"Enorme Dynamik ins System gebracht"

Annette Schavan im Gespräch mit Joachim Scholl |
Die CDU-Politikerin Annette Schavan sieht große Chancen durch die Hochschulreform. Über die Exzellenzinitiative sagte die Bundesbildungsministerin: "Das ist eine Erfolgsgeschichte."
Joachim Scholl: Die Exzellenzinitiative, der Bologna-Prozess, das sind zwei Stichworte, zwei Begriffe der wohl gewaltigsten Hochschulreform der letzten Jahrzehnte. Der Exzellenzwettbewerb soll Eliteuniversitäten schaffen, Spitzenforschung mit Fördergeldern belohnen und die deutschen Universitäten international konkurrenzfähiger machen.

Zugleich sollen Studienzeiten verkürzt werden, die Studenten effektiver auf die Erfordernisse des Arbeitsmarktes vorbereitet werden durch neue allgemein anerkannte Abschlüsse wie Master und Bachelor. Etliche Universitäten können sich mittlerweile mit dem Gütesiegel der Exzellenz schmücken.

Die nächste Runde der Exzellenzinitiative steht an. Doch immer deutlicher artikuliert sich Kritik. Hochschullehrer und Studenten fordern eine Reform der Reform. Politisch maßgeblich an der Reform beteiligt war und ist Annette Schavan, Ministerin des Bundes für Bildung und Forschung. Sie ist jetzt im Studio. Ich grüße Sie!

Annette Schavan: Schönen guten Tag!

Scholl: Von vielen Seiten müssen Sie sich zurzeit vorwerfen lassen, Frau Schavan, das Verfahren der Exzellenzinitiative sei bei aller guten Absicht im Grunde ein Flop. Sind Sie sauer, wenn Sie das hören?

Schavan: Ich weiß nicht, wo Exzellenzinitiative als Flop bezeichnet wird. Es gibt Vorschläge, wie es nach der Exzellenzinitiative weitergehen soll, aber unbestritten ist, dass die Exzellenzinitiative eine enorme Dynamik ins System gebracht hat, übrigens ja eben nicht einfach Elitehochschulen ausgewählt worden sind.

Das war mal der ursprüngliche Gedanke der Vorgängerregierung, aber wir haben gesagt, nein, es muss deutlich werden, dass da nicht nur wenige Hochschulen ausgewählt werden, sondern zum Beispiel originelle Konzepte der Nachwuchsförderung, Stichwort Graduiertenschulen, zum Beispiel neue Konzepte in den Exzellenzclustern, wie Fachbereiche zusammenarbeiten und dann die interessante dritte Schiene, die Zukunftskonzepte der Hochschulen.

Daraus ist so etwas entstanden wie das Karlsruher Institut für Technologie, von dem alle sagen, da steckt die Chance hinter, dass bereits in wenigen Jahren das eine international hoch attraktive Stätte für Wissenschaft, Forschung, für Lehre, aber auch Innovation ist. Also von daher, das ist eine Erfolgsgeschichte, und deshalb gibt es auch eine nächste Runde.

Scholl: Ein wesentlicher Kritikpunkt ist, aus der Forschungsexzellenz sei eine Antragsexzellenz geworden. Das heißt, die Universitäten müssen einen riesenhaften Aufwand betreiben, um sich zu bewerben. Viele Professoren würden keinen Hörsaal mehr betreten, weil sie nur noch in Evaluationsgremien sitzen und Förderkonzepte schreiben, die Forschung selbst stagniere und die Studenten würden ihre Professoren nicht mehr sehen. Das kann nicht im Sinne des Erfinders und auch in Ihrem Sinne sein, oder?

Schavan: Nein, das ist auch nicht so. Sehen Sie, eine Universität wie Freiburg, die Exzellenzuniversität ist, ist vor wenigen Wochen ausgewählt worden vom Stifterverband als eine der Universitäten mit einem exzellenten Konzept für die Lehre. Das heißt, der alte Satz, dass Forschung und Lehre eng miteinander verbunden sind, gilt auch hier. Wir interessieren uns nicht nur für exzellente Forschung, sondern natürlich wirkt sich das auch aus auf den Alltag der Studierenden.

