Entfesselter Datenkapitalismus

Ein milliardenschwerer, undurchsichtiger Markt

04:18 Minuten
Ein Besucher schaut ein Werbe-Video auf der China International Big Data Industry Expo 2021 in Guiyang in China, aufgenommen im Mai 2021
Die Datenschürfer im Internet wissen so viel über uns wie sonst höchstens Geheimdienste. © imago images/Xinhua
Ein Einwurf von Adrian Lobe · 15.07.2021
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Krankheiten, Reiseverhalten, Konsumgewohnheiten: Trotz aller Regulierungsbemühungen läuft der Handel mit diesen Daten munter weiter, vor allem in den USA, warnt Adrian Lobe. Er fordert: "Personenbezogene Daten dürfen kein handelbares Gut sein."
Wenn man in einer virtuellen Shoppingmall im Internet einkauft, bekommt man einen Aufpasser zur Seite gestellt. Dieser Aufpasser, eine Mischung aus Security und Verkaufsberater, schaut, vor welchen Regalen Sie stehen bleiben, welche anderen Geschäfte Sie zuvor besucht haben und was Sie am Ende alles in Ihrem Warenkorb haben. Dann legt Ihnen dieser künstliche Agent diskret personalisierte Reklame in den Einkaufswagen, denn er will, dass Sie noch mehr kaufen.
Die meisten Verbraucher stört dieses Tracking nicht. Es ist auch viel weniger übergriffig, als wenn man einen echten Menschen im Nacken hätte. Doch während wir uns von Algorithmen durch die Regale schubsen lassen, fallen jede Menge Daten an. Daten, die uns ausrechen- und vorhersehbar machen. Diese Puzzleteile unserer Konsumidentität sammeln nicht nur Datenkraken wie Google, Facebook oder Amazon, sondern auch Analysefirmen. Im Schatten der Tech-Konzerne ist ein milliardenschwerer, undurchsichtiger Markt aus Datenbrokern entstanden.

Einer der größten Datenhändler ist die Firma Acxiom

Diese Informationshändler saugen massenhaft Daten über Menschen ab: Alter, Geschlecht, Zahl der Autos und Immobilien, ausstehende Kredite, Krankheiten – die Datenbroker wissen alles. Diese Daten stammen zum Teil aus amtlichen Informationen wie Grundbucheinträgen, Wählerverzeichnissen oder Kennzeichenregistern.
Zum Teil kaufen die Datenbroker aber auch Informationen von privaten Firmen, etwa von Kreditkartenunternehmen oder Onlinehändlern. Und das zu Schleuderpreisen.
Acxiom, einer der größten Datenhändler weltweit, hat Profile von 2,5 Milliarden Konsumenten auf der Welt erstellt – mit bis zu 11.000 Attributen pro Person.
So viel Wissen und damit Macht über den Einzelnen haben allenfalls Geheimdienste. Mithilfe von Big-Data-Algorithmen destillieren die Datenbroker detaillierte Psychogramme. So gibt es beispielsweise Kategorien wie "Alleinfliegende" oder "hypothekenfreier Jetset".
Diese Profile verkaufen die Datenbroker dann an Unternehmen weiter. Wenn ein Autohändler weiß, dass jemand die Anschaffung eines Elektroautos plant, kann er passgenaue Werbung ausspielen. Zuerst wird der Kunde verkauft, dann die Ware. So funktioniert der entfesselte Datenkapitalismus. Dumm nur, wenn die Daten eine schlechte Bonität verheißen. Dann zahlt man bei der Versicherung eine Risikoprämie – oder bekommt bei der Bank erst gar keinen Kredit.
"Datenkleptomanie" nennt das die Harvard-Professorin Shoshana Zuboff in ihrem Buch "Überwachungskapitalismus": Auf der Jagd nach Informationsdominanz würden Nutzer systematisch enteignet. Wie an einem Steinbruch schürfen Data Miner am menschlichen Körper nach Informationen – und tragen immer mehr Schichten der Privatsphäre ab.

Datenhandel muss gesetzlich reguliert werden

Das kann auch politische Folgen haben. So hat die Datenfirma Cambridge Analytica Millionen Facebookprofile für politische Kampagnen wie den Brexit ausgewertet – illegal. Zwar ist infolge des Datenskandals der Regulierungsdruck auf Facebook und Co. gestiegen. Die Datenschutzgrundverordnung hat der Erhebung und Speicherung von Daten Grenzen gesetzt. Doch das Geschäft mit Daten geht im Hintergrund munter weiter – vor allem in den USA, wo viele Datenbroker ihren Sitz haben.
Die EU muss daher auch die Zulieferer der Datenraffinerien in den Blick nehmen und stärker regulieren. Personenbezogene Daten dürfen kein handelbares Gut wie Getreide oder Aktien sein, auf das man Wetten abschließt. So wie Waffen oder Diamanten müsste es im Binnenmarkt auch Ein- und Ausfuhrbeschränkungen für persönliche Daten geben. Man mag das protektionistisch finden. Aber unsere Freiheit ist am Ende nicht verhandelbar.

Adrian Lobe, Jahrgang 1988, hat in Tübingen, Heidelberg und Paris Politik- und Rechtswissenschaft studiert. Seit 2014 arbeitet er als freier Journalist für diverse Medien im deutschsprachigen Raum, u. a. "Die Zeit", "FAZ", "NZZ", "Süddeutsche Zeitung". 2016 wurde er für seine Artikel über Datenschutz und Überwachung mit dem Preis des Forschungsnetzwerks "Surveillance Studies" ausgezeichnet. Er ist zudem Träger des Georg von Holtzbrinck Preises für Wissenschaftsjournalismus. 2019 erschien sein Buch "Speichern und Strafen – Die Gesellschaft im Datengefängnis".

Adrian Lobe
© privat
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