Wohin die Werke wandern
Bislang durften Kultureinrichtungen in den neuen Bundesländern Werke zeigen, die ihnen nicht gehörten. Die tatsächlichen Besitzer sind Privateigentümer, die zwischen 1945 und 1949 enteignet wurden. Diese Recht erlischt in wenigen Tagen - und dann?
Schloss Burgk thront auf einem Fels weit oberhalb der Saale. Im Schloss selbst dann schrauben sich die breiten Treppen noch höher hinauf. Stockwerk über Stockwerk. Ein Schloß wie ein Adlernest. Seit dem späten Mittelalter war es im Besitz des Adelsgeschlechts Reuß. Erst als Wehrburg, dann als Residenz, später als Sommer- und Jagdschloss. 1944 kommen Flüchtlinge aus den Ostgebieten hierher, im Februar 1945 die SS mit Akten aus dem Reichssicherheitshauptamt. Als die Amerikaner näher rücken, will die SS das Schloss mitsamt den Akten sprengen; da aber die Front stoppt, bleibt Zeit zum Verbrennen der Papiere. All das erzählt eine Tafel im Schlossmuseum. Ganz unten ist zu lesen:
"1945: Im Zuge der Bodenreform erfolgt die Enteignung. Die Verwaltung des Schlosses übernimmt das Land Thüringen."
Was damals und heute noch immer "Bodenreform" genannt wird, war schlichtweg eine Enteignung der besitzenden Klasse in der Sowjetischen Besatzungszone. Von der Familie Reuß ist fortan nicht mehr die Rede. 1952 wird Schloß Burgk zum Museum. Das ist es bis heute. Darin durchaus schlossüblich: Rokoko-Möbel, böhmisches Bleikristall, Ritter-Rüstungen, Urkunden, Gemälde, ein barockes Baldachin-Bett. Etwa 2/3 der ausgestellten Stücke gehörten bis 1945 dem Hause Reuß. Bernd Amelung ist als Vorsitzender Richter und Pressesprecher am Verwaltungsgericht Gera mit den Spätfolgen der Enteignungen befasst.
"Die Enteignungen liefen in der Regel auf zwei Schienen ab. Zum einen eben die Enteignungen nach dem Bodenreform-Gesetz, die landwirtschaftliche Güter betraf, die größer waren als 100 ha, die wurden enteignet. Und daneben gab es diverse SMAD-Befehle, die sich gegen Kriegsverbrecher oder Adlige oder sonstige gesellschaftspolitisch ungeliebte Personenkreise nach russischer Auffassung richteten."
8000 enteignete Grundbesitzer
Die SMAD war die die sowjetische Militäradministration im Osten Deutschlands.
"Übrigens geht's nicht nur um den Adel!"
Hellmut Seemann, Präsident der Klassik Stiftung Weimar. Auch viele Liegenschaften, Kulturgüter und Kunstwerke, über die er nun wacht, wurden nach dem Zweiten Weltkrieg enteignet.
"Es geht auch um sehr viel bürgerliches Vermögen; denken sie an das ganze Industrievermögen, das war in aller Regel bürgerliches Vermögen. Es geht bei dem Kunstbesitz oft um adlige Sammlungen, Sammlungen aus fürstlichen Häusern und ähnlichem. Da ist eine ganze Klasse enteignet worden – nämlich die Besitzenden! Und das ist ein großes Unrecht gewesen und auch ohne Ansehen der Rolle, die ein Eigentümer in der Zeit von '33 bis '45 gespielt hat!"
Bernd Amelung:
"Bestimmte Prinzen, Adelige, sind dann teilweise noch in den Nachfolgelagern des Buchenwald-Lagers verschwunden, verschollen, sind also dort verstorben. Es gibt aber auch keine näheren Unterlagen dazu. Also, das kam teilweise auch noch dazu, dass die nicht nur enteignet wurden, sondern auch dann verhaftet wurden."
