Entschuldigung bei Littlefeather
Späte Anerkennung für eine Aktivistin: Fast 50 Jahre nach ihrer Protestaktion bittet die Oscar-Akademie die heute 75-jährige Sacheen Littlefeather um Entschuldigung. © picture alliance / ZUMAPRESS.com / Dane Andrew
Eine hilflose Geste der Oscar-Akademie
08:00 Minuten
1973 setzte die Schauspielerin Sacheen Littlefeather bei den Oscars ein starkes Zeichen für Native Americans. Damals erntete sie Hohn und Spott. Jetzt bittet die Oscar-Akademie um Entschuldigung. Eine hilflose Geste, meint der Publizist Jens Jessen.
Das Publikum der Oscarverleihung erwartet Marlon Brando: Der Schauspieler soll für den Film "Der Pate" den Oscar als bester Hauptdarsteller erhalten. Doch stellvertretend für ihn betritt eine junge Frau in der traditionellen Kleidung der Apachen die Bühne. Sacheen Littlefeather lehnt den Preis in Brandos Namen ab, als Grund nennt sie die schlechte Behandlung, die amerikanische Ureinwohner von der Filmindustrie erführen.
Buh-Rufe und Gelächter über die Aktivistin
Teile des Publikums reagieren mit Buh-Rufen und Gelächter. Littlefeather, die ganz am Anfang ihrer Laufbahn als Schauspielerin steht, bekommt in Hollywood nach diesem Auftritt keine Chance mehr und muss in den folgenden Jahren noch weitere verbale Attacken erfahren.
Fast 50 Jahre später hat sich die Oscar-Akademie nun mit einem Brief an Littlefeather gewandt und um Entschuldigung gebeten. Eine ungewöhnliche Geste, und doch sieht der Publizist Jens Jessen darin wenig Grund zur Freude.
Krokodilstränen der Akademie
"Wenn man an den Anlass denkt, die Lage der Native Americans in ihren Reservaten oder auch sonst am Rande der Gesellschaft, dann hat sich überhaupt nichts zu Besseren geändert", so Jessen. "Wenn sich jetzt die Oscar-Akademie entschuldigt oder andere Krokodilstränen vergießen, dann ist das mehr als unglaubwürdig, eigentlich heuchlerisch."
Aus seiner Sicht führe der gesamte Vorgang nur "die Hilflosigkeit jeder Art von Symbolpolitik" vor Augen. Auch die Geste der Oscar-Zurückweisung sei letzlich wirkungslos verpufft: "Das kann diese Gesellschaft und ihre Politik mühelos wegstecken, sie reagiert in der Sache dann nicht." Zwar zeige die späte Entschuldigung der Oscar-Akademie durchaus, dass sich unsere Sicht auf die von Littlefeather und Marlon Brando kritisierten Machtverhältnisse verändert habe. Als "Materialist in Marx'scher Nachfolge" sei er jedoch der Überzeugung:
"Das Bewusstsein ändert das Sein nicht – oder nur ganz peripher. Sie müssen die realen Machtverhältnisse und die realen Verfügungsmittel über materielle Ressourcen ändern. Alles andere ist hilflos."
Insbesondere eine jüngere Generation hege heute die Hoffnung, dass man gesellschaftliche Ungerechtigkeiten "durch Benehmen und Sprache in den Griff bekommt", beobachtet Jessen. Er teile diese Hoffnung jedoch nicht.
Rücksicht auf das eigene Seelenheil
Zum Beispiel sei die Entscheidung, den Begriff "Indianer" nicht mehr zu verwenden, mit der Begründung, dass er in seiner Wortgeschichte eine abwertende kulturelle Konnotation trage, "vielleicht schön und richtig, aber nur für unser Seelenheil", sagt Jessen.
"Wir bringen unser politisches Innenleben in Ordnung, wenn wir mit der Verwendung von Begriffen vorsichtig sind. Aber draußen in den Rocky Mountains oder in anderen schwierigen Gegenden der Welt hilft das den Menschen überhaupt nicht."
John Wayne versuchte, die Bühne zu stürmen
Der Auftritt Sacheen Littlefeathers habe in der Branche eingeschlagen, sagt unser Filmkritiker Patrick Wellinski. Die Oscar-Veranstaltung sei damals noch recht konservativ gewesen, und viele im Publikum habe die Aktion wütend gemacht. John Wayne etwa habe versucht, die Bühne zu stürmen und sei von sechs Bodyguards zur Seite gerissen worden. Gleichzeitig gab es im Publikum auch viel Applaus für den Auftritt.
Für Littlefeather hatte der Auftritt weitreichende Folgen, berichtet unser Filmkritiker. Direkt nach der Veranstaltung sei sie von Oscar-Gewinnern in einem Raum hinter der Bühne unter anderem mit den „berühmten indianischen Tönen“ begrüßt worden. Später bekam sie nur noch zwei, drei keinere Rollen. „Sie hatte in Hollywood nichts mehr zu suchen“, sagt Wellinski.
Politische Oscars sind ein Erfolg Littlefeathers
Brando indes habe die Veranstaltung damals gekapert und damit für viele weitere politische Statements geöffnet. Die Entschuldigung der Oscar-Academy zeige, wo Hollywood heute stehe. „Es ist die Mission von Hollywood, spätestens seit MeToo, sich zu entschuldigen, sich moralisch korrekt zu verhalten, Minderheiten eine Bühne zu geben“, meint Wellinski. Was Sacheen Littlefeather vor 50 gemacht habe, sei heute selbstverständlich. Die Oscar-Bühne sei eine Politik-Bühne, und man erwarte förmlich, dass sich Schauspieler politisch äußerten. „Das ist ein Erfolg, den sie sich zuschreiben kann.“
(fka/tmk)