"Selbstbestimmter Abgang in Würde"
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Bundespräsident Steinmeier hat Angela Merkel ihre Entlassungsurkunde überreicht. Sie sei 2005 als Kanzlerin der Veränderung angetreten, sagt Merkels Biograf Ralph Bollmann, bleibe aber wohl vor allem als "Krisenkanzlerin" in Erinnerung.
Die konstituierende Sitzung des 20. deutschen Bundestages verfolgte Angela Merkel von der Zuschauertribüne aus. Nach 16 Jahren Kanzlerschaft erhielt sie ihre Entlassungsurkunde von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der ihr Dank und Anerkennung "für die dem deutschen Volke geleisteten treuen Dienste" aussprach. Bis zur Bildung der neuen Regierung bleibt Merkel geschäftsführend im Amt.
Bemerkenswerte Stabilität
Der erste Schritt des offiziellen Abschieds sei der emotional stets zurückhaltenden Kanzlerin mit Sicherheit nahegegangen, sagt der Publizist Ralph Bollmann, Autor einer im Juli erschienenen Merkel-Biografie. Im Vordergrund stehe vermutlich ihre Erleichterung über den "selbstbestimmten Abgang in Würde", der ihr "mit einer bemerkenswerten politischen Stabilität" gelungen sei, abgesehen freilich vom desolaten Zustand ihrer Partei, der CDU, nach der Bundestagswahl.
Merkel sei jedoch vor allem an einer politischen Nachfolge gelegen, die ihren politischen Kurs der Mitte fortsetzt. Von daher habe sie den Wahlkampf unbesorgt verfolgen können, "weil alle Bewerber um das Kanzleramt – Laschet, Baerbock und Scholz – für diesen 'merkeligen Mitte-Kurs' stehen." Dementsprechend habe Merkel erst kürzlich in einem Interview geäußert, "dass sie nicht schlecht schlafen wird, wenn Olaf Scholz das Land regiert."
Impulse zur Veränderung
Was wird von ihrer Kanzlerschaft am stärksten in Erinnerung bleiben? "Sie war natürlich die Krisenkanzlerin, die Deutschland durch die großen Untiefen seit der Finanzkrise von 2008 einigermaßen sicher geführt hat", sagt Bollmann. Dabei sei Merkel 2005 durchaus im Zeichen der Veränderung angetreten. Bei den Wählerinnen und Wählern sei sie damit aber wiederholt beinahe gescheitert.
Bollmann erinnert an das wirtschaftsliberale Reformprogramm der ersten Regierung Merkel und an Impulse der Familienpolitik - von Elternzeit bis Kita-Recht -, für die die Kanzlerin wenig Gegenliebe erfahren habe. Auch in ihrer Flüchtlingspolitik seit 2015 erkennt Bollmann den Impetus, "das Land veränderungsbereiter zu machen". Fast habe Merkel mit diesem Versuch Schiffbruch erlitten.
Ausstehende Reformen
Im Laufe ihrer 16-jährigen Amtszeit sei Angela Merkel zu einer "Kanzlerin des Bewahrens" geworden, für die möglichst viel Stabilität die höchste Pflicht war. "Darüber ist natürlich auch einiges an Reformen liegen geblieben", so Bollmann, "und das ist ja das, was sich jetzt auch die neue Regierung vornimmt."
Er könne sich vorstellen, dass Merkel mit Blick auf die künftige Regierung "jetzt auch ein bisschen in sich hinein grinst, ob die Nachfolger denn mit den Veränderungen und Reformen wirklich so viel weiterkommen werden als sie selbst, in diesem Land, wo ja vieles blockiert ist durch Föderalismus und andere Dinge, die wir ja alle kennen."