Enthüllungen, Erpressungen, Erfolge

Von Michael Meyer |
Die Finanzkrise ist vorbei – so jedenfalls könnte das Fazit lauten, wenn man die Bilanzen dieses Jahres der meisten deutschen Medienhäuser liest. Republikweit atmeten die Medienmanager auf – Bertelsmann, der Axel-Springer-Verlag, selbst der krisengeschüttelte Pro7Sat1-Konzern hat in diesem Jahr ein bescheidenes Plus eingefahren. Die ganz große Krise scheint vorbei – auch die Zeiten der Massenentlassungen sind vorüber.
In einigen Medienbereichen sind sogar noch erstaunliche Erfolge möglich: im Zeitschriftenbereich zum Beispiel. Heimelige Zeitschriften, wie etwa "Schöner Wohnen" oder "Landlust" erzielen Auflagenrekorde. Kein Wunder, dass solche Überraschungserfolge auch die Konkurrenz interessiert, aber: Chefredakteurin Ute Frieling-Huchzermeyer gibt kaum noch Interviews, weil sie genervt ist über hämische Artikel, die sich lustig machen über Themen wie das richtige Einwecken von Obst, ländliche Tischdekorationen oder Schnitzereien im Holzgartenzaun. Dennoch fragen wir uns: Warum sind derlei Zeitschriften so erfolgreich? Da könne man nur Vermutungen anstellen, meint Wolfgang Fürstner, der Geschäftsführer des deutschen Zeitschriftenverlegerverbands:

"Meine Überzeugung ist, dass es in die Zeit passt in der die Globalisierung uns die Themen weltweit ins Wohnzimmer bringt, das Bedürfnis nach Privatheit zunimmt, nach Vertrautheit und nach einer Welt, in der Sie sich ihre Zukunft vorstellen können, und das macht gerade das Besondere eines Titels wie 'Landlust' aus, genau dieses vermittelt er und ich könnte mir vorstellen, dass dieses Gefühl von Heimat und Vertrautheit ein Wesenselement dieses Erfolgs ist."

Egal, was man von solchen Zeitschriften hält, sie sind gut gemacht und betreiben durchaus eine Art Qualitätsjournalismus, auch wenn das Wort einem in diesem Zusammenhang schwer über die Lippen kommt. Und da wir schon dabei sind: Auch hier gab es durchaus ein paar positive Meldungen in diesem Jahr. Zwar gab es keinen massenhaften Trend zur Schaffung neuer Arbeitsplätze, aber: Ein paar Luxus-Redaktionen wurden geschaffen, kleine Teams, die sich ausschließlich um Exklusivgeschichten und investigative Recherche kümmern sollen. Doch was steckt dahinter? Alles nur Feigenblätter, die mit dem Alltag der Redaktionen nichts zu tun haben? Der Medienjournalist und Dozent Volker Lilienthal hält Spott an der Stelle für unangebracht:

"Ich glaube, die großen Qualitätshäuser haben erkannt, dass investigativer Journalismus kein Selbstzweck ist, sondern die Funktion in der Demokratie, sprich Kritik und Kontrolle wirklich wahrzunehmen und b) weiß man auch, dass gute investigative Geschichten einfach auch Lesestücke sind, die spannend zu lesen sind."

Und weil Qualitätsjournalismus teuer ist, freuen sich die Macher dann und wann, wenn sie brisantes Material auf den Tisch geliefert bekommen, für das sie sich nicht selbst in Kriegs- und Krisengebiete begeben mussten – so geschehen in diesem Jahr gleich zwei Mal – nein, gemeint ist nicht das millionenfach verkaufte Sarrazin-Pamphlet, sondern die Dokumente, die die Website "WikiLeaks" veröffentlichte.

Überflüssig, zu sagen, dass die WikiLeaks-Veröffentlichungen alle Zutaten einer guten Mediengeschichte hatten: Geheime Papiere, saftige Details aus der Welt der Diplomaten und ein geheimnisvoller Strippenzieher namens Julian Assange, der wochenlang gejagt wurde und in Schweden auch noch der Vergewaltigung bezichtigt wird. Ex-WikiLeaks-Sprecher Daniel Domscheit-Berg wunderte sich allerdings darüber, dass vor allem anfangs nur über den oberflächlichen Klatsch berichtet wurde:

"Ich denke, es gibt relevantere Bestandteile, die man prominenter hätte stellen könnte, was aus meiner Sicht einen wesentlich größeren Skandal dargestellt hätte. Von daher ist es schon eine Frage, warum man mit der Oberfläche aufmacht, wenn man die Tiefe bekommen kann."

Da wir schon bei vertraulichen Informationen sind: Auch Prominente mussten dieses Jahr erfahren, was es heißt, zur Zielscheibe von investigativem Journalismus zu werden: Der eine ist Ottfried Fischer - der angeblich von einem BILD-Redakteur erpresst wurde, mit ihm über seine Rotlichtaffären zu reden - andernfalls würde ein kompromittierender Film veröffentlicht. Fischer klagte und gewann: Das Münchener Landgericht verurteilte Ende Oktober dann den BILD-Redakteur zu einer Geldstrafe - Fischer triumphierte:

"Pressefreiheit darf nicht zur Erpressungsfreiheit werden, die Pressefreiheit ist ein hohes Gut, von der leben wir alle, das soll so bleiben – aber missbrauchen darf man sie auch nicht."

Der BILD-Redakteur ging in Berufung – was bei diesem Prozess herauskommt, wird man im nächsten Jahr sehen – ebenso wie im Prozess gegen einen anderen Fernsehprominenten: Wettermoderator Jörg Kachelmann. Im August hatte Kachelmann noch vor Beginn der Verhandlungen gesagt:

"Dieser Albtraum ist für mich noch nicht zu Ende und ich wünsche mir, dass er bald zu Ende geht und sich meine Unschuld in sämtlichen Gremien der deutschen Justiz durchsetzt."

Doch da hatte sich Kachelmann wohl verrechnet: Seit über drei Monaten quält sich der Prozess dahin und für die Medien ist das Ganze ein gefundenes Fressen mit jeder Menge Ex-Freundinnen, die über ihre Erfahrungen berichteten – peinlicher Höhepunkt war denn auch das sonst so auf Seriosität bedachte Magazin der Süddeutschen Zeitung: Vier "Exen" packten aus und erzählten saftige Details aus Kachelmanns Liebesleben. Die BILD-Zeitung hätte es wohl kaum anders gemacht. Nebenbei verklagte Kachelmann das Boulevardblatt auch noch auf über 2 Millionen Euro wegen Verletzung von Persönlichkeitsrechten.

Bei der Zeitung mit den großen Buchstaben gibt es am 1. Januar übrigens etwas zu feiern: Chefredakteur Kai Diekmann ist seit zehn Jahren am Steuer des Boulevardtankers – ob es anlässlich dieses Jubiläums wohl wieder eine schrille Penis-Satire der Kollegen der taz gibt? Das wird man sehen – im nächsten Jahr.