England und die Oligarchen

"Londongrad" soll sauber werden

25:54 Minuten
Blick auf die Themse mit der Towerbridge im Vordergrund
Auf Einkaufstour in London: Viele Reiche aus aller Welt - so auch aus Russland - haben in der britischen Hauptstadt in Immobilien investiert. © Unsplash / Benjamin Davies
Von Christine Heuer |
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Russische Oligarchen wie Roman Abramowitsch haben seit den 90ern Milliarden in britische Immobilien investiert. Auch den englischen Fußball machten sie reich. Nun will die Regierung ihr Vermögen einfrieren sowie Geldwäsche und "Goldene Visa" beenden.
Thornwood Gardens in Londons exklusivem Wohnviertel Holland Park: Aktivisten der Kampagne „Kensington against Dirty Money“ hieven eine ausrangierte Waschmaschine auf einen Union Jack, den sie auf dem Gehsteig ausgelegt haben. Dann stopfen sie Spielgeld in die Waschtrommel.
Holland Park liegt im Bezirk Kensington and Chelsea. Er ist reich an Oligarchen aus aller Welt mit gewaschenem Geld, erklärt Kampagnengründer Joe Powell: "Hinter uns sind drei Immobilien, die der Familie des aserbaidschanischen Präsidenten gehören. Ihr Gesamtwert: 40 Millionen Pfund. Sie sind Teil seines 600 Millionen-Immobilien-Imperiums in Großbritannien. Sein offizielles Jahresgehalt beträgt 175.000 Pfund."

Lawrows Stieftochter zahlte fünf Millionen in bar

Thornwood Gardens ist nur ein Beispiel unter vielen. Und nicht einmal besonders spektakulär. Gegenüber von Kensington Palace und der Residenz des russischen Botschafters residierte Roman Abramowitsch in einer Villa, die 190 Millionen Euro wert sein soll.
Die Stieftochter des russischen Außenministers Lawrow besitzt ein Luxus-Appartement am Holland Park. Den Kaufpreis, umgerechnet mehr als fünf Millionen Euro, bezahlte sie in bar.
Wie viel Geld korrupte oder kriminelle Superreiche aus aller Welt schon für britische Immobilien hingeblättert haben, ist nicht bekannt. Transparency International weiß von rund acht Milliarden Euro. Fast ein Viertel davon bringt die Organisation mit Russen in Verbindung, denen Filz oder eine besondere Nähe zum Kreml vorgeworfen wird. Es ist nur die Spitze des Eisbergs.

Oligarchen roten Teppich ausgerollt

Putins Kumpanen hätten schmutziges Geld in Großbritannien versteckt, ereiferte sich nach dem Überfall auf die Ukraine Innenministerin Priti Patel im Parlament. Dieses Geld wolle man nicht im Land haben. Sätze wie diese markieren eine grundsätzliche Kehrtwende. Denn über Jahrzehnte hat das Königreich russischen Oligarchen mit Vermögen aus suspekten Quellen den roten Teppich ausgerollt.
Den wenig schmeichelhaften Spitznamen "Londongrad" hat sich die britische Hauptstadt seit Mitte der 90er-Jahre erworben. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion waren zahlreiche Russen auf dubiose Art über Nacht reich geworden. Nun kamen viele von ihnen nach London.
Wieso gerade hierher? Wegen der City, dem Finanzplatz London also, und der hervorragenden Anwälte, erklärt Oliver Bullough, Journalist und Autor diverser Bücher über russisches Geld in Großbritannien: "Die Fertigkeiten, die sie hatten – Mord, Gewalt, politische Beziehungen – halfen ihnen nicht dabei, ihre Unternehmen in das internationale Finanzsystem einzugliedern. Also kamen sie her und baten Londoner Fachleute, das für sie zu erledigen. Und die waren gerne bereit dazu."
Die Regierung war ebenfalls behilflich. Unabhängig davon, ob sie von Labour oder den Tories geführt wurde. Seit 2008 verteilte sie freigiebig sogenannte „Goldene Visa“ an ausländische Superreiche, vor allem an Russen und Chinesen. Goldenes Visum bedeutet: Wer mindestens zwei Millionen Pfund in Großbritannien investiert, darf dauerhaft bleiben.

