"Entfernte Verwandtschaft"
"Entfernte Verwandtschaft", so heißt das neue Buch des Kulturhistorikers Wolfgang Schivelbusch. Der Autor unternimmt einen Vergleich, sucht nach Parallelen zwischen italienischem Faschismus, Nationalsozialismus und der Politik des New Deal des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt in den 30er Jahren.
Roosevelt schlug, so die These, ähnliche Wege ein im Umgang mit der damaligen Wirtschaftskrise. Die ökonomischen und massenpsychologischen Politikinstrumente gleichen denen seiner totalitären Konkurrenten.
Roosevelt, 12. März 1933: "My friends: I want to talk for a few minutes with the people of the United States about banking …"
Der amerikanische Präsident Roosevelt im März 1933 beim ersten seiner berühmt gewordenen Kamingespräche, in denen er den Amerikanern über das neue Medium Rundfunk seine Politik erklärte.
Roosevelt 12. März 1933: "I want to tell you what has been done in the last few days, and why it was done, and what the next step will be …"
Roosevelt war 1933 gewählt worden, weil er einen Weg aus der Wirtschaftskrise versprach. Der ungebremste Wirtschaftsliberalismus hatte sich spätestens mit dem Schwarzen Freitag 1929 weltweit diskreditiert, die Folgen waren Massenarbeitslosigkeit und Armut.
Welcher Mittel bedient sich in einer solch krisenhaften Situation eine Demokratie? Wie nah sind ihre Methoden jenen, die diktatorische Regime anwenden, das will Wolfgang Schivelbusch ergründen.
Doch kann man italienischen Faschismus, Nationalsozialismus und Roosevelts Politik des New Deal überhaupt vergleichen? Darf man das? Man darf, denn vergleichen heißt ja nicht gleichsetzen, darauf weist Schivelbusch vorsorglich auf den ersten Seiten seines Buches hin.
Vergleichende Analysen der drei Systeme sind rar, für Schivelbusch einer der Gründe, es zu versuchen. Er zitiert aus den 30er Jahren Norman Thomas, den Vorsitzenden der amerikanischen Socialist Party.
Norman Thomas: "Die Wirtschaftspolitik des New Deal ähnelt dem Korporativismus Mussolinis und Hitlers Totalitarismus zum Verwechseln. Daran ändert auch ihre 'liberale' Einkleidung durch Roosevelt nichts, zumal sie immer fadenscheiniger wird."
Von den Nationalsozialisten und auch von Mussolini wurde die Politik des New Deal mit viel Sympathie verfolgt:
Mussolini: "An den Faschismus erinnert, dass der Staat die Wirtschaft sich jetzt nicht mehr selber überläßt, weil ihr Wohlergehen mit dem des Volkes identisch ist."
Mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und mit der im Juni 1933 gegründeten National Recovery Administration zur Überwachung von Produktion und Preisen, griff Roosevelt in das freie Spiel der Marktkräfte ein. Diese Regulierungen sah Mussolini als Bestätigung der eigenen Politik.
In seiner Antrittsrede hatte Roosevelt Kriegsmetaphern für seine Pläne zur Überwindung der Wirtschaftskrise gewählt:
Roosevelt Antrittsrede 1933: "…to wage a war against the emergency, as great as the power that would be given to me if we were in fact invaded by a foreign foe."
Zum selben Mittel griffen auch in Europa die Feinde der Demokratie, für die das Erlebnis des Ersten Weltkriegs der "alles bestimmende Schöpfungsakt" war. Schivelbusch findet weitere Parallelen, zum Beispiel in propagandistischen Methoden: Roosevelt nutzte ebenso wie die Nationalsozialisten den Rundfunk als neues Medium, auch wenn sich die Art der Inszenierung unterschied.
Und jede Herrschaft braucht Symbole, die von der Kraft und Modernität des Systems künden.
In Deutschland waren es die Autobahnen und der Volkswagen. Mussolini ließ Sümpfe trocken legen für neue Siedlungen. Und auch Roosevelt hatte mit der Tennesse Valley Authority ein Projekt, das propagandistisch verwertet wurde: Ein Tal, das durch Staudämme und Elektrifizierung zum Symbol des Fortschritts werden sollte, Symbol auch für die Überlegenheit des Systems.
Der Kulturhistoriker Wolfgang Schivelbusch bewegt sich gern abseits ausgetretener Pfade. Bekannt wurde er mit einer Studie über die Geschichte der Eisenbahnreise, er erkundete die gesellschaftlichen Folgen künstlicher Beleuchtung und untersuchte die "Kultur der Niederlage". Sein neues Buch "Entfernte Verwandtschaft" hinterlässt einen ambivalenten Eindruck, der Ansatz ist reizvoll, die Suche nach den Parallelen wirkt dann an einigen Stellen aber doch etwas bemüht, zieht sich phasenweise hin und endet nach 170 Textseiten trotzdem zu früh, um wirklich, wie vom Verlag beworben, eine verstörend neue Perspektive zu eröffnen. Die Grundfrage des Buches bleibt allerdings aktuell und wichtig: Wie verändern sich Demokratien in Zeiten der Krise?
