Enttäuschende Ankunft im "goldenen" Westen
90 Aufnahmelager für DDR-Flüchtlinge gab es in West-Berlin in den 50er und 60er-Jahren, heute erinnert fast nichts mehr an sie, auch aus dem kollektiven Gedächtnis scheinen sie verschwunden zu sein. Genau dorthin will die Sonderausstellung in der Berliner Erinnerungsstätte "Notaufnahmelager Marienfelde" sie zurückholen.
Etwa 1.350.000 Menschen, aus der DDR geflüchtet, passierten dieses Notaufnahmelager. Fotos, Karten, Texte, auch Stempel und Koffer, historische Filmaufnahmen und Tondokumente erinnern an sie.
Vollends lebendig wird die Erinnerung durch die Zeitzeugen, die den Besucher durch die Ausstellung führen. Wolf Rothe zum Beispiel: Von 1953 bis 1958 war er stellvertretender Leiter des Notaufnahmelagers Volkmarstraße/Colditzstraße, damals das größte Flüchtlingslager West-Berlins.
"Der erste Eindruck, den Flüchtlinge aus der Ostzone, wie man das damals nannte, bekamen, war sicher für diese Menschen teilweise ein Schock. Denn sie wurden jetzt nicht plötzlich empfangen von der Leitung des Notaufnahmelagers Marienfelde, sondern zuerst einmal von den Alliierten, von den Geheimdiensten. Die wurden erstmal auf Herz und Nieren geprüft: wer kommt denn da? Natürlich wussten wir alle, dass in den Lagern ... ob der Ausdruck Stasi damals schon existierte ... auf alle Fälle waren da sehr viele Agenten – so will ich das mal nennen - Tag und Nacht war die Wache da."
Die Besatzungsmächte interessieren sich am meisten für die Flüchtlinge, wollen alles wissen über das Leben in der "Ostzone", die Franzosen rekrutierten unter den Flüchtlingen sogar Personal für ihre Fremdenlegion.
Aufregende Zeiten – in engen Verhältnissen. In den Wohnräumen des Lagers stehen jeweils drei Doppelstockbetten mit grau gestreiften Matratzen; Waschbecken gibt es nicht: eine Badewanne, eine Spüle wird von sehr vielen Bewohnern benutzt. Vollgehangene Wäscheleinen teilen die Zimmer, schaffen ein wenig Privatsphäre – und Wäscheleinen prägen auch die Ausstellung: Alle Fotos, Karten, Texte hängen an - Wäscheleinen. Bettina Effner, die Leiterin der Erinnerungsstätte:
"Also, es ist ja nicht nur banal die Wäscheleine, sondern es verrät etwas, wie die Leute da gelebt haben. Eben in diesen sehr provisorischen ... dass sie keine Möglichkeit hatten sich einzurichten, sondern überall die Habseligkeiten über die Betten hängen, auf Leinen hängen mussten, um sich da in diesen sehr, sehr engen, gedrängten Räumlichkeiten zu arrangieren, dass sie das teilweise auch sehr bewusst eingesetzt haben, um sich so kleine Schutzräume zu schaffen, man hatte ja teilweise nur das Doppelstockbett –so die eine Fläche, wo man mal für sich sein konnte."
Wer hier gelandet ist, ist froh, die DDR verlassen zu haben. Aber wohin? Jugendliche Flüchtlinge werden schnell nach Westdeutschland ausgeflogen, vor dem vermeintlich "sündigen" West-Berlin will man sie schützen. Andere bleiben, suchen Verwandte, suchen Arbeit und Wohnung, suchen vor allem: ein Ziel.
Auf vielen Fotos meint man hoffnungsvolle Gesichter zu sehen, doch unübersehbar auch die Blicke voller Unsicherheit, Angst.
"Die Flüchtlinge damals waren im übrigen – da möchte ich gleich mal aufräumen mit diesem Märchen – von wegen Volksgemeinschaft: Jeder hat an sich gedacht, und natürlich in Notfällen muss man wohl oder übel dann zusammenhalten. Da war man auch neidisch, wenn einer etwas mehr ... sich was gekauft hatte, dann fragten die: Wo hat denn der das Geld her und so. Trotz alledem kam es aber nicht zu Ausschreitungen ernster Natur."
Früher oder später gab es sie dann, die wirkliche Ankunft "im Westen". Aber so sehr sie herbeigesehnt worden war, erzählt Wolf Rothe, so sehr wurde sie oft genug zur Enttäuschung.
"Nachdem sie unsere Lager verlassen hatten, kamen sie ja in die angeblich komfortable Welt, ob im Rheinland, in Baden-Württemberg und wo sie überall waren, aber ich hab eigentlich ... das bisschen, was man so hörte, war eigentlich unerfreulich. War sehr unerfreulich, denn die Bevölkerung ... wer hat schon gerne Flüchtlinge in seiner Nähe? Aus den verschiedensten Gründen sperrte man sich, manche waren direkt bösartig: Flüchtlinge waren alles angebliche Kommunisten und all solche Geschichten. Die Flüchtlinge haben auch in Westdeutschland ein klägliches Leben weitergeführt."