8000 Grundbesitzer werden im Osten in der Nachkriegszeit enteignet und 4000 Menschen, die die Russen für Kriegsverbrecher halten. Schlösser und Burgen mit allem, was darin war an Kunstwerken, Ländereien und Wälder bleiben über die 40 Jahre DDR im Besitz des Staates. Werden bewirtschaftet, erhalten, vieles aber auch runtergewirtschaftet oder ruiniert. 1990 dann die Wiedervereinigung: Im Einigungsvertrag steht, dass die Enteignungen durch die Sowjetunion 1945 bis 1949 nicht rückgängig zu machen sind, das wird sogar im Grundgesetz festgeschrieben.
Hellmut Seemann:
"Und deswegen verstehe ich insbesondere diejenigen Enteigneten, die in all den Jahren zwischen '49 und '89 immer auf die Wiedervereinigung gehofft haben – im Gegensatz zu ihren Zeitgenossen, die ja nie dran geglaubt haben, dass es noch einmal eine Wiedervereinigung geben würde –, dann kommt die Wiedervereinigung, und dann werden die, die sie immer erhofft und herbeigesehnt haben, werden dann behandelt, als ob sie ... „Ja, nun sollen sie sich mal nicht so aufregen! Wir haben hier Wiedervereinigung, das ist doch alles prima! Und jetzt vergesst doch mal, was da zwischen ´45 und ´49 war!"
Astrid von Friesen:
"Also, bei uns geht es ja mehr um private Dinge, nicht wie bei den Wettinern oder den Fürstenhäusern in Thüringen um die großen, international bedeutsamen Sammlungen, sondern einfach um private Dinge, nicht! Also, die Bildnisse unserer Urgroßeltern oder Erinnerungsstücke."
Astrid von Friesens Familie lebte 800 Jahre in Sachsen – bis 1945. Ihre Eltern wurden enteignet und vertrieben. Zurück blieb fast alles. Astrid von Friesen:
"Meine Großmutter Friesen – mit einem Rucksack mußte sie fliehen! Und sie standen ja alle unter der Drohung, erschossen zu werden; sie standen alle auf den Exekutionslisten, wie der ganze Adel. Da konnte man keine Kunstgegenstände mitnehmen! Und deswegen ist es oftmals sehr schmerzhaft, wenn bestimmte Dinge gar nicht mehr auffindbar sind. Z.B. meine Mutter trauert besonders um ihr Puppenhaus! Das war ein riesengroßes, schönes, 200 Jahre altes Puppenhaus – und das ist weg! Und dann gibt es eben einen sehr schmerzhaften emotionalen Verlust."
1994 gab es den ersten Aufschrei in der Museumslandschaft
Klagen von Enteigneten oder deren Erben scheiterten vor dem Verfassungsgericht. Der Bundestag beschloss daraufhin 1994 das Ausgleichsleistungsgesetz, um zumindest die beweglichen Teile der enteigneten Güter zurückgeben zu können, also etwa Möbel, Einrichtungsgegenstände, Kunstwerke. Für Hellmut Seemann, Präsident der Klassik Stiftung Weimar, eine ungünstige Lösung. Er hätte es gerechter gefunden, Grund und Boden zurückzugeben und Kunstwerke der Öffentlichkeit zu erhalten.
"1994 hat man dann gesagt: Jetzt machen wir doch mal was für diese enteigneten, ursprünglichen Eigentümer! Jetzt geben wir denen zumindest mal, was sie an mobilen Eigentümern verloren haben; das geben wir ihnen jetzt mal heraus. Das war die Idee dieses Leistungsausgleichsgesetzes. Und dann hat man aber noch gesagt: 'Das machen wir auch erst in 20 Jahren, wenn die, die sich jetzt gefreut haben, alle schon alt oder krank oder malade oder tot sind.', was die Sache auch nicht viel glücklicher gemacht hat."
