Das Geschäft mit der Achtsamkeit
Sich in Achtsamkeit zu üben, heißt im digitalen Zeitalter, Smartphone und Tablet auch mal auszuschalten. Dieses Bedürfnis nach Entschleunigung wollen eine Reihe von Magazinen und Apps bedienen. Doch ihr Mehrwert ist fraglich.
"Also, das Wort Achtsamkeit wird normalerweise auf einen Sanskrit-Begriff zurückgeführt. Und dieser Begriff spielt im frühen Buddhismus Indiens vor allem im Rahmen einer meditativen Übung eine ganz wichtige Rolle. Bei dieser Übung wird die Fähigkeit zur bewussten Beobachtung trainiert."
Jowita Kramer, vom Institut für Indologie und Tibetologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ist der aktuelle Achtsamkeits-Hype eine Reaktion auf unseren Arbeitsalltag? Auf stressige Stunden in Büro und Fabrik? Paul Grossmann vom "European Center of Mindfulness":
"Unsere Gesellschaft ist stark am Verändern, der Druck der Arbeitssituation ist wesentlich gestiegen, diese digitale Revolution hat eine unglaubliche Beschleunigung. Wir sind bombardiert mit Information."
"Unsere Gesellschaft ist stark am Verändern, der Druck der Arbeitssituation ist wesentlich gestiegen, diese digitale Revolution hat eine unglaubliche Beschleunigung. Wir sind bombardiert mit Information."
Ein amerikanischer Molekularbiologe hatte 1979 die Idee, dem etwas entgegenzusetzen: Jon Kabat-Zinn.
Meditation beim Weltwirtschaftsforum
Er hat das Konzept "Achtsamkeit" vom Buddhismus losgelöst. Mit Erfolg. Sein Programm zur "Achtsamkeitsbasierten Stressreduktion" wird heute in der Psychotherapie eingesetzt. Aber Kabat-Zinn hat es über die Jahrzehnte noch weiter verbreitet – beispielsweise beim Weltwirtschafsforum oder in der berühmten US-Talkshow von Oprah Winfrey.
Und in Deutschland? Inzwischen gibt es zahlreiche Print-Magazine, die sich mit der Achtsamkeit beschäftigen. "Flow" heißt eines der erfolgreichsten, stammt aus dem Verlag "Gruner und Jahr". Titelthema: "Vom guten Gefühl, offline zu sein". Auf der ersten Seite schreibt die Chefredakteurin:
"Ich will nicht abhängig sein. Schon gar nicht von meinem Telefon. Darum habe ich alle Benachrichtigungen ausgestellt. Es war wirklich ein bisschen wie ein Entzug. Und hat auch gedauert. Aber jetzt nutze ich mein Smartphone bewusst. Und schalte es eben auch bewusst auf Flugmodus, wenn ich mal einfach nur die Leere genießen will."
"Ich will nicht abhängig sein. Schon gar nicht von meinem Telefon. Darum habe ich alle Benachrichtigungen ausgestellt. Es war wirklich ein bisschen wie ein Entzug. Und hat auch gedauert. Aber jetzt nutze ich mein Smartphone bewusst. Und schalte es eben auch bewusst auf Flugmodus, wenn ich mal einfach nur die Leere genießen will."
Eine Pause vom "Harter-Hund-Sein"
"Flow" ist eine Mischung aus "Früher war alles besser" und "Biedermeier für den Kopf". Eine Flucht aus dem Alltag. Rein ins Pestokochen und Nachdenk-Collagen-Basteln. Für die männliche Achtsamkeit gibt es vom selben Verlag das "Wolf"-Magazin, mit diesem Anspruch.
"Das ist das Problem mit Männermagazinen, oder? Das komisch verkrampfte Harter-Hund-Sein-Müssen, um keine Klassenkeile von den anderen Jungs zu bekommen. Der Bullshit. Dieses Heft ist eine Pause davon."
"Das ist das Problem mit Männermagazinen, oder? Das komisch verkrampfte Harter-Hund-Sein-Müssen, um keine Klassenkeile von den anderen Jungs zu bekommen. Der Bullshit. Dieses Heft ist eine Pause davon."
Titelthema auch hier: "Mehr offline. Wie weniger Dinge, echte Freunde und mehr Zeit alles verändern." Beide Magazine haben eine sehr selektive Vorstellung von Achtsamkeit: als Retro-Kult und digitale Abstinenz. Als Gegenmittel zum Smartphone-Stress aus E-Mails, Eilmeldungen und Erreichbarkeit. Ironisch ist, dass beide Hefte betonen, wie weniger Besitz entspannt. Und zeitgleich Pullover für 290 Euro und Küchenutensilien für 340 Euro anpreisen. Der Achtsamkeitsforscher Grossman steht der Popularisierung der Achtsamkeit deswegen kritisch gegenüber:
"Einerseits sehe ich diese Popularisierung nicht nur negativ. Andererseits finde ich, dass das ein wahnsinnig Ökonomisierung ist und Instrumentalisierung ist von diese Achtsamkeits-Konzept."
"Einerseits sehe ich diese Popularisierung nicht nur negativ. Andererseits finde ich, dass das ein wahnsinnig Ökonomisierung ist und Instrumentalisierung ist von diese Achtsamkeits-Konzept."
Achtsamkeit per App üben
Achtsamkeit lässt sich aber nicht nur mit dicken Print-Magazinen üben,
sondern auch digital mit Musik bei Spotify und Youtube. Ein Titel namens "Weightless" soll angeblich zu DEN Entspannungs-Titeln überhaupt gehören. Die passenden Selbstlern-Kurse bieten dann Smartphone-Apps wie "Headspace", zu Deutsch: "Kopf-Freiheit".
"Hi, my Name is Andy and welcome to Headspace. Before we get started…"
sondern auch digital mit Musik bei Spotify und Youtube. Ein Titel namens "Weightless" soll angeblich zu DEN Entspannungs-Titeln überhaupt gehören. Die passenden Selbstlern-Kurse bieten dann Smartphone-Apps wie "Headspace", zu Deutsch: "Kopf-Freiheit".
"Hi, my Name is Andy and welcome to Headspace. Before we get started…"
Die App führt mit minimalistischer Optik und ruhiger Stimme durch die Atem-Übungen, zehn Minuten Achtsamkeit für zwischendurch. Die ersten zehn Lektionen gibt‘s gratis. Der unbegrenzte Zugang kostet 400 Euro. Wer sich mit Apps und Zeitschriften von seinem Arbeitsleben entspannen will, muss sich das erstmal leisten können.