Intransparente "Micky Maus"-Unternehmen

Und auch sonst macht Großbritannien es Oligarchen leicht. Selbst wenn Millionensummen den Besitzer wechseln, verlangt niemand Auskunft über die Herkunft des Geldes. Und im Handelsregister kann jeder Firmen unter Fantasie-Namen eintragen lassen. Welche natürlichen Personen dahinterstecken, wird nicht kontrolliert.
"Derzeit könnte jeder von Ihnen eine Firma in Übersee gründen, eine Immobilie hier kaufen und dem Staat dann erzählen, jemand, der noch gar nicht geboren ist, besitze diese Firma", sagt Rachel Davies von Transparency International. "Es ist unfassbar leicht. Ich könnte heute unter dem Namen Micky Maus ein britisches Unternehmen gründen, und niemand würde die Richtigkeit meiner Angaben weiter in Frage stellen."
Seit vielen Jahren fordern Kritiker des laxen Umgangs mit Oligarchen, die gravierenden Missstände abzubauen. Aber die Regierung schob das Thema immer wieder zur Seite und damit vor sich her. Seit Putins Angriff auf die Ukraine ist das nicht mehr möglich.
"Das ist kein auswärtiges Problem. Es ist ein Problem, das das Königreich bei sich zu Hause lösen muss. Um die Ukraine zu verteidigen, müssen wir uns selbst verteidigen gegen Filz und Korruption", sagt der konservative Abgeordnete Tom Tugendhat.

Schmutziges Geld ist zu oft gewaschen

Aber das ist gar nicht so einfach. Das schmutzige Geld ist schon viel zu oft gewaschen worden. Seine Herkunft wurde immer weiter verschleiert, der Besitz formal auf immer mehr Briefkastenfirmen, Verwandte und Verbündete übertragen. So ist ein Dickicht entstanden, das im Nachhinein kaum mehr zu zerschlagen ist. Letzte Woche hat die Regierung das Gesetz gegen Wirtschaftskriminalität verschärft. Die "Goldenen Visa" sollen abgeschafft werden.
Oliver Bullough, der Experte für Kleptokraten im Königreich, findet das gut. Man dürfe sich aber nicht zu viel davon versprechen: "Es ist, als würden wir uns plötzlich in ein Auto setzen, aufs Gaspedal treten und erwarten, dass es mit 150 km/h fährt. Aber das Auto hat keinen Motor, es gibt kein Getriebe, vermutlich nicht mal eine Antriebswelle. Es gibt gar nichts. All diese Dinge müssen erst noch konstruiert werden."
Will man in diesem Bild bleiben, sitzen Heerscharen von Anwälten und Finanzdienstleistern im Auftrag der Oligarchen bereits im laufenden Ferrari. Seit Jahrzehnten verdienen sie viel Geld damit, ihre Mandanten und Kunden vor staatlichem Zugriff zu bewahren. Gerade kümmern sie sich fieberhaft darum, drohende Sanktionen zu vereiteln und schon verhängte zu torpedieren.

Bisher nur 18 Oligarchen sanktioniert

Seine Regierung, kündigte Premier Boris Johnson vollmundig an, werde hunderte Oligarchen mit Sanktionen überziehen. Und Außenministerin Liz Truss ließ wissen, sie führe eine „Hitlist“ mit den Namen von Oligarchen, die Putin nahestehen. Die würde abgearbeitet, egal womit die Advokaten drohten.
Der britische Premier Boris Johnson
Boris Johnsons großen Ankündigungen folgten bisher nur Sanktionen für 18 russische Oligarchen.© IMAGO/ZUMA Wire / Tayfun Salci
Gemessen an solch starken Worten sind die Sanktionen gegen Einzelpersonen in Großbritannien bemerkenswert schwach angelaufen. Sind sie erst mal verhängt, friert das Königreich die Besitzstände der Betroffenen zwar entschlossen ein. Bisher hat es das aber nur in sehr wenigen Fällen getan.

Reich mit Putins Gnade

Roman Abramowitsch, noch Besitzer des FC Chelsea, war letzte Woche unter den ersten 18 sanktionierten russischen Oligarchen. Der Multimilliardär hat sein Vermögen in der Jelzin-Ära gemacht. Er besteht darauf, Wladimir Putin weder persönlich noch finanziell nahezustehen. Dabei war Abramowitsch acht Jahre lang Gouverneur einer russischen Region im Nordosten – von 2000 bis 2008 – kaum vorstellbar, dass das ohne Putins Segen passierte.
Doch wer ihn öffentlich als Putin-Freund darstellt, den überziehen Abramowitschs Anwälte mit Prozessen. Letztes Jahr traf es Catherine Belton. In ihrem Buch „Putins Volk“ hatte die langjährige Moskau-Korrespondentin der "Financial Times" geschrieben, dass Abramowitsch den englischen Fußballverein 2003 auf Putins Geheiß gekauft habe. Kein Russe sei reich ohne Putins Gnade.
"Es ist offensichtlich, wie der Kreml funktioniert. Selbst wenn Du mal ein unabhängiger 'Jelzin-Milliardär' warst, bist Du das nicht mehr nach 20 Jahren Putin. Putin war gerade erst drei Jahre im Amt, als er mit Chordokowski den reichsten Russen ins Gefängnis gesteckt und seine Ölfirma übernommen hat. Seitdem sind alle anderen Oligarchen eingeschüchtert. Sie müssen ihr Vermögen mit dem Kreml teilen. Viele von ihnen haben mir das selbst erzählt."

