? – es hat sich was verändert, so dass auch viel mehr Menschen in dieses Hellfühlen, Hellhören, in diese Bereiche reinkommen."
Besondere Schwingung oder nicht, das Angebot der Religionsgemeinschaften in Deutschland wird jedenfalls immer vielfältiger. Und Engel scheinen kaum etwas von ihrer Anziehungskraft eingebüßt zu haben.
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