Heute wird mehr über Partnerschaften nachgedacht
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Die Geschichte der deutschen Entwicklungshilfe hat der Historiker Hubertus Büschel im Blick. Es habe immer die Vorstellung einer Zivilisierungsmission gegeben, aber der Schwerpunkt liege heute stärker auf der Zusammenarbeit.
Ute Welty: "Eine Welt 2.0 – ‚Dekolonisiert euch!‘" Das ganze Jahr über beschäftigt uns das Verhältnis von ehemals Beherrschten und Beherrschenden, wobei die eigentliche Kolonialzeit schon etwas mehr als 100 Jahre zurückliegt. Aber was hat sich tatsächlich geändert? Genau dieser Frage geht der Historiker Hubertus Büschel nach, der in Kassel Neuere und Neueste Geschichte lehrt.
Besonders intensiv beschäftigt hat er sich mit der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in Tansania, Togo und Kamerun. Heute heißt Entwicklungszusammenarbeit, was früher mal Entwicklungshilfe genannt wurde. Das spiegelt sich auch im Namen des zuständigen Ministeriums wider, aber steckt hinter der geänderten Bezeichnung auch eine geänderte Haltung?
Büschel: Man muss zunächst mal sagen, dass in dem Konzept Entwicklung natürlich die Vorstellung einer Unterentwicklung enthalten ist. Darin hat man eindeutig auch koloniale Traditionen zu finden und auch wahrzunehmen. Wobei man auch sagen muss, dass der Kolonialismus gerade in seiner Spätzeit bereits Entwicklungsbemühungen hatte. Es gab immer die Vorstellung einer Zivilisierungsmission und immer auch die Vorstellung, Entwicklung als Konzept, wie es damals hieß, das Humankapital der Kolonien auch auf Wirtschaftlichkeit zu stellen, voranzutreiben.
Der Anspruch heute ist sicher in der Entwicklungszusammenarbeit Partnerschaft und Augenhöhe, aber es gibt immer noch Leitlinien, Planungen, Geldressourcen, die gesteuert werden, und Programme, die eben auch vom Westen her aufgelegt werden und nicht generell sehr tiefgreifend partnerschaftlich entwickelt werden.
Welty: Wie drückt sich denn westliches Kolonialherrentum aus in der heutigen Entwicklungshilfe oder in der heutigen Entwicklungszusammenarbeit?
Büschel: Da ist auf der einen Seite sicher die Abrechnung, sind die Geldflüsse, die vom Westen gesteuert werden. Da gibt es relativ wenig Eigenverantwortlichkeit bei den sogenannten Partnern. Es ist auf der anderen Seite auch immer noch das Konzept. Ich hab mich in meiner eigenen Arbeit mit dem Konzept der Hilfe zur Selbsthilfe auseinandergesetzt.
Da ging es sehr stark darum, auch die Bedürftigen vor Ort dazu zu bringen, ihre eigene Bedürftigkeit zu erkennen und ein partizipatives Projekt mitzugestalten. Hier gab es ganz eindeutig ganz stabile und feste Erwartungen, wohin Entwicklung gehen sollte, welche Planungen dann umgesetzt werden sollten und wie die Entwicklung umgesetzt werden soll.
Welty: Die sollen so werden wie wir?
Büschel: In weiten Bereichen ja, oder sie sollen – das war auch ein Ansatz – zurückgehen zu einer Art als Ideal imaginierten Zustand vorkolonialen Lebens, das gab es auch.
Musterdörfer in Togo
Welty: Was heißt das konkret?
Büschel: Ich hab mir zum Beispiel mal ein Projekt in Togo angeschaut. Das waren drei Musterdörfer. Dort haben sich die Einwohner gewünscht, dass der deutsche Entwicklungsdienst ihnen mehr hilft bei dem Bau von Häusern. Diese Häuser sollten modern aussehen, es sollte moderne Straßen geben und es sollte auch ein Blechdach drauf sein.
Und dann wurde denen eindeutig gesagt, nein, geht doch zurück zu eurer traditionellen Weise, baut die Häuser selber, versucht sie auch selber aufrechtzuerhalten und deckt sie mit Stroh ein, das ist viel nachhaltiger. Da gab es dann sehr viele Konflikte, weil auch gesagt wurde, die Moderne wird uns vorenthalten. Also das sind so diese Aushandlungen vor Ort, die man immer von Projekt zu Projekt genau anschauen muss, um auch zu sehen, wie Machthierarchien eine Rolle spielen in diesen Projekten.
Welty: Ursprünglich bezeichnet Entwicklungshilfe den Versuch, mithilfe von Geld und Wissen Wohlstandsunterschiede auszugleichen. Was ist falsch an diesem Grundgedanken?