Wolfgang Schivelbusch: Entfernte Verwandtschaft. Faschismus, Nationalsozialismus, New Deal 1933-1939
Carl Hanser Verlag
München 2005
224 Seiten
21,50 Euro
Roosevelt, 12. März 1933: "My friends: I want to talk for a few minutes with the people of the United States about banking …"
Der amerikanische Präsident Roosevelt im März 1933 beim ersten seiner berühmt gewordenen Kamingespräche, in denen er den Amerikanern über das neue Medium Rundfunk seine Politik erklärte.
Roosevelt 12. März 1933: "I want to tell you what has been done in the last few days, and why it was done, and what the next step will be …"
Roosevelt war 1933 gewählt worden, weil er einen Weg aus der Wirtschaftskrise versprach. Der ungebremste Wirtschaftsliberalismus hatte sich spätestens mit dem Schwarzen Freitag 1929 weltweit diskreditiert, die Folgen waren Massenarbeitslosigkeit und Armut.
Welcher Mittel bedient sich in einer solch krisenhaften Situation eine Demokratie? Wie nah sind ihre Methoden jenen, die diktatorische Regime anwenden, das will Wolfgang Schivelbusch ergründen.
Doch kann man italienischen Faschismus, Nationalsozialismus und Roosevelts Politik des New Deal überhaupt vergleichen? Darf man das? Man darf, denn vergleichen heißt ja nicht gleichsetzen, darauf weist Schivelbusch vorsorglich auf den ersten Seiten seines Buches hin.
Vergleichende Analysen der drei Systeme sind rar, für Schivelbusch einer der Gründe, es zu versuchen. Er zitiert aus den 30er Jahren Norman Thomas, den Vorsitzenden der amerikanischen Socialist Party.
Norman Thomas: "Die Wirtschaftspolitik des New Deal ähnelt dem Korporativismus Mussolinis und Hitlers Totalitarismus zum Verwechseln. Daran ändert auch ihre 'liberale' Einkleidung durch Roosevelt nichts, zumal sie immer fadenscheiniger wird."
Von den Nationalsozialisten und auch von Mussolini wurde die Politik des New Deal mit viel Sympathie verfolgt:
Mussolini: "An den Faschismus erinnert, dass der Staat die Wirtschaft sich jetzt nicht mehr selber überläßt, weil ihr Wohlergehen mit dem des Volkes identisch ist."
Mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und mit der im Juni 1933 gegründeten National Recovery Administration zur Überwachung von Produktion und Preisen, griff Roosevelt in das freie Spiel der Marktkräfte ein. Diese Regulierungen sah Mussolini als Bestätigung der eigenen Politik.
In seiner Antrittsrede hatte Roosevelt Kriegsmetaphern für seine Pläne zur Überwindung der Wirtschaftskrise gewählt:
Roosevelt Antrittsrede 1933: "…to wage a war against the emergency, as great as the power that would be given to me if we were in fact invaded by a foreign foe."
Zum selben Mittel griffen auch in Europa die Feinde der Demokratie, für die das Erlebnis des Ersten Weltkriegs der "alles bestimmende Schöpfungsakt" war. Schivelbusch findet weitere Parallelen, zum Beispiel in propagandistischen Methoden: Roosevelt nutzte ebenso wie die Nationalsozialisten den Rundfunk als neues Medium, auch wenn sich die Art der Inszenierung unterschied.
Und jede Herrschaft braucht Symbole, die von der Kraft und Modernität des Systems künden.
In Deutschland waren es die Autobahnen und der Volkswagen. Mussolini ließ Sümpfe trocken legen für neue Siedlungen. Und auch Roosevelt hatte mit der Tennesse Valley Authority ein Projekt, das propagandistisch verwertet wurde: Ein Tal, das durch Staudämme und Elektrifizierung zum Symbol des Fortschritts werden sollte, Symbol auch für die Überlegenheit des Systems.
Der Kulturhistoriker Wolfgang Schivelbusch bewegt sich gern abseits ausgetretener Pfade. Bekannt wurde er mit einer Studie über die Geschichte der Eisenbahnreise, er erkundete die gesellschaftlichen Folgen künstlicher Beleuchtung und untersuchte die "Kultur der Niederlage". Sein neues Buch "Entfernte Verwandtschaft" hinterlässt einen ambivalenten Eindruck, der Ansatz ist reizvoll, die Suche nach den Parallelen wirkt dann an einigen Stellen aber doch etwas bemüht, zieht sich phasenweise hin und endet nach 170 Textseiten trotzdem zu früh, um wirklich, wie vom Verlag beworben, eine verstörend neue Perspektive zu eröffnen. Die Grundfrage des Buches bleibt allerdings aktuell und wichtig: Wie verändern sich Demokratien in Zeiten der Krise?
Wolfgang Schivelbusch: Entfernte Verwandtschaft. Faschismus, Nationalsozialismus, New Deal 1933-1939
Carl Hanser Verlag
München 2005
224 Seiten
21,50 Euro