Pilotprojekt an Uniklinik Kiel

Ärzte und Patienten entscheiden gemeinsam

07:48 Minuten
Ein Patient im Gepräch während einer Behandlung im Krankenhauszimmer (Symbolbild)
Patienten und Patientinnen in Entscheidungen einzubeziehen und Vor- und Nachteile offenzulegen – das ist ein zentraler Punkt des Konzepts an der Uniklinik Kiel. (Symbolbild) © picture alliance / dpa / BELGA / Dirk Waem
Von Astrid Wulf und Kati Bochow |
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Nicht nur die Behandlung, auch eine gute Kommunikation zwischen Ärzten, Pflegekräften und Patienten ist wichtig für ein gutes Therapieergebnis. Dazu gehört das Prinzip gemeinsamer Entscheidungsfindung. Das kostet Zeit, doch es zahlt sich aus.
Patientin Wiebke Ochmann hat einen Tumor im Bein, der bestrahlt werden muss. Dafür sind ihre Blutwerte allerdings zu schlecht, sagt die zuständige Oberärztin Claudia Schmalz. Jetzt stellt sich die Frage: Bluttransfusion - ja oder nein? Und wenn ja – wann?
„Es gibt verschiedene Möglichkeiten“, sagt Schmalz. „Und es wäre mir wichtig, dass wir das gemeinsam entscheiden.“
Wiebke Ochmann ist froh, mitbestimmen zu können, wie ihre Therapie verläuft.
„Ich kann dann auch sagen: Nein, ich möchte jetzt nicht in Kombination mit der Bestrahlung die Chemotherapie haben, sondern erst die Bestrahlung, dann die OP, und wenn es Not tut, die Chemo. Also ich kann die Optionen wählen. Das ist etwas, das mir Angst genommen hat vor dem Tumor. Man hat ja ganz viel Angst. Das macht es leichter für mich, damit umzugehen.“

Konzept "Share to Care"

Patienten und Patientinnen in Entscheidungen einzubeziehen, alle Optionen, Vor- und Nachteile offenzulegen, zu besprechen, was sie wollen – das ist der zentrale Punkt des Konzepts „Share to Care“, mit dem die Uniklinik Schleswig-Holstein in Kiel die Kommunikation zwischen Ärzten und Ärztinnen, Pflegekräften sowie Patienten und Patientinnen verbessern will.
Initiator Friedemann Geiger hat die Kinderkrebsstation hier geleitet und weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig eine gute Kommunikation für ein gutes Therapieergebnis ist.
„Je besser die ausgewählte Therapie zum Lebenskontext des einzelnen Betroffenen passt, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass er das umsetzt, und auch langfristig umsetzt. Und nicht nach drei Wochen sagt: Das ist mir zu anstrengend.“

Training in besserer Kommunikation

Patienten und Patientinnen mit ins Boot zu holen, gemeinsam mit ihnen zu entscheiden – das Konzept ist nicht neu, nennt sich „Shared Decision Making“, also gemeinsame Entscheidungsfindung. Und doch war es ein Novum, als Geiger 2017 begann, die Idee am Kieler Klinikum nach und nach in allen 17 medizinischen Abteilungen einzuführen.
„Dass wir gleichzeitig alle Ärztinnen und Ärzte in besserer Kommunikation trainieren. Dass wir gleichzeitig die Pflegekräfte adressieren, dass die das unterstützen, und in den Bereichen, wo sie selber Therapieentscheidungen treffen, selber einsetzen. Dass die Patienten adressiert werden. Dass sie eingeladen werden: Ja, wir meinen das wirklich ernst. Am UKSH soll tatsächlich mitentschieden werden. Von euch – von ihnen. Das ist gut, wir wollen das, wir brauchen das, das ist besser für die Versorgung.“

Damit Medikamente auch eingenommen werden

Zum Beispiel, wenn es um Medikamente geht. Viel zu oft werde Betroffenen einfach etwas verschrieben, ohne mit ihnen über mögliche Alternativen, Vor- und Nachteile zu sprechen, sagt Friedemann Geiger.
„Das ist ein Riesenproblem. Ein riesiger Anteil von Medikamenten wird verschrieben, auch noch aus der Apotheke abgeholt, zuhause vielleicht einmal eingenommen und dann wieder weggelegt, weil man das Gefühl hat, ich wollte das gar nicht – oder ich wollte was anderes. Und das ist ein Schaden, den wir auch volkswirtschaftlich haben, diese Milliarden, die wir da verlieren, die würde ich doch besser in bessere Gespräche, bessere Bezahlung für Ärzte und Pflegekräfte investieren, in alles Mögliche andere – aber nicht, damit Medikamente in unseren Medizinschränken vergammeln.“