Büschel: Grundsätzlich geht es darum, dass man erst mal überlegen muss, was ist Wohlstand. Als Wohlstand wurde eine ganze Reihe von universalistischen, sicher zweifellos wichtigen Aspekten definiert, Senkung der Kindersterblichkeit, Erhöhung der Lebenserwartung, Wirtschaftlichkeit auch im kleineren Bereich der Familien, dass man sich eben mehr leisten kann. Auf der anderen Seite waren eben die Leitlinien, was Wohlstand ist, sehr stark an westlichen Konzepten orientiert.
Vieles an kulturellem Erbe – ich hab mir vor allem afrikanische Länder angeschaut – ist auf die Art und Weise vernichtet worden, ist auch vergessen worden, ist gezielt unterdrückt worden. In dieser Vorstellung liegen wahrscheinlich sehr starke Unterschiede. In der jetzigen Zeit ist es so, dass die Entwicklungszusammenarbeit immer mehr in Richtung Krisenhilfe geht. Da gibt es sehr wichtige Aspekte, die eine große Rolle spielen und sehr wichtig sind. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) macht sehr viel Flüchtlingshilfe und sehr viel Krisenintervention.
Orientierung an eigenen Erfahrungen
Welty: Inwieweit hat man versucht oder versucht es noch, so etwas wie Wiedergutmachung zu betreiben? Namibia zum Beispiel, wo massenhafte Morde stattfanden an den einheimischen Völkern Herero und Nama – Namibia bekommt pro Kopf einen besonders hohen Anteil von Unterstützung.
Büschel: Die Bundesregierung tut sich immer sehr schwer mit Eingeständnissen in diese Richtung, und da gibt es eine historische Entwicklung, die sehr beladen ist und sehr komplex. Nach wie vor ist die Tendenz noch da, den Kolonialismus nicht als Schuld anzuerkennen, um dann eine Art von Wiedergutmachung leisten zu können.
Die ursprüngliche Ideologie der Entwicklungshilfe ging sehr stark von der Bundesrepublik Deutschland aus, auch von der Erinnerung an den eigenen Aufbau. Das Geld, was man aus dem Marshallplan bekommen hat, wollte man auch der sogenannten Dritten Welt weitergeben. Aber ein Eingeständnis der kolonialen Schuld und jetzt kann man sagen, dass man von Genozid spricht Gott sei Dank, und diese Dinge ist im Bezug auf Wirtschaftlichkeit und auf technische Hilfe und Geldflüsse immer ein problematisches Thema. Das versucht man eigentlich eher immer zu vermeiden.
Welty: Welchen Unterschied machen Sie aus zwischen Entwicklungshilfe West und Entwicklungshilfe Ost?
Büschel: Ich habe mir das mal für die DDR und die Bundesrepublik im Vergleich angeschaut. Da gab es in Ostdeutschland die sogenannte Solidarität – im Endeffekt waren das beides Konzepte, die auf Partnerschaft gesetzt haben, auf Zusammenarbeit, auf gemeinschaftliches Wirken. Beide Konzepte haben mehr oder weniger auch Problematiken aufgewiesen, weil beide mit Planungen zusammenhingen, beide mit Steuerungen, beide mit westlicher Arroganz, die da eine Rolle gespielt haben.
Von der Dimension her war die Entwicklungszusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland wesentlich größer und wesentlich umfänglicher. Beide waren von blockpolitischen Interessen geleitet, beide Länder hatten ihre Probleme mit Machtausübung, und in beiden Ländern gibt es eben auch Aspekte des Scheiterns von Projekten und Riesenauseinandersetzungen über Projekte.
Welty: Was heißt das denn im Umkehrschluss, ist es besser, Entwicklungszusammenarbeit grundsätzlich einzustellen, weil man eigentlich nichts richtig machen kann?
Büschel: Das ist so ein Argument, was immer kommt, wenn man sich kritisch äußert gegenüber der Entwicklungszusammenarbeit. Ich glaube, das ist falsch, ich glaube, das ist auch ein Fehler. Man hat in den letzten Jahrzehnten oder vielleicht auch erst in den letzten Jahren – das ist tatsächlich etwas, was so nach den 2010er-Jahren durch den Postkolonialismus und auch durch die postkoloniale Theorie immer mehr angestoßen wurde – doch einiges gelernt.
Ein Punkt ist, dass man sehr kritisch über Entwicklung und die Entwicklungsmaßstäbe nach westlichen Konzepten nachdenkt und immer mehr über Partnerschaft nachdenkt, auch im Angesicht unserer globalen Probleme wie Klimawandel, wie Fluchtbewegungen. Man denkt mehr darüber nach, auf Gesellschaften und auf die lokalen Verhältnisse zu hören von nicht europäischen Gesellschaften und gemeinsame Projekte zu entwickeln. Es gibt eine Reihe von Initiativen, die deutlicher auf Partnerschaften setzen. Da habe ich die Hoffnung und den Eindruck, dass diese Initiativen nicht nur eine reine Worthülse sind.
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