Fake News aus 1001 Nacht
Der frühere Al-Jazeera-Korrespondent Aktham Suliman beschreibt in "Krieg und Chaos in Nahost", wie arabische Medien gezielt die öffentliche Meinung manipulieren. Der Leser gewinnt Einsichten, die auch hartgesottene Kenner der Region frösteln lassen.
Gelbes T-Shirt, Jeans, Marcello-Mastroianni-Sonnenbrille - wenn Aktham Suliman heute ein Berliner Café unter den S-Bahn-Brücken betritt, sieht er lässig aus - lässiger als zu den Zeiten, als er noch im Businessanzug den "Mr. Al Jazeera" im Fernsehen gab. Der ehemalige Starreporter hat die Fronten gewechselt - weg vom Journalismus, hin ins so genannte Expertenlager.
Sein Buch "Krieg und Chaos in Nahost. Eine arabische Sicht" wirft einen neuen Blick auf die Region. Manchmal klingt es aber auch wie eine enttäuschte Liebeserklärung an seinen früheren Arbeitgeber Al Jazeera:
"1996 kam Al Jazeera und hat CNN nachgemacht auf arabisch, also ein Sender von Arabern für Araber. Arabisch finanziert und vergleichbar mit allen großen Sendern, mit CNN - bei einer Nation, die sich gedemütigt fühlt. Da waren wir alle baff. Die Zuschauer, wow, waren baff. Was ist denn das? Auch die Journalisten, dazu gehöre ich, träumten alle, bei Al Jazeera einzusteigen, das war ja das Top des arabischen Journalismus."
2011, im Arabischen Frühling, wurde Al Jazeera zum Propagandasender umgebaut. Der Herrscher von Katar, Emir Hamad bin Khalifa al Thani, unterstützte die Muslim-Brüder. Er mischte sich mehr und mehr in die redaktionellen Inhalte ein und schrieb den Journalisten vor, was sie zu senden und zu sagen hätten:
"Bei dem arabischen Frühling hat Al Jazeera so gelogen, dass die ganze Welt an die Demokratiebewegung glaubt, an friedliche Demonstranten in Libyen. Dem war aber nicht so."
Der Arabische Frühling - kein Aufstand für Demokratie
Mit Demokratie habe der Arabische Frühling nichts zu tun gehabt, sagt Aktham Suliman. Al Jazeera habe zum Beispiel die Wahlen in Ägypten so manipuliert, dass nur eine Partei gewinnen konnte: Die Muslim-Brüder. Dazu wurden Fernsehteams gezielt benutzt. Auch Aktam Suliman war bei solchen Reportagen dabei:
"Was wäre ein Beispiel für eine Fake News auf Al Jazeera? Auf Al Jazeera hieß es: Da ist eine Demonstration in Damaskus. Wir sind gerade dort - und da ist nichts. Warum? Weil irgend jemand eine Demonstration für 30 Sekunden gemacht hat, die irgendjemand aufgenommen hat und das wird ausgestrahlt als die Demonstration in Damaskus. Auf einmal ist eine Atmosphäre hergestellt, die es real gar nicht gibt."
Die westliche Sichtweise, dass es sich beim Arabischen Frühling um einen Aufstand für die Demokratie gehandelt habe, sei völlig falsch. Eine Verzerrung des Bildes.
Westliche Interessenspolitik hilft Menschenrechten nicht
Verkompliziert hat sich in diesem Sommer die Situation durch die so genannte Katar-Krise. Saudi-Arabien und die Vereinigten Emirate haben einen Boykott gegen Katar begonnen und fordern, Al Jazeerah solle geschlossen werden. Doch dies, sagt Aktham Suliman, sei eine groteske Situation, weil beide Seiten in dem Konflikt mit Fake News reagierten:
"Das Interessante ist, dass ein Fake News Sender - und seit 2011 ist Al Jazeera ein Fake News Sender - mit den gleichen Waffen geschlagen wird, diesmal von den Vereinigten Arabischen Emiraten. Ein sehr interessanter Medienkrieg, allerdings kann keiner hier beanspruchen, der Saubermann zu sein. Katar und UAE stehen in Konkurrenz, denn beide sitzen im gleichen Boot."
Gibt es also im Nahen Osten keine Wahrheit? Suliman wirft auch dem Westen vor, mit Fake News zu operieren. Der Westen greife auf die Menschenrechtsproblematik immer nur dann zurück, wenn es ihm nütze:
"Ich unterstelle dem Westen, dass sie mit Demokratie Ansprüche, Pseudo-Ansprüche, Interessenpolitik betreiben gnadenlos. Deswegen kam aus dem Westen nie ein Vorstoß in Richtung Saudi-Arabien oder Katar oder Vereinigte Arabische Emirate, obwohl das politische Wüsten sind."
Die Wahrheit - sie scheint besonders im Nahen Osten leicht auf der Strecke zu bleiben. Aktham Suliman deckt die Lügen und Fakes auf, die von den verschiedenen Spielern eingesetzt werden. Der 47-Jährige arbeitet jetzt als freier Journalist in Berlin. Er wirkt in der Tat freier als früher, als er das Wort des Emirs von Katar in die Welt senden musste. Sein Buch eröffnet wertvolle Einblicke in die Kriege und Konflikte des Nahen Ostens, aus denen der Journalist Suliman selbst berichtet hat. Der Leser gewinnt hier Einsichten, die auch hart gesottene Kenner der Region manchmal frösteln lassen.