Vermögen von Roman Abramowitsch eingefroren

Kaum war von Sanktionen die Rede in Großbritannien, bot Roman Abramowitsch den FC Chelsea zum Verkauf an. Der Gewinn, versprach er, solle den Opfern des Ukraine-Kriegs zugutekommen. Ob er dabei eher russische oder ukrainische Opfer im Sinn hatte, ließ er offen. Eine klare Verurteilung Putins unterließ er ebenfalls. Auf jeden Fall waren die Briten diesmal schneller als der Milliardär. Letzte Woche wurde alles, was Abramowitsch im Königreich besitzt, eingefroren. Auch sein Fußballverein.
Die Sportministerin Nadine Dorries klang tags darauf geradezu erleichtert: "Wir haben die Investitionen russischer Kleptokraten viel zu lange akzeptiert. Aber ich denke, die gestrige Bekanntmachung zeigt, dass wir einen Wendepunkt erreicht haben."
Der FC Chelsea ist eine britische Institution. Ohne neuen Besitzer droht ihm das Geld auszugehen, ohne Geld das Aus. Die britische Regierung hat zwar Hilfe zugesagt. Sie hat aber auch klargestellt, dass Abramowitsch keinen einzigen Cent Gewinn mehr machen darf mit dem Club. Der Fanartikel-Shop wurde von einer Minute auf die nächste geschlossen. Dann meldete Sky News, dass Ticketverkäufe ab sofort verboten sind.

Fans finden Regierungssanktionen heuchlerisch

Vor ihrem Heim-Stadion „Stamford Bridge“ machten mehrere Fans ihrem Ärger Luft.
"Ich finde das dem Verein gegenüber unfair. Die Regierung hat 19 Jahre lang hohe Steuern kassiert, sie hat die ganze Zeit die Situation gekannt. Und jetzt bestrafen sie Chelsea, nur weil Krieg ist."
"Die Regierung ist heuchlerisch. Sie finanzieren diesen Krieg, indem sie Öl und Gas von Russland kaufen. Und jetzt machen sie Abramowitsch zum Sündenbock. Sie vergessen all das Gute, das er getan hat. Nicht nur für den Verein, sondern auch für Wohltätigkeitsorganisationen."
"Egal was er getan hat, Gutes oder Schlechtes, er wäre sowieso bestraft worden. Und nur aufgrund der Vermutung, dass er Putin nahesteht. Boris hat gesagt, sie würden nichts ohne konkrete Beweise tun. Sie haben keine Beweise, aber sie haben es trotzdem getan."

Großzügige Spenden an Konservative Partei

Es hat lange gedauert, bis die britische Regierung gegen russische Oligarchen durchgriff. Viele vermuten, das habe auch etwas mit den großzügigen Geldspenden reicher russisch-stämmiger Briten an die Konservative Partei zu tun. Allein seit Boris Johnsons Einzug in Downing Street 2019 sollen es rund zwei Millionen Pfund gewesen sein.
2020 bezahlte die Frau eines Ex-Finanzministers von Wladimir Putin 160.000 Pfund für ein Tennismatch mit dem britischen Premier. Sie war auch Mitglied in einem jüngst aufgedeckten geheimen Beraterkreis mit privilegiertem Zugang zur Regierungsspitze.

Johnsons Freundschaft mit KGB-Agenten-Sohn

Und dann ist da noch der russisch-englische Medienmogul Evgeny Lebedev, der als Sohn eines KGB-Agenten in Moskau geboren wurde. 2019 feierte Boris Johnson seinen Wahlsieg bei Lebedev zu Hause. 2020 wurde er geadelt und mit einem Sitz im Oberhaus versorgt.
Boris Johnson musste hart dafür kämpfen, seinen russisch-stämmigen Freund als „Baron von Hampton und Sibirien“ zu etablieren. Eine Kommission des Oberhauses meldete Sicherheitsbedenken an. Der Premierminister sorgte dafür, dass es trotzdem klappte. Und so leistete Evgeny Lebedev seinen Schwur auf Königin Elisabeth.
Im Oberhaus ist Lord Lebedev seither kaum mehr gesichtet worden. Aber natürlich fällt die Geschichte dem Regierungschef dieser Tage wieder mit Macht auf die Füße. In einem Interview leugnete er, gegen Sicherheitsbedenken gehandelt zu haben. Um im nächsten Atemzug vor „witch-hunt“ zu warnen, einer Hexenjagd auf alle Russen im Königreich. So etwas, sagte Boris Johnson, würde nur Wladimir Putin in die Hände spielen.
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