Nach dem Ausgleichsleistungsgesetz sind bewegliche Sachen zurückzugeben, es sei denn, sie stellten "für die Öffentlichkeit bestimmtes Kulturgut" dar. Dieses sollte, von 1994 ausgehend, noch 20 Jahre unentgeltlich „der Öffentlichkeit oder der Forschung" zur Verfügung stellen. Dieses sogenannte "Nießbrauchsrecht" läuft am 30. November dieses Jahres aus. Sinn der Übergangsfrist war, den Museen, Schlössern, Burgen, Galerien Zeit zu geben, sich mit den rechtmäßigen Eigentümern zu einigen, wie gerade mit bedeutenden Kulturgütern weiter verfahren werden soll: Ob sie weiterhin für alle in Museen zu sehen sein sollen und diese dafür eine angemessene Entschädigung an die Eigentümer zahlen wollen oder ob die Eigentümer auf einer Rückgabe bestehen. Weil sie selbst über die Möbel, Gemälde, Bücher verfügen wollen, oder weil sie sie schlicht zu Geld machen wollen. Holger Nowak vom Thüringer Museumsverband sagt, er habe immer wieder darauf hingewiesen, dass auch 20 Jahre irgendwann um sind.
"20 Jahre sind eine lange Frist; und 1994 mit einer gewissen Unsicherheit und einer gewissen Empörung auch, da ging erst mal ein Aufschrei durch die Museumslandschaft, also nicht nur in Thüringen, sondern in den neuen Bundesländern insgesamt durch, weil nun alle gedacht haben, „Wir verlieren nun unseren ganzen Bestand!" Es ist aber eingeräumt worden, also da, wo eine öffentliche Nutzung, ein öffentliches Interesse dafür Bestand, sprich, die Stücke sind in einer Ausstellung der Öffentlichkeit zugänglich gewesen, ist dieses Nießbrauchsrecht eingeräumt worden. Und diese 20 Jahre Frist können manchen dazu verführt haben, daß man gesagt hat, „20 Jahre, das ist in weiter Ferne!" Nun haben wir November 2014 und die 20 Jahres sind um und alle, die sich wirklich rechtzeitig drum gekümmert haben, haben, glaube ich, diese Geschichte in trockenen Tüchern."
Gütliche Einigung in vielen Fällen
Die meisten Museen haben sich rechtzeitig gekümmert und sind zu gütlichen Einigungen gekommen, was mit Kunstwerken und Kulturschätzen geschehen soll, die einerseits den Eigentümern lieb und teuer sind, die andererseits aber auch eine Bedeutung für die Öffentlichkeit haben. Der wohl spektakulärste Fall in Thüringen ist der um die Besitztümer des Hauses Sachsen-Weimar und Eisenach, zu dem Einrichtung und Kunst des Weimarer Residenzschlosses gehören, aber auch die Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek, das Goethe-und Schiller-Archiv und sogar die Särge von Goethe und Schiller in der Weimarer Fürstengruft.
"Also ich glaube, das ist genau dieser Punkt, den ich immer wieder gerne erzähle, dass der letzte Direktor der Kunstsammlungen zu Weimar in einer Aufwallung gesagt hat, 'Erst haben die Nazis uns bestohlen, dann die Amerikaner, dann die Russen und jetzt auch noch der Prinz zu Sachsen, Weimar und Eisenach!' Das ist eine Aufwallung, die ist typisch für einen Museumsdirektor. Sie ist aber ganz unnützlich in einem Restitutionsgespräch."
"Wenn sie 40 Jahre lang erzählt bekommen haben, daß der Adel nur aus Verbrechern, Raubrittern und Junkern besteht, dann glauben sie's vielleicht auch!"
Prinz Michael von Sachsen-Weimar und Eisenach vertritt seine Familie nach außen. Er hat in den 90er Jahren die Verhandlungen mit dem Land Thüringen geführt.
"Es war richtig, die Frist so lang zu lassen; es war unrichtig, sie nicht zu nutzen! Die meisten Länder haben gemauert; die Museen haben die Schotten dicht gemacht und die Alteigentümer aus den Depots geworfen und einfach Listen verschwinden lassen."
Die gegenseitigen Vorwürfe eskalieren in den 90er Jahren auf allen Seiten, bei den Alteigentümern, der Politik, den Besitzern von Kunst und Kulturgütern. Von Habgier ist auf der einen Seite die Rede, von Undankbarkeit auf der anderen. Die Gespräche mit dem Haus Sachsen-Weimar und Eisenach führt damals Staatssekretär Jürgen Aretz.
