Kampf gegen Armut und Hunger bleiben der Schwerpunkt
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Eine grundlegende Veränderung der Entwicklungszusammenarbeit plant Minister Gerd Müller und steht deshalb in der Kritik. Er sieht das Konzept "BMZ 2030" als wichtigen Reformschritt für das 21. Jahrhundert und verteidigt es.
Dieter Kassel: Die sogenannte bilaterale Entwicklungszusammenarbeit zwischen Deutschland und 25 verschiedenen Staaten wird auslaufen, sie wird eingestellt. Das ist zwar nur ein Teil des Reformkonzeptes "BMZ 2030", mit dem das Entwicklungsministerium seine Arbeit in den kommenden zehn Jahren grundsätzlich neu aufstellen will.
Weil aber diese Entscheidung seit einer sehr, sehr kleinen und kurzen Pressekonferenz am Mittwoch große Schlagzeilen gemacht hat, habe ich ihn danach als erstes gefragt in dem Gespräch mit dem Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller (CSU), danach nämlich, warum das sein muss, die Zusammenarbeit mit 25 Staaten komplett einzustellen.
Die Neuerungen
Gerd Müller: Wir haben vier Säulen der Zusammenarbeit, eine davon ist die bilaterale Zusammenarbeit mit Ländern, wo wir direkte Projekte in Ländern finanzieren. Da waren wir sehr breit aufgestellt in 85 Ländern, nun ist es doch ganz normal, das Ziel unserer Arbeit ist auch der Erfolg unserer Partnerländer. Und deshalb scheiden erfolgreiche Länder nach einer gewissen Zeit aus dieser direkten Förderung aus. Dafür stärke ich dann die Zusammenarbeit des Privatsektors und unserer Privatträger.
Und dann gibt es Länder, die einfach die Kriterien nicht erfüllen, das heißt keine Erfolge bei der Korruption, Einhaltung der Menschenrechte, Good Governance, das ist zum Beispiel Myanmar, die ausscheiden. Und die dritte Kategorie sind Länder, da sind wir als Geber auf Platz 10, zum Beispiel bei den Philippinen oder Sierra Leone, wir sind einer unter vielen. Und mein Ziel ist, Wirksamkeit und Effizienz zu verstärken. Deshalb gehen wir aus diesen Ländern direkt aus bilateraler Zusammenarbeit heraus und kooperieren beispielsweise mit den Franzosen und Briten. Wir brauchen aber kein eigenes Personal vor Ort, das kostet eine Menge Geld.
Kassel: Kritiker haben ja immer schon bei Entwicklungszusammenarbeit europäischer Staaten mit Staaten in Afrika zum Beispiel, aber auch anderswo gesagt, das sei in manchen Fällen eine Fortführung des Kolonialismus mit modernen Methoden. Wenn Sie aber jetzt diesen 60 Staaten, die übrig sind für bilaterale Zusammenarbeit, zum Beispiel sagen, besonders wichtig ist uns gute Regierungsführung, also das, was man heute unter dem englischen Begriff Good Governance versteht. Ist es dann nicht genau das, sagen Sie dann nicht, wir helfen nur noch denen, die sich so verhalten, wie wir uns das vorstellen?
Müller: Nein, ich will noch mal grundsätzlich sagen, Nothilfe – wir befinden uns ja auch eben als Folge von Corona in einer dramatischen Wirtschafts- und Hungerkrise, die viele Länder der Welt betrifft –, die führen wir weiter fort – von Haiti bis zum Südsudan –, auch wenn das nicht Partnerländer im bilateralen Bereich sind, dieser Kategorien.
Es scheidet kein Land aus, wo Hunger, Not und Elend herrscht. Da ist Deutschland einer der größten Partner. Im anderen Bereich der bilateralen Zusammenarbeit, da setze ich jetzt noch einmal harte Kriterien. Und der Korruptionsindex ist für mich zentral, der ist messbar, Good Governance ist messbar, das ist absolut nicht einsichtig, dass wir Länder, die permanent bei Korruption sich nicht verbessern, sondern verschlechtern, dass wir mit denen als staatliche Institution zusammenarbeiten sollen. Deshalb gibt es den Grundsatz, wo die Korruption steigt, sinkt unsere direkte Kooperation.
Nachweis der Wirksamkeit
Kassel: Haben Sie eigentlich bei den Ländern dieser 25, die sozusagen in die zweite und dritte Kategorie fallen, die nicht rausfallen, weil sie vereinfacht gesagt diese Hilfe nicht mehr benötigen, haben Sie denen das angekündigt, haben Sie denen eine Chance gegeben, sich dazu zu verhalten?