Bessere Therapieerfolge an der Uniklinik Kiel

Mit Patienten und Patientinnen auf Augenhöhe kommunizieren, gemeinsam entscheiden – seit fünf Jahren ist das die Leitidee an der Uniklinik in Kiel. Und sie zahlt sich aus. Viele Therapien seien erfolgreicher verlaufen als vorher, es gebe weniger Komplikationen, sagt Geiger.
An der neurologischen Fachklinik konnte die Zahl der Notfalleinweisungen um 13 Prozent gesenkt werden gegenüber dem Bundesdurchschnitt. Die Evaluation zeige, dass viele nach einem stationären Aufenthalt entlassene Patienten dank „Shared Decision Making“ nicht wieder aufgenommen werden müssen.
„Das heißt, wir haben nach Entlassung der vollstationären Patienten danach einen anderen Verlauf der Erkrankung. Man kann mutmaßen, dass ein souveräner, ein gesundheitskompetenterer Umgang in der Zeit danach erfolgt ist, so dass dann weniger Notfalleinweisungen nötig waren.“

Anfangs nicht alle begeistert

Als Friedemann Geiger den Ärzten und Ärztinnen und Pflegekräften vor vier Jahren das Konzept vorstellte, mit dem Ziel, künftig noch mehr auf die Wünsche der Patienten und Patientinnen einzugehen, um die Versorgung zu verbessern, sei er nicht nur auf Begeisterung gestoßen, sagt er. Schließlich sei der Klinikalltag schon hektisch genug, Zeit für zusätzliche Kommunikationstrainings hat eigentlich niemand.
Oberärztin Claudia Schmalz war von Anfang offen für das Projekt, sagt sie. Dennoch: Die neue Art der Gesprächsführung war für sie ungewohnt: Man müsse immer wieder nachfragen, ob der Patient oder die Patientin alles verstanden habe, nachfühlen, abwägen, welche Optionen am ehesten in Frage kommen, und den Patienten oder die Patientin dann auch mitentscheiden lassen.
„Es ist schon eine Umstellung, wenn man ganz systematisch bei jedem Gespräch versucht – habe ich jetzt an alles gedacht – das muss erst allmählich in Fleisch und Blut übergehen, dass man seinen eigenen Weg findet. Aber langsam kommt das, allmählich.“

Bessere Qualität der Gespräche

Die Ergebnisse interner Befragungen zeigen, dass die Gespräche in der Trainingsphase länger waren – jetzt aber wieder so lang dauern wie vorher; die Qualität der Gespräche habe sich aber deutlich verbessert.
„Meine Erfahrung ist, dass, wenn man ein richtig gutes Gespräch mit dem Patienten geführt hat, dass es eher Zeit spart. Weil man immer wieder darauf zurückkommen kann. Und weil die Patienten eigene Entscheidungen dann auch leichter mit einem gemeinsam fällen können, sagt eine Ärztin.

Erkrankte wollen mitreden

Patienten und Patientinnen wollen besser informiert werden, über ihre Behandlung mitbestimmen. Das belegen viele Studien. Für manche sei der neue Ansatz in Kiel aber auch ungewohnt, weiß Oberärztin Claudia Schmalz aus eigener Erfahrung.
„Es gibt Patienten, die sind sehr irritiert davon. Gerade Patienten, die es vielleicht nicht gewohnt sind, solch komplizierte Entscheidungen selber treffen zu sollen. Aber wir können die tatsächlich beruhigen, dass wir ihnen sagen: Es ist auch eine Möglichkeit, dass sie entscheiden, dass sie das in unsere Verantwortung legen wollen.“
Wiebke Ochmann bespricht mit ihrer Ärztin die nächsten Behandlungsschritte. „Das wäre dann der 28.“ - „Ja. Ich glaube, die Option würde ich nehmen. Ich möchte nicht gehetzt sein.“
Als Wiebke Ochmann ihre Krebsdiagnose bekam, brach für sie eine Welt zusammen. Dass sie ihre Therapie mitgestalten könne, trage dazu bei, dass sie sich heute viel besser fühle, sagt sie. „Ich habe keine Angst, dass ich sterbe, ich hoffe, ich werde noch drei Jahrzehnte leben.“
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