"Also, wir haben ganz bewußt auf eine detaillierte Werterfassung verzichtet, weil wir die Sorgen hatten, wenn z.B. die mehr als 100.000 Blatt der Grafiksammlung in Weimar einzeln in die Hand genommen wären von Fachleuten von Sotheby's oder Christie's, dass dann Werte zusammenkommen können, die wir gar nicht hätten kompensieren könne. Also, ich glaube, wir haben uns auf Pauschallösungen geeinigt; und ich glaube, das war auch der bessere Weg."
"Und die Frage: Gehörte im Jahre 2000, also, als man sich über die gütliche Einigung unterhielt und manchmal auch stritt, gehörte da ein Komplex wie das Goethe-Schiller-Archiv als Eigentum der Familie dazu zu dem, worüber man redet, oder gehörte es nicht dazu, ist natürlich eine Frage mit sieben, acht Ziffern! Da reden sie dann wirklich über ganz viel Geld. Und insofern ist es so schwer, eine Grundlage zu finden."
Anspruch auf eine Milliarde Euro
Die Frage ist, wie groß der Anteil der Entschädigung von 15,5 Mio. Euro, die an das Haus Sachsen-Weimar-Eisenach flossen, am übertragenen Eigentum ist.
"Wenn man mal nur die harten Ansprüche nimmt und die versucht, in einer konservativen Form hochzurechnen, also unzweifelhafter Besitz des Hauses Sachsen-Weimar, Eisenach, dann würde ich sagen: Irgendwas zwischen 5 und 10 Prozent. Und wenn man eben da die großen Dinge, die überhaupt noch nicht mit drin sind, dazuzählt, dann sind wir eher im Prozent- oder hohen Promille-Bereich. Aber das wollen wir uns ja alle gar nicht vorstellen."
"Also, Prinz Michael von Sachsen-Weimar, Eisenach gibt den Wert der Sammlungen, auf die er Anspruch erhoben hat mit rund einer Milliarde Euro an. Wir haben 15,5 Mio. Euro Entschädigung gezahlt, dann würde das einer Quote von etwa 1,5 Prozent entsprechen. Ich glaube, wir haben für das Land ganz ordentlich verhandelt."
Zwei Drittel der Entschädigungssumme kamen vom Land Thüringen, den Rest musste die Klassik Stiftung durch den Verkauf des Möricke-Nachlasses und eines Gemäldes aufbringen. Eine wichtige Komponente in der Einigung zwischen dem Land Thüringen und den ehemals großen Fürstenhäusern sind immaterielle Werte: Der Staatssekretär a.D. Jürgen Aretz sieht in ihnen den Schlüssel zu einer gütlichen Einigung – mit Vorteilen für beide Seiten.
"Wir haben den Häusern angeboten, gewisse immaterielle Komponenten in die Verträge aufzunehmen. Das heißt z.B., dass die Häuser in den jeweiligen Stiftungen mit Sitz und Stimme vertreten sind – und zwar auf Dauer! –, dass die Familien Zugang zu ihren früheren Besitztümern haben, also zum Beispiel Hochzeiten oder andere Veranstaltungen in diesen Schlössern – wohlgemerkt auf eigene Kosten – durchführen können. Und es hat sich gezeigt, dass diese emotionale Brücke, die wir da versucht haben, tragfähig ist. Das hat sich auch für die betroffenen Kommunen durchaus ausgezahlt: Wenn man zum Beispiel bedenket, dass der Chef des Hauses Sachsen, Coburg und Gotha, Prinz Andreas, seinen Vetter, den schwedischen König, nach Gotha eingeladen hat: Ein großartige Veranstaltung, die die Gothaer europaweit bekannt gemacht hat."
Das kann man als eine reine Repräsentationsangelegenheit ansehen; das kann man aber auch als ein immer wieder entscheidendes Zünglein an der Waage verstehen.
Hellmut Seemann, Präsident der Klassik Stiftung Weimar.
Hellmut Seemann, Präsident der Klassik Stiftung Weimar.
"Also, ich glaube, dass in den letzten zehn Jahren von dieser Präsenz von Prinz Michael sehr viel ausgegangen ist, also sehr viele – mal für die Stiftungsleitung, mal für die Zuwendungsgeber der Stiftung – unangenehme Prozesse durch diese Stimme des Hauses Sachsen-Weimar-Eisenach eingeleitet wurden, so in dem Sinne: So könnt ihr mit dieser Stiftung nicht umgehen! Insofern kann das eine große Rolle spielen!"
