Entstehung und Zerfall

Von Marcus Weber |
Der Installationskünstler Julius Popp ist mit seinen Arbeiten der Unschärfe des Menschseins auf der Spur. Dabei nimmt er einen ungewöhnlichen Weg: Er baut Roboter und Maschinen, um den Menschen besser zu verstehen.
"Gedanken möchten oder können ganz klar sein. Aber die Realität sieht dann wieder ganz anders aus. Es gibt viele unscharfe Prozesse in unserem Leben, die in unserem Bewusstsein klar ankommen mögen, weil wir sie nicht hinterfragen. Aber wenn wir sie anfangen zu hinterfragen, merken wir, dass diese virtuelle Schärfe eine sehr große Bandbreite beinhaltet."

Es war ein Denkzettel, sagt Julius Popp, der komplette Reset am Anfang seines Erwachsenseins.
Ein Jahr vor dem Abitur lähmt eine Virusinfektion im Gehirn seinen Körper und löscht vorübergehend sein Gedächtnis. Das Einzige, an das er sich erinnern kann, ist sein Vorname. Ein paar Wochen später, nach einer Antibiotika-Behandlung ist Popp wieder gesund.

"Aber der Schock, der da mitschwingt, der immer noch da ist, Angst, dass es wieder passieren könnte – der begleitet mich eigentlich jeden Tag. Nicht offensichtlich, aber ich weiß irgendwo immer darum, dass man sein Bewusstsein verlieren kann. Und das ist ja auch ein Teil des Themas meiner Arbeit. Das heißt, wie sich Bewusstsein generiert, wie es sich in einer Kultur positioniert: Welche Dinge können wir wissen, oder wie wissen wir sie, wie blicken wir auf andere Sachen ..."

Julius Popp ist Installationskünstler. Der 34-Jährige baut Maschinen, mit denen er die Unschärfe des Menschseins untersucht. Bit.Fall etwa: ein Wasserfall, der Worte schreiben kann.

"Wenn man den Wasserfall zum Beispiel nimmt, Bit.Fall, dann sieht man bei Bit.Fall, wie tagesaktuelle Nachrichten, also die wichtigen Inhalte einer Kultur, erzeugt werden, wie sie dargestellt werden und gleich wieder in sich zerfallen."

Ein Computer durchsucht Nachrichtenseiten im Internet nach aktuellen Schlagworten und schickt sie an den Wasserfall. Der spuckt die Wörter aus, eines nach dem anderen fällt zu Boden, gebildet aus Wassertropfen.

"Das heißt, das Wasser ist nur für Sekundenbruchteile sichtbar und geht dann wieder im Wasserbecken in einen Brei über, um erneut nach oben gepumpt zu werden, mit neuen Inhalten aufgeladen zu werden, dargestellt zu werden und wieder zu zerfallen."

Mit diesem Bild des Bit.Falls, das so eindringlich zeigt wie Leben und Kultur entstehen und vergehen, ist der 34-jährige Popp die letzten beiden Jahre auf der ganzen Welt unterwegs: Tokio, Sao Paulo, Saint Louis, New York, Paris...

"Da sind auch Monate dabei gewesen, wo ich aus dem Flugzeug aussteige, nach Leipzig komme, meine Wäsche wasche, einen halben Tag im Café sitzen kann, wieder ins Flugzeug steig, woanders hinfliege, da eine Nacht übernachte im Hotel, von da aus in eine andere Stadt, wieder für eine halbe Stunde Gespräch. Und das geht dann wochenlang so. Und nach der zweiten Woche weißt du überhaupt nicht mehr, wo du aufwachst, wo du ins Bett gehst, wo du überhaupt hingehörst."

Jetzt aber sitzt Julius Popp in einem Café in der Leipziger Baumwollspinnerei. Groß und schmal, die Haare abrasiert; mit einem blauen Arbeitspulli, der an den Ärmeln aufgerissen ist. Popp erzählt von einer zerbrochenen Beziehung. Er lebt allein in Leipzig, eigentlich stammt er aus Nürnberg. Die Eltern: zwei Ex-68er, mittlerweile gutbürgerlich, beide im Kulturbereich beschäftigt. Der Großvater jedoch war Technischer Direktor einer Motorradfabrik. Und irgendwo dazwischen hat sich Popp, wie er selbst sagt, bewusst oder unbewusst platziert.

"Das erste Mal als ich als Kind einen Schraubenzieher in der Hand hatte, war eine halbe Stunde später die erste Uhr meiner Eltern kaputt, weil ich sie auseinandergeschraubt hatte und natürlich nicht wieder zusammenbauen konnte. Aber da bestand eben ein großer Drang zu wissen, was in diesen Maschinen vor sich geht, dass sie eben genau das machen, was sie, was sie tun."

Zurzeit arbeitet Popp, der gelernter Werbefotograf ist und an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst studiert hat, an einer Installation von 20 Kugeln. Sie liegen still geordnet im Raum, bis ein Besucher hinzutritt und sie in Bewegung bringt. Sobald ihm die erste Kugel ausweicht, beeinflusst sie eine zweite. Und so entsteht eine Welle, die an die Wände stößt und auf den Besucher zurückrollt.

"Und in dem Moment, wo die Welle auf mich zurückkommt und ich eine weitere Bewegung mach, weil ich eventuell Angst bekomme oder mich davon beeindrucken lasse, kippt das System in eine ganz eigene Dynamik. Das heißt, dann weiß ich nicht mehr: Werd ich vom System beeinflusst oder bin ich immer noch der, der die Kontrolle darüber hat? Und um mich rum wird alles in Bewegung sein."

Immer wieder fragt Popp nach dem Verhältnis von Bewusstsein, Umwelt und Kultur – wer prägt wen? Dabei ist ihm wichtig, dass seine Arbeiten nicht nur künstlerisch funktionieren, sondern auch wissenschaftliche Probleme auf den Punkt bringen.

"Weil ich glaub, dass Kunst und Wissenschaft sehr viele Dinge gemeinsam haben, sie bilden beide sehr stark die Kultur mit."

Und so werden zwei seiner Roboter von verschiedenen Wissenschaftlern, etwa am Fraunhofer Institut in Sankt Augustin bei Bonn, zur Erforschung der Künstlichen Intelligenz genutzt.

Trotz solcher Erfolge plagen Julius Popp noch immer finanzielle Sorgen – denn die technische Umsetzung der Arbeiten ist oft extrem teuer. Und dennoch: Mit dieser Art der "Kunst-Forschung" hat er seinen Weg gefunden. Das sind noch locker 30 Jahre Arbeit, sagt er und grinst.

"Kunst hat für mich einen ganz eigenen Wert. Ich will, wenn ich etwas ansehe, verschiedene Ebenen wahrnehmen können oder bestimmte Gedanken daraus lesen können. Kunst muss in irgendeiner Art und Weise eine Grenze definieren oder erfahren oder erfahrbar machen."