Müller: Aber selbstverständlich. Das Konzept wird seit einem Jahr entwickelt in Kooperation, im Übrigen nicht von einer Unternehmensberatung im Haus, sondern mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wir haben mit unseren Vertretungen, den Botschaften, natürlich das breit auch abgestimmt, mit dem Auswärtigen Amt.
Das ist einfach ein Reformschritt im 21. Jahrhundert, der notwendig ist. Unser Etat wächst gewaltig. Da bin ich sehr dankbar, deshalb erwarten die Menschen, unsere Steuerzahler, auch den Nachweis der Wirksamkeit. Neue Themen stehen auf der Tagesordnung.
Nummer eins ist immer Bekämpfung von Armut und Hunger. Dazu gehört Ernährungssicherung, neue Methoden in der Landwirtschaft zu fördern. Die Weltbevölkerung wächst jeden Tag um 250.000 Menschen, aber die Ressourcen werden weniger. Das ist der zentrale Schwerpunkt.
Aber es gibt neue Themen, natürlich der Klimaschutz, wie entwickle ich eine Wasserstoffstrategie, und schon die nächsten Tage unterzeichne ich mit Marokko die Umsetzung einer Fertigungsanlage. Wasserstoff ist da die Energie, aus der Sonne, die Energie der Zukunft für Afrika. Emissionsarm, emissionsfrei, auch vielleicht die Zukunft für die Energie für Deutschland und Europa.
Zusammenarbeit mit Unternehmen
Kassel: Das klingt für mich durchaus überzeugend, aber gerade bei dem Beispiel, Herr Müller, das Sie gerade gebracht haben, das Projekt in Marokko. Es war ja bisher oft so bei Entwicklungsprojekten aus Ihrem Ministerium, dass davon auch deutsche Unternehmen sehr viel hatten, aber da gab es auch Kritik dran.
Wenn dann deutsche Unternehmen das eine oder andere Projekt durchführen, ihre Mitarbeiter runterschicken, daran auch Geld verdienen – und dann ziehen sie wieder ab. Soll sich das zum Beispiel in der bilateralen Zusammenarbeit mit den 60 Ländern, die es in Zukunft betreffen wird, irgendwie ändern?
Müller: Ich bin Realist. Der Entwicklungshaushalt Deutschlands sind zehn Milliarden. Die ganze Welt setzt 165 Milliarden ein. Ich vergleiche mal den Rüstungsetat in der Welt, der liegt jetzt bei 2000 Milliarden. Und ich komme zu dem Schluss, die großen Herausforderungen, Ernährungssicherung, Klimaschutz, Energiewenden weltweit, die werden wir nicht mit öffentlichen Geldern, auch wenn ich 100 Milliarden zur Verfügung hätte, lassen sich die Probleme Afrikas, Indiens nicht mit öffentlichen Zuschüssen und Geldern lösen. Wir brauchen Technologie- und Wissenstransfer.
Die Herausforderungen sind lösbar. Das heißt: Eine Welt ohne Hunger ist möglich, die Klimaschutzziele sind erreichbar, aber bei Klimaschutz brauchen wir beispielsweise eine Technologieoffensive, nicht den Einstieg Afrikas und Indiens in die Kohleproduktion wie bei uns in den 1950er-Jahren. Und jetzt sage ich, ja, die Technik, die Technologie, wir sind Weltmeister bei den Erneuerbaren. Wir schaffen da enorme Win-Win-Situationen, wenn unsere Wirtschaft, unsere Technologiekonzerne mit afrikanischen und indischen Firmen zusammenarbeiten.
Andere Lieferketten sind nötig
Kassel: Welche Rolle spielt bei "BMZ 2030" der Stopp von Fluchtbewegungen und die Schließung von Grenzen und die Sicherung?
Müller: Alles hängt mit allem zusammen, wir leben in einem globalen Dorf und das müssen wir verstehen. Deshalb sage ich: Umdenken im Kopf. Wir können nach der Coronakrise nicht zurück zur Normalität, der Globalisierung, wie wir sie bisher betrieben haben. Lieferketten so zu gestalten, dass wir am Anfang der Kette, bei der Näherin, die unsere Jeans in Bangladesch näht, einen Hunger-, einen Sklavenlohn bezahlen, nämlich 15 Cent Stundenlohn für diese Frauen.
Die Menschen in Deutschland werden zu Recht fragen bei globalen Lieferketten, die in China, in Indien, in Afrika ihren Ursprung haben, werden dort auch Standards eingehalten, die wir in Europa erwarten, Menschenrechtsstandards? Deshalb wird auch das Lieferkettengesetz eine neue Bedeutung bekommen. Und ich bin der festen Überzeugung aus meiner Erfahrung der letzten Jahre: Die größten Entwicklungssprünge machen wir durch fairen Handel.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.