Prinz Michael fühlt sich von der Politik undankbar behandelt, steht aber dennoch zur Einigung, die der Klassik Stiftung unzählige Kunstwerke, die Originalmanuskripte von Goethe und Schiller und deren Särge langfristig sicherten.
"Ich habe eine Stimme. Ich bin zwar der wichtigste Zuwendungsgeber mit meiner Kunst. Aber ich habe nur eine Stimme! Die Stadt hat zwei, der Bund hat zwei, das Land hat zwei, und da sitzen überall Politiker! Es macht mir natürlich Sorgen, dass Politiker immer nur in Legislaturperioden denken! Ich denke in Generationen."
Streit mit einer Erbengemeinschaft
Die Einigungen mit den Fürstenhäusern zugunsten der ehemaligen Sitze in Weimar, Gotha, Eisenach und Meiningen sind längst unter Dach und Fach. In anderen, kleineren Museen und Schlössern gibt es noch vereinzelte offene Fälle. Das Thüringer Finanzministerium gibt an, dass über insgesamt 260 Vermögenswerte noch keine Entscheidungen gefallen sind. Dabei geht es etwa um Gemälde, Bücher und Möbel.
Der heikelste Fall in Thüringen ist Schloss Burgk an der Saale. Etwa zwei Drittel aller ausgestellten Möbel, Urkunden, Gemälde, Rüstungen, insgesamt eine vierstellige Zahl, gehören nicht dem Landkreis, so wie das Schloss, sondern werden von einer Erbengemeinschaft beansprucht. Viel zu spät, so hört man hinter vorgehaltener Hand, sei auf Schloss Burgk mit der Provenienzrecherche begonnen worden, viel zu spät habe der Landrat mit Verhandlungen begonnen. Der Geschäftsführer des Thüringer Museumsverbandes, Holger Nowak, versucht, es höflich zu formulieren.
"Ja, natürlich gibt es Problemfälle, also es ist vor etlichen Monaten ja Schloss Burgk in aller Munde gewesen, und ich denke, dass die Verantwortlichen im Landratsamt oder auch die verantwortlichen Museumskollegen das notwendige getan haben mit entsprechenden Partnern, also mit dem Land und mit dem Bund Gespräche geführt haben, um die Rückforderungen, die bestanden, so zu regeln, dass der Museumsbetrieb weiter aufrecht erhalten werden kann und die Museumslandschaft keinen Schaden bekommt."
Hellmut Seemann von der Klassik Stiftung wird etwas deutlicher.
"Im Falle Reuß, wenn ich mir den ansehe, dann hat das schon was damit zu tun, dass dieses Schloß Burgk in einer Trägerschaft des Landkreises ist. Und das bedeutet, da ist ein Landrat verantwortlich für das Restitutionsverfahren nach Ausgleichsleistungsgesetz; und der hat das vorher noch nicht gemacht! Sprich: Da ist einfach keine Erfahrung zur Hand! Und deswegen wäre es sicherlich richtiger gewesen, auch in diesem Falle das zu tun, was ja überall in den großen staatlichen Einrichtungen passiert ist, dass das Sache der Landesregierung gewesen wäre. Das war nun nicht so. Vielleicht hat es auch im Wesentlichen daran gelegen, dass in diesem Falle mit der Familie besonders schwer zu verhandeln war, weil: Familien sind manchmal kompliziert; manchmal sind sie auch einfach nur groß, es gibt viele Anspruchsberechtigte; das kann viele Gründe haben."
Jürgen Aretz:
"Welche Motive die Museen bzw. Gebietskörperschaften bewegt haben, um die Verhandlungen hinauszuzögern, weiß ich nicht. Das war jedenfalls keine kluge Strategie."
