Teurer Schmerz
Fünf Jahre sollte das Geld reichen – nun, nach einem Drittel der Zeit, ist absehbar, dass der Hilfsfonds für die Opfer der DDR-Heimerziehung bald leer sein wird. Laut Schätzungen fehlen 100 bis 200 Millionen Euro.
40 Millionen Euro hatten Bundes- und Landesregierung angesetzt, um Menschen zu helfen, die durch ihre Zeit in DDR-Kinderheimen einen psychischen, physischen oder finanziellen Schaden erlitten haben. Thüringens Sozialministerin Heike Taubert (SPD) räumt ein, dass weder Politik noch Wissenschaft eine Ahnung davon hatten, wieviel Geld benötigt werden würde:
"Es war am Anfang überhaupt nicht absehbar. Wenn man bedenkt, dass wir durch eine Petition im Bundestag über den Kinderheim-Fonds West bei uns die Entscheidung getroffen haben, in Ostdeutschland auch einen Kinderheim-Fonds aufzulegen, uns auch an den Zahlen Westdeutschlands orientiert haben, konnte man nicht absehen, wie der nachgefragt wird. Und deswegen freuen wir uns, dass so viele Menschen den Weg finden in die Beratungsstellen und bitten aber auch um Verständnis, dass es eine Weile dauert."
"Eine Weile" bedeutet konkret: Wer sich jetzt an die Beratungsstelle in Erfurt oder auch in den anderen ostdeutschen Ländern wendet, kann mit einem Beratungstermin 2015 rechnen – also in einem guten Jahr. Darüber sind viele Ex-Heimkinder empört, wie Martina Reinhard, Abteilungsleiterin im Thüringer Sozialministerium, bestätigt:
"Aber verständlicherweise! Wir sind ja immer an die Öffentlichkeit gegangen, haben den Fonds und die Leistungen vorgestellt. Und wenn man dann sich gemeldet hat und sozusagen jetzt ein Jahr später hört 'Du bist leider zu spät gekommen; im Moment ist der Topf alle!', dann ist das verständlich, dass man enttäuscht ist und nachfragt, 'Wie geht's denn weiter?' Deswegen laufen ja die Bemühungen hinter den Kulissen, da möglichst schnell Abhilfe zu schaffen."
"Sehr schweres Schicksal"
Die Gespräche zwischen Bundes- und Ost-Landesregierungen laufen. Kontrovers ist nicht, dass der Fonds aufgestockt werden muss, sondern nur, wie hoch. Schätzungen sehen einen Bedarf von 100 bis 200 Millionen. Zum Vergleich: Der Fonds für die Entschädigung von Heimkindern im Westen ist mit 120 Millionen Euro ausgestattet. Thüringens Sozialministerin Heike Taubert erklärt die Unterschiede zwischen Ost und West:
"Also, viele unserer Betroffenen in Ostdeutschland haben schon ein sehr schweres Schicksal hinter sich, sehr oft eine sehr betroffene Biografie. Und für die ist erst mal die Aufarbeitung wichtig, das Gespräch wichtig, und dann auch manchmal ganz kleine Dinge, bis eben zu Anschaffungen, die sie sich eben mit ihren finanziellen Mitteln nicht leisten können."
Die Ost-Ministerpräsidenten sollen der Aufstockung schon zugestimmt haben, jetzt arbeiten die Finanzminister an einem Zeitrahmen. Spätestens im Sommer soll dann Klarheit herrschen, in welchem Zeitraum es wie viel Geld gibt. Aber es geht nicht nur um Geld, sondern auch um das richtige Personal in den Beratungsstellen. In Thüringen ist gerade eine von drei Planstellen vakant. Martina Reinhard über die Schwierigkeiten, sie neu zu besetzen:
"Das ist schwer! Wir haben den ersten Versuch Ende des Jahres gestartet, einen Psychologen in Nachfolge von Herrn May zu bekommen. Die Bewerbungen, die eingegangen sind, waren nicht viel. Und dann hat eine Dame von uns den Zuschlag gekriegt und sich am nächsten Tag überlegt, dass es vielleicht viel zu nervenaufreibend ist, das tagtäglich aushalten zu müssen. Insofern hat sie leider Gottes ihre Bewerbung zurückgezogen."
Der Thüringer Landesbeauftragte für die Aufarbeitung des SED-Unrechts, Christian Dietrich, weiß um die Schwierigkeiten der Beratung und fordert, mehr Geld und vor allem Anstrengung in die Beratung als solche zu investieren – nicht nur in Hilfsleistungen.
"Also, ich möchte, wenn ich schon bereit bin, über Schmerzpunkte meines Lebens, über die ich in dieser Gesellschaft gar nicht so ohne weiteres reden kann, rede, nicht wieder nach Hause geschickt werden. Also, das heißt, da muss jemand sein, der hörfähig ist und auch alles andere weglegen kann und Zeit hat. Und meine Vermutung ist, dass dazu nicht nur eine besondere Qualifikation gehört, sondern auch eine tiefe Motivation, denn: Das tut auch weh!"