Ich habe diesen Artikel auch gelesen, kann aber nur sagen, da ist auch die Frage an die Politik gar nicht angemessen, sondern die Frage geht ja an die Wissenschaft, denn die Exzellenzinitiative ist ein zutiefst wissenschaftsgetriebenes Projekt. Und ich lege Wert darauf, und alle Länderminister legen Wert darauf, dass wir hier ganz stark den Vorschlägen von DFG und Wissenschaftsrat folgen. Und das hört sich gut an, es werden Anträge, aber nicht Forschung prämiert, aber es ist auch ziemlich schief.

Scholl: Ja, das ist ja eine grundsätzliche Kritik, dass die Exzellenzinitiative im Kern nur das Konzept fördert, also Forschung, die erst in der Zukunft geleistet wird. Manche Kritiker sagen eben, dass die Ergebnisse dieser Forschung gar nicht kommen werden, da man schon wieder Zeit für den nächsten Antrag braucht.

Schavan: Jeder Antrag, der auch in der Vergangenheit an die Deutsche Forschungsgemeinschaft gerichtet wurde, hat nicht prämiert oder ist nicht bezuschusst worden, was bereits geleistet wurde, sondern das ist doch ein völlig klares Verfahren: Ich stelle einen Antrag im Blick auf Forschung, die ich leisten will, und dann ist die Frage, gibt der Antrag genügend Hinweise darauf, dass daraus sich eine exzellente Geschichte ergibt. Und genau so ist das jetzt auch bei diesen Exzellenzrunden.

Scholl: Die Hochschulreform in der Kritik. Im Deutschlandradio Kultur ist Bundesbildungsministerin Annette Schavan zu Gast. Frau Schavan, im Juni haben die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten die Fortführung auch der Exzellenzinitiative beschlossen, jetzt fordert der baden-württembergische Wissenschaftsminister Peter Frankenberg von der CDU, die Initiative nach der zweiten Runde zu beenden und zurückzukehren zu einer basisbezogenen Förderung, die nach konkreten Forschungsergebnissen vergeben wird, und das auch nicht nur alle fünf, sondern nur alle zehn Jahre. Was sagen Sie Ihrem Parteifreund?

Schavan: Ich habe mit Peter Frankenberg darüber gestern Nachmittag telefoniert und ihm gesagt: Was meinst du denn? Und er hat mir gesagt: Erstens stehe ich voll zur Exzellenzinitiative, die war wichtig, die nächste Runde muss kommen, zweitens stelle ich mir aber die Frage, wie geht es eigentlich, wenn alle Förderzeiträume durch Exzellenzinitiative beendet sind.

Und seine Sorge ist, dass die Länder alleine ihre Universitäten nicht mehr finanzieren können, dass also auf mittlere und längere Frist wir in Deutschland Konzepte brauchen, wie der Bund sich an der Finanzierung der Forschung von Universitäten beteiligt. Das ist seine Grundthese, das ist sein Anliegen, und darüber wird zu sprechen sein, wenn es soweit ist. Wir reden aber da über das Jahr 2018, und bis dahin wird dieses Instrument Exzellenzinitiative weiter auch Differenzierung in die Hochschullandschaft bringen.

Scholl: Peter Frankenbergs Vorschlag, heißt es, würde auch einen Nachteil ausgleichen, den vor allem ostdeutsche Hochschulrektoren seit Beginn der Exzellenzinitiative immer wieder beklagt haben, dass sie nämlich im Grunde hinten runterfallen. Ein Ost-West-Gefälle bestünde, weil die westdeutschen Universitäten, was die Infrastruktur der Forschung angeht, einfach besser dastehen. Kaum eine ostdeutsche Universität hat den Exzellenzwettbewerb bestanden. Dieses Ost-West-Gefälle besteht doch?

Schavan: Das besteht, wir werden sehen, wie es jetzt in der zweiten Runde oder in der nächsten Runde sein wird. In der Zwischenzeit ist in den neuen Ländern viel entstanden, vor allem an Zusammenarbeit Universität/außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Das war ja ein wesentlicher Punkt, warum es bislang schwierig gewesen ist.

Ich bin da also nicht pessimistisch, was die nächste Runde angeht, aber klar ist: Würde der Bund in die Forschungsförderung der Universitäten unmittelbar überall eingreifen, überall mitfinanzieren, dann ist es natürlich vor allen Dingen attraktiv für die, bei denen jetzt die finanzielle Situation nicht so ist, wie sie wünschenswert wäre. Nur noch einmal gesagt: Das ist ein Thema für übermorgen.

