Entwicklungsdienst kritisiert Biopiraterie der Industriestaaten

Moderation: Dieter Kassel |
Der Evangelische Entwicklungsdienst (EED) hat die Biopiraterie der Industriestaaten angeprangert. Diese würden jedes Schlupfloch nutzen, um ihren Pflichten zu entgehen, sagte EED-Referent Michael Frein. Noch immer sei eine Beteiligung der einheimischen Bevölkerungen die Ausnahme, wenn Konzerne aus Industriestaaten das Wissen und natürliche Ressourcen der Entwicklungsländer vermarkten.
Dieter Kassel: Stellen Sie sich vor, Ihre Großmutter kocht eine ganz spezielle Hühnersuppe mit Kräutern aus dem eigenen Garten, die besser gegen Erkältung hilft als alles andere. Plötzlich gibt es diese Suppe in Tütchen im Drogeriemarkt. Das Rezept Ihrer Großmutter vermarktet von einem Konzern, und Ihre Oma kriegt nichts davon. Was sich ziemlich merkwürdig anhört, passiert in weltweitem Maßstab regelmäßig und ist deshalb seit Mittwoch eines der großen Verhandlungsthemen bei dem UN-Gipfel in Bonn. Man nennt das Ganze Biopiraterie. Mit dabei in Bonn ist Michael Frein, er ist Referent für Umwelt und Handelspolitik beim Evangelischen Entwicklungsdienst und jetzt für uns am Telefon. Guten Tag, Herr Frein!

Michael Frein: Guten Tag!

Kassel: Es geht natürlich in Bonn nicht konkret um Hühnersuppe. Tatsächlich aber ist eines der möglichen Beispiele für diese Biopiraterie ja ein sehr erfolgreiches Erkältungsmittel, Umckaloabo. Was hat das, was wir alle zum Teil ja inzwischen gern benutzen, mit Biopiraterie zu tun?

Frein: Es geht um Geranien. Die haben wir alle gerne auf dem Balkon. Und eine bestimmte Art wächst in Südafrika und in Lesotho, die sogenannte Kapland-Pelargonie. Und in den Wurzeln dieser Pflanzen befindet sich ein Wirkstoff, und dieser Wirkstoff hilft tatsächlich gegen Atemwegserkrankung, stärkt das Immunsystem, gegen Bronchitis. Und das ist die Basis von Umckaloabo, was wir vielleicht alle aus der Apotheke kennen.

Kassel: Das ist bei uns relativ neu, wenngleich sehr erfolgreich. Ist das in Afrika etwas Traditionelles?

Frein: Das ist ein traditionelles Heilmittel, beruht auf dem traditionellen Wissen afrikanischer Völker und lokaler Gemeinschaften dort, der Zulu beispielsweise und der Xhosa. Und die Geschichte ist relativ kurz gefasst, dass vor gut 100 Jahren ein Brite nach Südafrika kam, traf dort auf einen einheimischen Heiler. Der bereitete ihm aus den Wurzeln den Sud. Der Mann wurde gesund, kam wieder nach Hause. So kam das Wissen dann nach Europa, wurde in Deutschland an der Charité in Berlin getestet, wurde dort erfolgreich getestet, sodass dann ein Unternehmen aus Regensburg ein Medikament namens Umckaloabo auf den Markt brachte. Und heute gehört das zur Schwabe-Gruppe und wird in Deutschland überall in allen Apotheken angeboten.

Das Problem ist oft, dass man das gar nicht in unseren Breitengraden als Unrecht begreift, ganz anders im Übrigen als dies in Entwicklungsländern der Fall ist. Dort werden die Menschen zunehmend ärgerlich und sagen, das darf doch nicht wahr sein, dass auf der Basis unseres traditionellen Wissens und unserer Pflanzen so viel Geld verdient wird von großen Unternehmen, ohne dass wir vorher gefragt werden und ohne dass wir an den Gewinnen beteiligt werden.

Kassel: Gut, mit dem letzten Satz haben Sie es ein bisschen angekündigt. Aber trotzdem ist ja die Frage im Vergleich zu echter Piraterie, wenn wir, das gibt es ja auch bis heute, an Überfälle auf Schiffe und Ähnliches denken. Worin liegt das Verbrechen, wenn ein großer Konzern uraltes Wissen nutzt, um daraus ein modernes Produkt herzustellen?

Frein: Das Verbrechen ist erst mal ein moralisches Verbrechen. Und es ist natürlich auch eine Verletzung der Konvention über die biologische Vielfalt, eines Vertrages der Vereinten Nationen. Das, was die tun, ist, sie gehen hin in die Entwicklungsländer und eben dort, in Entwicklungsländern, noch nicht bei uns in Deutschland und auch nicht in Italien, in Entwicklungsländern, in China, in Brasilien, in Südafrika, in Ecuador, in Costa Rica, dort befindet sich der größte Teil der biologischen Vielfalt der Erde.

