Englisches Schweißfieber

Eine Epidemie, die plötzlich verschwunden ist

08:31 Minuten
Hanwell Cemetery, London, United Kingdom, England.
Blick auf einen alten Friedhof in London: Vor über 500 Jahren breitete sich das tödliche Schweißfieber schnell in der Stadt aus. © Unsplash / Edward Howell
Von Volkart Wildermuth |
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Seit gut einem Jahr kämpft die Welt mit Corona. Neue Krankheiten treten immer wieder auf - und verschwinden manchmal auch wieder: Wie zum Beispiel ein tödliches Schweißfieber, das über knapp 100 Jahre in mehreren Wellen vor allem England heimsuchte.
1485 findet im englischen Bosworth Field die letzte Schlacht der Rosenkriege statt.
"Während dieser entscheidenden Schlacht wartet also Richard III. vergeblich auf die Unterstützung von Baron Thomas Stanley, der sich damit entschuldigt, dass er erkrankt sei am Schweißfieber", sagt Kay Peter Jankrift. "Das sind also so die Notizen, die uns zeigen, dass da im Umfeld dieser Schlacht eine recht mysteriöse Krankheit wütet, die Teile von Truppen lahmlegt."
Richard III. stirbt und Heinrich VII. begründet die Herrschaft der Tudors. Ob die Krankheit wirklich ernst oder nur aus taktischen Gründen vorgeschoben war, kann auch der Münsteraner Historiker Kay Peter Jankrift nicht sagen, aber die fehlende Unterstützung dürfte entscheidend für den Ausgang der Schlacht gewesen sein.
Die siegreichen Truppen zogen nach London zur Krönung. Doch die musste erst einmal verschoben werden, das Englische Schweißfieber breitete sich schnell in der Stadt aus.

Tiefe Erschöpfung, hohes Fieber

Viele starben, vor allem junge Menschen und Hochgestellte, wie Bürgermeister oder Amtmänner, beobachtete der englische Arzt John Caius: "Die, die am Schweiß erkrankten und starben, waren entweder reiche Männer, leichtfertig, oder es waren Arme, müßige Personen, gute Biertrinker und Kneipengänger."
Für die zeitgenössischen Mediziner war klar, dass sie es mit einem neuen Leiden zu tun hatten, anders als etwa Pest, Typhus oder Syphilis. Die Kranken sind erst tief erschöpft, bekommen dann hohes Fieber.
"Und dann kommt es eben zu diesem Leitsymptom, was dieser mysteriösen Krankheit den Namen gegeben hat, der Ausbruch von einem offenbar sehr, sehr übel riechenden Schweiß, der so auffällig war, dass alle Zeitgenossen das notieren. Diese Symptome verschlimmern sich relativ schnell und können innerhalb weniger Stunden zum Tod führen", erklärt Kay Peter Jankrift.

"Plötzlich starben alle beide"

1485 besuchte auch der niederländische Arzt Thomas Forrestier London: "Wir sahen zwei Priester, die zusammenstanden und miteinander redeten. Plötzlich starben alle beide. Ein junger Mann, der die Straße entlangging, fiel einfach tot zu Boden."
Im Grunde entscheidet sich innerhalb eines Tages, ob ein Infizierter die Krankheit übersteht oder stirbt. Von August bis Oktober wütete der Englische Schweiß, dann verschwand er wieder.
In "Maß für Maß" lässt William Shakespeare eine Kupplerin sagen: "So bringen mich denn teils der Krieg und teils das Schwitzen, und teils der Galgen, und teils die Armut um alle meine Kunden."

Der Englische Schweiß erreicht Hamburg

Nach der ersten Epidemie herrscht 30 Jahre lang Ruhe. Der nächste Ausbruch wird 1508 dokumentiert. Zwei weitere Epidemien folgen mit jeweils ungefähr zehn Jahren Pause. 1529 erreicht der Englische Schweiß Hamburg, mit dem Schiff des Kapitäns Hermann Evers.
"Die Chroniken berichten darüber recht lakonisch", sagt Kay Peter Jankrift, "dass es hier zum Ausbruch von einer Pestilenz, wie diese Seuchen nur im Allgemeinbegriff bezeichnet werden, kommt, die einhergeht mit diesem Ausbruch dieses übel riechenden Schweißes und dass es zu einer großen Sterblichkeit gekommen ist."
Die Krankheit breitet sich aus, erreicht Polen, Russland. Vor allem aber auch Deutschland und Österreich.