Jetzt geht es um die Frage, wie die nächste Runde angelegt wird. Und unter uns gesagt, ich finde es ja interessant, es freut mich ja auch, dass die Länder immer mehr auf den Bund setzen, das ist der große Unterschied zu vor vier Jahren, da war die Hauptsorge der Länder, dass der Bund sich zu sehr einmischen könnte. Nun ist klar, Wissenschaftssystem in Deutschland lebt davon, dass Bund und Länder zusammenarbeiten.

Scholl: Ganz aktuell ist allerdings jetzt die Debatte um den Bologna-Prozess. Hier geht es nicht um Forschung, sondern um die Lehre, eine grundsätzliche Reform der Studiengänge und der Abschlüsse.

Auch hier ächzen mittlerweile die Hochschulen und die Studenten laufen dagegen Sturm. Eliteuniversität und zugleich Ausbildungsstätte für immer mehr Studenten – hat man sich vielleicht zu viel vorgenommen, werden Hochschulen wie Studenten nicht überfordert?

Schavan: Wir brauchen Korrekturen. Nach zehn Jahren wird deutlich, es sind viele interessante Studiengänge entstanden, übrigens vor allen Dingen an kleinen Hochschulen. Es ist eine enorme Entwicklung an den Fachhochschulen, da sind viele Studierende sehr zufrieden. Aber man kann nicht jeden Bachelor-Studiengang in sechs Semestern unterbringen wollen.

Manches ist zu starr, zu vollgepfropft mit zu viel Prüfungsverpflichtungen, und deshalb habe ich ja im vergangenen Sommer gesagt, es braucht jetzt einen klaren Korrekturplan – Feinjustierung mag man das auch nennen –, und die Wissenschaftsminister haben jetzt entsprechend ja einen Beschluss gefasst. Und der muss jetzt schnell umgesetzt werden.

Scholl: Die Kultusministerkonferenz vom 15. Oktober hat einen Katalog entworfen. Ich hab mir den gestern versucht mal durchzulesen, er ist so kompliziert und mit so vielen Kann-, Soll- und Könnte-vielleicht-Bestimmungen vollgepfropft, dass ich mir denke, mancher Dekan wird sich die Haare raufen und sagen, was soll ich denn damit anfangen. Also was soll konkret verändert werden?

Schavan: Nun, der Katalog entspricht ziemlich dem der Hochschulrektorenkonferenz, und es kann auch in wenigen Sätzen gesagt werden. Ein Studiengang muss daraufhin geprüft werden, ist der so machbar oder ist alles reingekommen, was irgendwer für wichtig findet. Zweitens, welche Studiengänge brauchen statt sechs acht Semester? Wie kommen wir dazu, dass die Prüfungsverpflichtungen für Studierende und übrigens auch für die Dozenten machbar sind? Wir brauchen mehr Tutoren, Lektoren in den Hochschulen, so wie das international der Fall war.

Vielleicht war der Grundfehler 1999, die Unterschrift zu leisten unter diesen Bologna-Prozess, aber nicht die Frage zu beantworten, wie viel mehr Investition ist notwendig. Die hätte man damals zwischen Bund und Ländern aufteilen müssen, das ist nicht passiert, und deshalb müssen wir das jetzt nachholen. Beim neuen Hochschulpakt ist pro Studienplatz eine höhere Summe angesetzt, unter anderem auch, um mehr für die Lehre tun zu können, das heißt ganz schlicht, mehr Personal einzustellen.

Scholl: Wenn Sie sich heute den Studienalltag der Studenten anschauen, Annette Schavan, hätten Sie heute noch mal Lust – Hand aufs Herz – noch mal zu studieren?

Schavan: Auf jeden Fall. Das Studium ist überhaupt nicht weniger interessant geworden. Es gibt tolle Studiengänge, die damals überhaupt nicht vorhanden waren, die viel mehr darauf ausgerichtet sind, dass eben nicht jeder am Ende Wissenschaftler werden will, sondern manches, was für interessante Berufswelten wichtig ist, heute schon an der Hochschule möglich ist. Nein, das ist eine tolle Zeit, auch heute, für ein Studium.

Scholl: Die Exzellenzinitiative, die Bologna-Reform – was wird sein, was wird verändert. Das war Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung. Herzlichen Dank für Ihren Besuch!