Sie schauen, was die Menschen dort, indigene Völker, lokale Gemeinschaften mit diesen Pflanzen machen. Sie nehmen diese Pflanzen, untersuchen sie im Labor und machen daraus Medikamente, machen daraus Kosmetika. Und der Punkt ist tatsächlich der, das, was wir als Biopiraterie bezeichnen, ist, dass wir nicht den Regeln der Konventionen dabei genügen. Das heißt, sie fragen nicht vorher um Erlaubnis, sie informieren nicht, wofür sie das traditionelle Wissen nutzen möchten. Und sie informieren nicht darüber, wofür sie die genetischen Ressourcen, die Pflanzen als solche, nutzen möchten, und sie verdienen dann nachher möglicherweise ganz viel Geld damit und geben nichts davon ab.

Kassel: Ist es wirklich so einfach? Zum Beispiel sagt ja der WWF, der World Wide Fund For Nature, der nun auch nicht unbedingt ein Freund großer Industriekonglomerate ist. Er sagt, man sollte das nicht so schwarz-weiß-malerisch sehen. Es gibt Fälle, da kriegt die indigene Bevölkerung nichts. Das stimmt, das ist nicht in Ordnung. Es gibt aber Fälle, wo über komplizierte Abkommen der Nordstaaten mit dem betroffenen Entwicklungsland dann doch ein klein bisschen Geld bei den Völker landet. Und das sei ja immerhin besser als nichts.

Frein: Na ja, ich glaube, der WWF, wenn ich das mal so ganz ehrlich und offen sagen darf, hat den Teil dieser Konvention einfach noch nicht ganz so richtig verstanden. Natürlich gibt es einige wenige Fälle, wo es auch Verabredungen gibt, dass Völker aus dem Süden etwas abbekommen. Aber da sind wir vielleicht in einem Promille-Bereich. Und das Problem ist, dass oftmals Industrien argumentieren, ja, aber wir beschäftigen die Menschen dort, damit die die Heilpflanzen dort kultivieren, und dadurch bekommen die Menschen Arbeitsplätze, also bekommen sie etwas ab. Die Antwort der Menschen darauf ist, und das ist eigentlich auch unsere Antwort, nein, sie bekommen davon nichts ab. Sondern sie werden schlicht und ergreifend für die Arbeit bezahlt, die sie mit ihren Händen tun. Das ist ganz normal. Das heißt, hier handelt es sich schlicht und ergreifend um nichts anderes als einen Arbeitslohn. Und das ist ja wohl recht und billig, dass Menschen dann dafür auch bezahlt werden.

Das, was die Konvention will, ist noch einmal etwas anderes, und wenn Sie so wollen, etwas Zusätzliches. Nämlich, dass die Menschen daran beteiligt werden an dem Nutzen, der aus ihrer genetischen Vielfalt und ihrem traditionellen Wissen entsteht. Das heißt, dass sie etwas von dem Gewinn abbekommen, den ein Unternehmen aus dem Norden macht oder dass ein Technologietransfer stattfindet oder dass sie sonst in irgendeiner Art und Weise tatsächlich einen Vorteil haben.

Kassel: Worüber nun in Bonn verhandelt wird in diesem Zusammenhang ist ein internationales Regime gegen Biopiraterie, relativ komplizierter Begriff. Die offizielle Formulierung ist noch komplizierter. Was konkret soll da gemacht werden?

Frein: Na ja, es geht darum, dass man die Grundprinzipien, die in der Konvention über die biologische Vielfalt bereits enthalten sind, noch einmal quasi bestätigt und noch einmal so formuliert und konkretisiert, dass sie eins zu eins in nationales Recht umgesetzt werden können. Denn daran fehlt es im Moment. Die Lücke, die wir quasi haben, ist die, dass natürlich ein Unternehmen aus Deutschland hingehen kann und sich traditionelles Wissen und genetische Ressourcen aus einem Entwicklungsland aneignen kann, über ein Patent oder sonst wie, und niemand sie daran hindert in Deutschland.

Und die Konvention sagt beispielsweise, wir müssten eigentlich nationale Gesetze schaffen, oder wir sollten nationale Gesetze schaffen, die dies verhindern. Genau dies passiert aber nicht. Die Industriestaaten nutzen jegliches Schlupfloch, um ihren Pflichten entrinnen zu können. Diese Schlupflöcher vor allen Dingen sollen jetzt durch ein internationales Regime auch geschlossen werden. Da geht es natürlich für Industriestaaten auch darum, weiterhin einen Zugang und einen geregelten Zugang zu den Pflanzen in Entwicklungsländern zu haben. Und dahinter stecken natürlich mächtige ökonomische Interessen, wie man sich vorstellen kann. Und das geht alles sehr weit über das hinaus, was wir normalerweise vielleicht unter Naturschutz so auf den ersten Blick verstehen mögen.

Kassel: Da sind ja, Herr Frein, Vertreter von insgesamt 191 Staaten in Bonn neben diversen Nichtregierungsorganisationen, natürlich 191 Staaten mit zum Teil völlig unterschiedlichen Interessen in dieser Frage. Wie wird denn da über dieses mögliche Regime gegen Biopiraterie verhandelt?

