"Die Möglichkeit, rational zu entscheiden, wird überschätzt"
Nach dem heutigen Koalitionsausschuss wird eine Entscheidung der SPD zum Asylkompromiss der Union erwartet. Angesichts des wochenlangen Streits: Sollte diesmal einfach das Los entscheiden? Die Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger über Vernunft und Zufall.
Die gut durchdachte Entscheidung gilt in der Politik als Maßstab aller Dinge. Doch wie weit ist es damit her? "Ich denke, es wird die Möglichkeit, tatsächlich immer rational zu entscheiden, in der Regel überschätzt", sagt Stollberg-Rilinger. Man wisse aus der Forschung, dass meist gar nicht nach rationaler Erwägung entschieden werden könne. Denn man habe entweder nicht alle Informationen oder nicht genug Zeit, alles zu erwägen. Tatsächlich werde "sehr oft aufgrund ganz anderer, teilweise emotionaler Bauchgefühle" entschieden: "Man rationalisiert die Entscheidung dann anschließend nach, die man tatsächlich aber in ganz anderer Weise intuitiv gefällt hat."
Irrationalität der vergangenen Tage
In der Geschichte habe es viele Fälle gegeben, in denen das Los entschieden habe, so die designierte Rektorin des Berliner Wissenschaftskollegs. Eine Option für die SPD? "Eher nicht", meint Stollberg-Rilinger - obwohl das bei der "Irrationalität in den letzten Tagen" fast schon vernünftiger sei. Aber:
"Losen heißt natürlich, auf das Abwägen von Gründen zu verzichten. Das kann man sich in solchen zentralen Fragen nicht leisten, weil da gibt es natürlich gute Gründe für die eine oder andere Entscheidung, und man kann nicht einfach darauf verzichten, sie gegeneinander abzuwägen. Man kann immer nur in sehr kleinen, einzelnen Punkten losen und nur dann, wenn wirklich die verschiedenen Optionen in jeder Hinsicht völlig gleich sind."
(bth)