Simone Miller ist Redakteurin und Moderatorin der Philosophiesendung "Sein und Streit" im Deutschlandfunk Kultur. Daneben schreibt sie als Kulturjournalistin und veröffentlicht Beiträge in der akademischen Philosophie. Sie lebt in Berlin.
Vermenschlichung – Problem oder Lösung?
04:39 Minuten
Eine US-amerikanische Studie zeigt, dass wir unperfektes Obst und Gemüse eher kaufen, wenn es in Werbekampagnen vermenschlicht wird. Ist Vermenschlichung der richtige Weg, um unser Verhältnis zur Natur zu verbessern?
Mr. Banana mit Strohhut, gebräuntem Gesicht und zufriedenem Grinsen verkauft sich also deutlich besser als das gesichtslose gelb-krumme Ding, das dann auch noch Flecken hat. Ist es nicht seltsam, dass Menschen gerne Menschelndes essen? Dass wir offenkundig eine Neigung zum fiktiven Kannibalismus haben?
Noch denkwürdiger an dieser Studie ist aber unser zutiefst entfremdetes Verhältnis zur Natur: Wir essen lieber makellose Bananen, die mit Pestiziden vergiftet sind, als fleckige ohne Chemikalien. Wir greifen erst zur imperfekten Banane, wenn ihr jemand einen Sonnenhut aufzieht und ein Grinsen verpasst.
Verstellt Vermenschlichung den Blick auf das Andere?
Nun möchte man sich gegen diese alberne Maskerade wehren; hat den Impuls zu sagen: Wir verkennen die Natur umso mehr, je projektiver wir sind, je mehr wir Menschliches dort sehen, wo Nicht-Menschliches ist. Vermenschlichung verstellt den Blick auf das Andere. Aber ist das so?
Der Philosoph Robert Spaemann weist darauf hin, dass wir gar nicht anders können als zu vermenschlichen. Weil wir nicht aus unserer eigenen Haut, aus unseren eigenen Sinnen können, kommen wir nicht umhin, uns nicht-menschliches Leben so vorzustellen wie unser eigenes, nur abzüglich unseres reflexiven Bewusstseins. Diese Gefangenschaft im eigenen Sein könnte man ganz übel finden. Ist sie aber gar nicht. Zumindest nicht in diesem Fall. Denn wir sind ja auch Tiere. Und als solche ist uns nichts Lebendiges ganz fremd.
Wir wissen grob, wie sich eine Kuh fühlt
Wir wissen grob, wie sich eine Kuh fühlt, weil auch unser Hunger, unsere Müdigkeit, unsere Angst und unser Leid schon da waren, bevor uns das bewusst wurde. Wir haben sogar schon ausgedrückt, dass wir hungrig, müde, ängstlich oder gequält sind, bevor wir dafür Worte hatten, nonverbal. Würden wir die Kuh dagegen als radikal Anderes verstehen, dann würden wir eben dieses Band geteilter Erfahrung durchtrennen. Gerade, um der Kuh gerecht zu werden, sollten wir also von uns auf sie schließen; von der menschlichen auf die nicht-menschliche Welt. Zugegeben: Bei Säugetieren ist das einfacher als bei Obst.
Öffnung für die Wirklichkeit
Das Problem scheint also vielmehr zu sein, dass wir nicht die Kuh sehen, sondern Milch und Fleisch; dass wir nicht den Amazonas sehen, sondern Agrarland und Holz; dass wir nicht die Banane sehen, sondern Vitamine und Geld. Wir sehen nur Haben und nicht Sein. Wie kommen wir da raus?
Spaemann schreibt dazu diesen unglaublich schönen wie wahren Satz: "Diejenige Öffnung für Wirklichkeit, die ihr vollständig adäquat ist, nennen wir Liebe. Liebe ist das Wirklichwerden des Anderen für mich."
Das Lebendige Sehen lernen
Natürlich können wir keine Bananen lieben, glücklicherweise, denn wir wollen sie ja essen. Wahrscheinlich können wir tatsächlich nur Wesen ins Herz schließen, die ein Gesicht haben. Nur Seelen noch dazu, die uns als Teil ihrer Welt verstehen können, so oder wenigstens so ähnlich wie wir sie als Teil unserer.
Aber vielleicht können wir doch lernen, in der Banane nicht nur ein profitables Ding, sondern auch etwas Lebendiges zu sehen. Ihr als Frucht einer Palme ein Sein zuzugestehen. Worauf es dann also ankommt, ist zuzulassen, was wir sonst ausblenden: Dass wir Leben inmitten von Leben sind. Dass wir nur sind, weil anderes ist. Dass wir dann menschlich sind, wenn wir Leben überall sehen, wo etwas wird und wieder vergeht.
Für den Anfang ist die Krücke mit dem Gesicht für Mr. Banana also gar nicht so schlecht. Aber lasst uns doch versuchen, unter dem Strohhut und hinter dem gemalten Grinsen auch die Frucht zu sehen.