Belagerung Wiens abgebrochen

Dort wird sie dann auch politisch relevant, denn Wien wird gerade von den Türken belagert.
"Krankheiten selber sind, glaube ich, keine tatsächlich geschichtsstiftenden Faktoren, die beeinflussen natürlich den Verlauf bestimmter Dinge", sagt Kay Peter Jankrift. "Wir wissen auch 1529 bei der Belagerung von Wien, dass dieser Englische Schweiß ausbricht, im Heer der belagerten Osmanen, und dass die Belagerung daraufhin abgebrochen wird."
Plötzlich, oh Wunder: Wie die Türken verschwindet auch der Englische Schweiß, so Kay Peter Jankrift. 1551 kommt es zum letzten Ausbruch in England. Danach ist die Krankheit - Geschichte.
War sie eine Strafe Gottes? In einigen Städten in Deutschland werden Bittprozessionen abgehalten, andere Städte, wie etwa Wesel am Niederrhein, gehen ganz pragmatisch vor.
"Die Stadtväter sorgen sich sehr darum, Informationen zu bekommen, wie man mit der Seuche umgeht", erzählt Kay Peter Jankrift. "Fragen dann bei der Stadt Borken in der Nachbarschaft an, ob man da kundige Leute hätte, die schon mit der Seuche zu tun hatten, und holt die dann als so eine Art Hilfstruppe in die Stadt."

Krankheitserreger bis heute unklar

Die Experten rieten dazu, die Kranken trotz des Schweißes fest in Decken einzuhüllen, um sie warm zu halten und während des entscheidenden ersten Tages am Schlafen zu hindern, zur Not mit Nadelstichen. Wie wirksam die Behandlung war, ist unbekannt. Zumal bis heute unklar ist, welche Art von Erreger den Englischen Schweiß verursacht hat. Bakterien, Viren, Pilzgifte?
Der belgische Virologe Paul Heyman überlegt: "Das Kennzeichen der Englischen Schweißkrankheit ist natürlich der Schweiß. Und den finden wir nur bei Hantavireninfektionen vor allem in Amerika und bei Anthrax. And that’s it."
Anthrax führt aber meist nur zu isolierten Fällen, nicht zu Epidemien, deshalb hält Paul Heyman Hantaviren für die wahrscheinlichste Erklärung des Englischen Schweißes. Sie werden von Nagetieren übertragen. Das passt zu Berichten, nach denen reiche Klöster mit entsprechend großen Getreidevorräten besonders unter dem Englischen Schweiß litten.
Anders als andere Epidemien trat die Krankheit auch im Sommer und Herbst auf, wenn die Mäuse und Rattenpopulationen am größten sind. Und Hantaviren werden auch nicht jedes Jahr zum Problem, sie kommen in Wellen. Indirekte Hinweise. Mehr wird es auch nicht geben, denn Hantaviren haben ein Erbgut aus empfindlicher RNA, die sich kaum noch aus historischen Gräbern isolieren lassen wird.

Ähnliche mildere Schweißfieber dokumentiert

Warum die Krankheit verschwand, kann sich auch Paul Heyman nicht erklären. Er hält es für möglich, dass sie keine Epidemien mehr auslöste, dass aber weiter vereinzelte Fälle aufgetreten sind. Mehr als 150 Jahre später, zwischen 1718 und 1861, kam es jedenfalls auf dem Kontinent, vor allem in Frankreich, zu vielen Ausbrüchen des milderen Picardschen Schweißfiebers.
"Und dann ungefähr 100 Jahre nach dem Picardschen Schweißfieber gab es das Schützengrabenfieber im Ersten Weltkrieg. Englische Ärzte schrieben es Maulwürfen zu und verglichen es mit dem Englischen Schweißfieber", erklärt der Virologe.
Paul Heyman will nicht ausschließen, dass sich der Erreger des Englischen Schweißfiebers im Lauf der Jahrhunderte verändert hat und inzwischen eher milde Symptome verursacht. So wie im Übrigen auch die Corona-Schnupfenviren als abgeschwächte Nachkommen einst tödlicher Epidemien gelten.

Trotz Hilflosigkeit zugepackt

Kay Peter Jankrift fasziniert das Rätselhafte am Englischen Schweiß und er hat den Umgang mit der Epidemie analysiert.
"Wenn man da irgendeine Sache sieht, dann ist es so, dass trotz dieser Hilflosigkeit gehandelt wird, da wird zugepackt", sagt er. "Der Stadtrat in manchen Städten, gerade Wesel, ist dafür ein gutes Beispiel, man bemerkt, dass die immer im Ausbruch von Seuchen seit dem 14. Jahrhundert sehr stringent handeln. Und das ist vielleicht so eine Geschichte, die man mitbringen kann, dass es darum geht, dass man Maßnahmen, wenn man sie dann nimmt, möglichst schnell und gut umsetzt."
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