"Musik wie aus dem Meditationszentrum, ruhig dahin fließend, ohne erkennbare Rhythmik, Anfang oder Ende. Mit 'Reflection' setzt Brian Eno die Reihe seiner Ambient-Veröffentlichungen fort", sagt Uwe Wohlmacher über das neue Eno-Album:
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Wenn Musiker mit Apps experimentieren
Musikhören auf dem Smartphone ist heute Standard. Aber Musik-Apps, die als eigenes Format funktionieren, sind noch immer selten. Nur wenige Musiker probieren das aus wie Brian Eno, der jetzt seine dritte App "Reflection" veröffentlicht hat. Sie wirkt nur auf den ersten Blick etwas altmodisch.
Ambient. Ein Genre ohne Anfang und Ende, ohne Höhepunkt und Refrain. Die anspruchsvolle Version von Wellness-Musik. Einer der Erfinder: Brian Eno. Sein 1978er-Album "Ambient 1: Music for Airports" ist der Klassiker des Genres.
"Mit Ambient-Musik wollte ich eigentlich endlose Musik machen, die solange da ist, wie man es möchte.", schreibt Brian Eno zur Veröffentlichung seines neuen Albums "Reflection", das eigentlich nur ein einziges 54-minütiges Musikstück ist. Aber auch eine App für das Smartphone. Denn die CD oder Schallplatte ist endlich:
"Aber die App, die 'Reflection' produziert, ist nicht auf die Album-Version beschränkt: Sie kreiert eine endlos wechselnde Version dieses Musikstücks."
Endlose Variationen des Albums möglich
Generative Musik nennt Eno das. Er gibt das akustische Material vor, die App regelt den Rest. Stunden- oder tagelang.
Auf den ersten Blick wirkt die App wie ein Rückschritt. Der Nutzer kann nur hören und stundelang auf unbewegliche Quadrate und Rechtecke schauen. Dabei schien bisher das Patentrezept für Musiker, die Apps herausbringen: visualisieren nach Vorbild des Windows Media Players plus irgendein interaktives Element, und sei es auf dem Level eines Kleinkinderspiels.
"Ich finde auch die vorangegangenen Apps von Brian Eno und Peter Chilvers von 2008 bis 2012, die sind sich auch alle ein bisschen ähnlich."
Sagt Henry Keazor, Professor für Neuere und Neueste Kunstgeschichte an der Universität Heidelberg. Er untersucht die Entwicklung von Musikvideos und Musik-Apps. Brian Eno und der Musiker und Softwareentwickler Peter Chilvers haben 2008 die App "Bloom" rausgebracht. Interaktiv – der Nutzer drückt mit dem Finger auf den Bildschirm, als wären es Klaviertasten, jedes Drücken hinterlässt einen Punkt, dazu Musik. "Scape" von 2012 war ein wenig komplexer, die Kreise wurden eckig, das war's aber auch schon.
Henry Keazor: "Das heißt, man merkt also, das ist sehr schwer, etwas Neues zu machen. Die Gefahr ist immer, dass das schnell langweilig wirkt."
Die App als Fortsetzung des Musikvideos
Für Keazor sind Apps von Musikern die Fortsetzung des Musikvideos. Um mit neuer Technik zu experimentieren. Oder um Werbung für das neue Album zu machen:
"Wenn jetzt ohnehin schon alles auf dem Smartphone angeschaut wird, dann kann man ja auch mit einer Smartphone-genuinen Technik wie der App auch arbeiten."
Trotzdem sind die herausragenden Beispiele der vergangenen acht Jahre schnell aufgezählt: Animal Collective haben sich an das Billig-Grafik-Programm Paint von vor 20 Jahren erinnert und lassen dazu ihre aktuelle Single laufen, bei der App der Cold War Kids konnte der Nutzer in einer Art Musikvideo auf den Schlagzeuger klicken, und dann wurde der Song ohne Schlagzeug weiter abgespielt - aber das ist auch schon sieben Jahre her.
Und natürlich:
"This App is called 'Crystalline'."
Biophilia von Björk. Ein Album und Multimedia-Spektakel mit App, Game und allerhand interaktiven Möglichkeiten. Veröffentlicht 2011 und immer noch das Paradebeispiel, dem kein Musiker in dieser Konsequenz folgt. In einem Video erklärt Björk:
"You can travel inside the crystal and decide, I want the course and the verse. You can make your own songstructure."
Björk möchte die App-Nutzer auf eine Reise schicken, auf der sie selbst entscheiden können, wie oft sie Strophe oder Refrain hören wollen. So können sie selbst die Songstruktur gestalten.
Schwierige Mischung aus Spiel und Musik
Henry Keazor hat wissenschaftlich untersucht, wie Nutzer auf diese Mischung aus Game und Musik reagieren:
"Die Idee ist ja eigentlich, dass die Leute das Musikstück dadurch analytisch erfahren, dass sie dadurch, dass sie das spielen, auf die Strukturen der Musik aufmerksam werden, dass sie sich neue Versionen erspielen. Und das hat bei unseren Probanden überhaupt nicht gegriffen. Erstens haben sie das Spiel als Ablenkung von der Musik betrachtet, das stimmte auch, weil wir hatten denen das Musikvideo von Michel Gondry vorgespielt und haben sie dann gefragt, ist ihnen was aufgefallen an den zwei Versionen? Und dann sagten die, nee das war immer die gleiche Version. Das stimmte nun überhaupt nicht."
Björks Idee war innovativ und neu – sie ging aber nicht auf. Vor diesem Hintergrund scheint es nur konsequent, wenn Eno zu seinen alten Ideen zurückkehrt: Was er vor über 20 Jahren kompliziert als Installation "Generative Music 1" präsentierte, passt heute als App in jede Hosentasche. Ein endloses Musikbett, immer anders, niemals aufdringlich – die passendste Form für Ambient überhaupt. Ohne vorgegaukelte Interaktivität. Für Enos Musik klappt das.
Es ist aber keine Patentlösung für Musiker und Bands, die Apps veröffentlichen wollen.
Brian Eno: Reflection
Auf CD, Vinyl und digital erschienen als "generative Premium-Version für Apple TV und iOS" (für 39,99 Euro). Wer kein Apple-Gerät besitzt, muss also auf das Album zurückgreifen.