Astrid von Friesen:
"Also, die Erlebnisgeneration hat ja noch ihre Identität! Viele von denen, also von der älteren Generation, möchten natürlich, daß die Kunstgegenstände in Sachsen oder wo auch immer bleiben, aber die Erben, die nächste Generation – und Erben vermehren sich ja immer! –, die haben kein Interesse mehr, und die verkaufen das auch leichter. Nicht in jedem Fall; aber das ist sozusagen der natürliche Gang der Dinge. Und das wird einfach immer komplizierter. Und das ist sehr schmerzhaft. Zum Beispiel meine Mutter, die ist jetzt fast 90, daß die bestimmte Dinge einfach nicht mehr sehen kann in ihrem Leben."
Holger Nowak:
"Der 30. November ist ein Schlusspunkt in dieser Entwicklung. Und wer da nicht reagiert hat, der wird seine Magazine und vielleicht auch seine Ausstellung öffnen müssen und wird Stücke verlieren."
Provenienzforschung als wichtigstes Aktionsfeld der Zukunft
Auf Schloss Burgk und im Landratsamt in Schleiz heißt es momentan wie schon seit einiger Zeit: Kein Kommentar! Man stünde in laufenden Verhandlungen, eine Einigung sei – vielleicht – bald absehbar. Bei anderen Thüringer Museen geht es noch um einzelne Teile, für die geklärt werden muss, ob die Anspruchsberechtigten bereit sind, sie in den Museen zu lassen. Nach dem 30. November entscheidet dann die Thüringer Landesfinanzdirektion darüber, welche Summe als Entschädigung bzw. Leihgebühr angemessen ist.
Bernd Amelung:
"Ja, grundsätzlich ist es so: Wenn dann keine Einigung erzielt wird, dann müsste man notfalls die Behörde einschalten und müsste dann hier entsprechend versuchen, durch Verwaltungsakt die Frage klären lassen, ob dieser Anspruch besteht und ob ein angemessenes Entgelt angeboten wurde. Und das wäre dann auch wieder gerichtlich überprüfbar. Also, die Verhandlungen müssen nicht unbegrenzt dauern, man kann das sicherlich auch irgendwann streitig entscheiden lassen."
Bernd Amelung vom Verwaltungsgericht Gera sieht noch diverse Verfahren auf sich zukommen – und das auf Grundlage eines schwammigen Gesetzestextes. Einfacher wird es jedenfalls nicht. Auch die Klassik Stiftung Weimar hat noch ein paar wenige Fälle offen.
Hellmut Seemann:
"Das ist eigentlich der letzte Fall, der wirklich gewichtig ist, wo es also um etwas Sechsstelliges geht. Es handelt sich um das Inventar von Schloß Kochberg. Insbesondere deswegen, weil dort zwei zentrale Möbel aus der Beziehungsgeschichte von Goethe und Frau von Stein enthalten sind: 2 Schreibtische! Den hat er bauen lassen und ihr dann geschenkt. Und der andere war der, an dem er immer gearbeitet hat, wen er in Kochberg war und auf dem er sich auch verewigt hat. Ich hoffe eigentlich, dass wir noch in diesem Jahr mit den Gräfinnen zu einem Abschluß kommen werden. Und dann ist auch dieser aus meiner Sicht letzte maßgebliche Restitutionsfall abgeschlossen."
Insgesamt stehen die Thüringer Museen also ganz gut da, wenn am 30. November das Nießbrauchsrecht ausläuft, das den Museen bislang gestattet, in der unmittelbaren Nachkriegszeit durch die Sowjetische Militäradministration enteignete Kulturgüter und Kunstwerke zu präsentieren. Im Einzelfall jedoch wird es schmerzhafte Verluste geben. Und auf der anderen Seite stehen die Erben, die alte Familienstücke zurückbekommen – fürs eigene Wohnzimmer oder fürs schnelle Geld bei Sotheby's. Für Holger Nowak vom Museumsverband noch lange kein Ende der Geschichte.
"Deshalb ist Provenienzforschung – also, wo kommt ein Objekt her? – für alle deutschen Museen eines der Hauptaktionsfelder in der Zukunft, dass man also genau weiß, in welcher Form diese Stücke in das Eigentum des Museums gekommen sind. Und das macht nicht zwischen 1933 und '45 halt, sondern das geht danach natürlich auch noch weiter."