Frein: Der Punkt steht jetzt seit Mittwoch auf der Tagesordnung. Na ja, wir sind im Grunde mehr oder weniger zwei Tage jetzt dabei, darüber zu reden. Und im Moment ist es eigentlich so, dass ich vorsichtigen Optimismus verbreiten würde. Im Unterschied zu vorherigen Verhandlungen, im Vorfeld dieser Konferenz, hat noch kein Land gesagt, dass es komplett gegen ein solches Regime ist. Das war im Vorfeld beispielsweise Australien, aber mit einigen Abstrichen auch Kanada und sicherlich auch Neuseeland. Diese Länder scheinen, so sieht es im Moment jedenfalls aus, ihren Widerstand aufgegeben zu haben. Ansonsten unterhält man sich über Details und ist beim üblichen diplomatischen Fingerhakeln. Und da ist es jetzt quasi bei fast in Halbzeit der Konferenz insgesamt auch noch ein bisschen schwierig zu orakeln, was da am Ende der nächsten Woche wohl herauskommen wird.

Kassel: Zeigt nicht gerade dieses Beispiel Biopiraterie, das ist ja schon eines der ganz großen Themen auf der Konferenz in Bonn, zeigt nicht das gerade, dass, wir haben uns nun daran gewöhnt, es geht nicht mehr nur um Umweltschutz, es geht um Artenvielfalt, das ist schon viel mehr, geht es nicht bei einigen dieser Verhandlungen in Wirklichkeit um wirtschaftliche Fragen und um Handelsabkommen?

Frein: Ja natürlich, weil bei diesem Thema Biopiraterie geht es auch ganz stark um das Patentrecht. Und das ist eben eine der Möglichkeiten, die westliche Unternehmen nutzen, um sich ein Monopol über das traditionelle Wissen und die genetischen Ressourcen aus Entwicklungsländern zu schaffen. Und das Patentrecht ist natürlich Teil des internationalen Handelsregimes, und da können wir ganz klar erkennen, da geht es um ökonomische Interessen, die da eigentlich die ganz große Rolle spielen. Aber das ist nicht nur in dem Bereich der Fall, in anderen auch, wo wir das vielleicht gar nicht so gleich vermuten mögen, beispielsweise im Bereich Waldschutz natürlich.

Da wollen wir auf der einen Seite als Industrieländer, dass der Wald geschützt wird. Auf der anderen Seite finden wir kein mögliches Mittel gegen den Handel mit illegal eingeschlagenem Holz. Und wenn man sich dann ansieht, was im Bereich Welthandelsorganisation, im Bereich der WTO passiert, dann muss man feststellen, dass man dort gerade dabei ist, die Zölle auf Holz und Holzprodukte noch weiter zu senken. Dann würde das immer billiger werden und die Nachfrage nach Holz würde den Druck auf den Regenwald weiter erhöhen. Das heißt, man muss auch feststellen, dass zwar hier auf der Konferenz in Bonn über Waldschutz geredet wird, aber an anderen Stellen die Schrauben auch in eine Richtung gestellt werden, die dem nicht unbedingt förderlich ist, das heißt, politische Kohärenz, die Forderung, die wir erheben müssen. Und da fehlt es doch noch an vielen Ecken und Kanten.

Kassel: Die Konferenz ist ja noch lange nicht vorbei, aber man hört inzwischen auch einige Stimmen, die schon jetzt nicht mehr an konkrete Ergebnisse glauben. Ein Sprecher des NABU hat gestern in unserem Programm sich dahingehend geäußert, dass nach 16 Jahren Treffen dieser Art ohne große Ergebnisse, man nun eigentlich auch nicht glauben dürfte, dass diesmal eins geben wird. Noch immer gehören ja zu den 191 Vertragsstaaten beispielsweise nicht die USA, auch daran wird sich wohl nichts ändern. Sind Sie denn insgesamt optimistisch, dass diese Riesenveranstaltung in Bonn am Ende Sinn machen wird?

Frein: Na, zum einen möchte ich gerne dazu sagen, wir brauchen die Konvention, weil die direkten Ergebnisse der Konvention vielleicht nicht so ganz befriedigend sind, um es vorsichtig auszudrücken. Da würde ich dem NABU-Kollegen gerne zustimmen wollen. Aber indirekt passiert doch ganz vieles, wo man sich auf die Konvention beruft. Beispielsweise gibt es eine nationale Biodiversitätsstrategie in Deutschland, in ganz vielen Ländern, und dies würde es ohne die Konvention nicht geben. Von daher, glaube ich, ist die Konvention als solche wichtig.

Kassel: Michael Frein, Referent für Umwelt- und Handelspolitik beim Evangelischen Entwicklungsdienst über eines der großen Themen des UN-Umweltgipfels in Bonn, die Biopiraterie und über die vielen wirtschaftlichen Interessen, die dort und anderswo wirklich dahinterstecken. Herr Frein, ich danke Ihnen und wünsche Ihnen im Rahmen der Möglichkeiten noch eine erfolgreiche Veranstaltung in Bonn!

Michael Frein: Ich danke Ihnen auch!