Service:
Die Ausstellung "Verschwunden und Vergessen. Flüchtlingslager in West-Berlin" ist vom 5.08.2011 bis 30.12.2011 in der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde zu sehen.
Vollends lebendig wird die Erinnerung durch die Zeitzeugen, die den Besucher durch die Ausstellung führen. Wolf Rothe zum Beispiel: Von 1953 bis 1958 war er stellvertretender Leiter des Notaufnahmelagers Volkmarstraße/Colditzstraße, damals das größte Flüchtlingslager West-Berlins.
"Der erste Eindruck, den Flüchtlinge aus der Ostzone, wie man das damals nannte, bekamen, war sicher für diese Menschen teilweise ein Schock. Denn sie wurden jetzt nicht plötzlich empfangen von der Leitung des Notaufnahmelagers Marienfelde, sondern zuerst einmal von den Alliierten, von den Geheimdiensten. Die wurden erstmal auf Herz und Nieren geprüft: wer kommt denn da? Natürlich wussten wir alle, dass in den Lagern ... ob der Ausdruck Stasi damals schon existierte ... auf alle Fälle waren da sehr viele Agenten – so will ich das mal nennen - Tag und Nacht war die Wache da."
Die Besatzungsmächte interessieren sich am meisten für die Flüchtlinge, wollen alles wissen über das Leben in der "Ostzone", die Franzosen rekrutierten unter den Flüchtlingen sogar Personal für ihre Fremdenlegion.
Aufregende Zeiten – in engen Verhältnissen. In den Wohnräumen des Lagers stehen jeweils drei Doppelstockbetten mit grau gestreiften Matratzen; Waschbecken gibt es nicht: eine Badewanne, eine Spüle wird von sehr vielen Bewohnern benutzt. Vollgehangene Wäscheleinen teilen die Zimmer, schaffen ein wenig Privatsphäre – und Wäscheleinen prägen auch die Ausstellung: Alle Fotos, Karten, Texte hängen an - Wäscheleinen. Bettina Effner, die Leiterin der Erinnerungsstätte:
"Also, es ist ja nicht nur banal die Wäscheleine, sondern es verrät etwas, wie die Leute da gelebt haben. Eben in diesen sehr provisorischen ... dass sie keine Möglichkeit hatten sich einzurichten, sondern überall die Habseligkeiten über die Betten hängen, auf Leinen hängen mussten, um sich da in diesen sehr, sehr engen, gedrängten Räumlichkeiten zu arrangieren, dass sie das teilweise auch sehr bewusst eingesetzt haben, um sich so kleine Schutzräume zu schaffen, man hatte ja teilweise nur das Doppelstockbett –so die eine Fläche, wo man mal für sich sein konnte."
Wer hier gelandet ist, ist froh, die DDR verlassen zu haben. Aber wohin? Jugendliche Flüchtlinge werden schnell nach Westdeutschland ausgeflogen, vor dem vermeintlich "sündigen" West-Berlin will man sie schützen. Andere bleiben, suchen Verwandte, suchen Arbeit und Wohnung, suchen vor allem: ein Ziel.
Auf vielen Fotos meint man hoffnungsvolle Gesichter zu sehen, doch unübersehbar auch die Blicke voller Unsicherheit, Angst.
"Die Flüchtlinge damals waren im übrigen – da möchte ich gleich mal aufräumen mit diesem Märchen – von wegen Volksgemeinschaft: Jeder hat an sich gedacht, und natürlich in Notfällen muss man wohl oder übel dann zusammenhalten. Da war man auch neidisch, wenn einer etwas mehr ... sich was gekauft hatte, dann fragten die: Wo hat denn der das Geld her und so. Trotz alledem kam es aber nicht zu Ausschreitungen ernster Natur."
Früher oder später gab es sie dann, die wirkliche Ankunft "im Westen". Aber so sehr sie herbeigesehnt worden war, erzählt Wolf Rothe, so sehr wurde sie oft genug zur Enttäuschung.
"Nachdem sie unsere Lager verlassen hatten, kamen sie ja in die angeblich komfortable Welt, ob im Rheinland, in Baden-Württemberg und wo sie überall waren, aber ich hab eigentlich ... das bisschen, was man so hörte, war eigentlich unerfreulich. War sehr unerfreulich, denn die Bevölkerung ... wer hat schon gerne Flüchtlinge in seiner Nähe? Aus den verschiedensten Gründen sperrte man sich, manche waren direkt bösartig: Flüchtlinge waren alles angebliche Kommunisten und all solche Geschichten. Die Flüchtlinge haben auch in Westdeutschland ein klägliches Leben weitergeführt."
Service:
Die Ausstellung "Verschwunden und Vergessen. Flüchtlingslager in West-Berlin" ist vom 5.08.2011 bis 30.12.2011 in der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde zu sehen.