Entwicklungspolitik-Experte: Afrikanische Eliten mitschuldig an Hungersnot

Joachim von Braun im Gespräch mit Nana Brink |
Fehlende Demokratie und Rechtstaatlichkeit sowie Korruption seien Gründe für die derzeitige Hungerkatastrophe in Ostafrika, sagt Entwicklungspolitik-Experte Joachim von Braun. "Die Verantwortung liegt bei den politischen Führern und Wirtschaftsführern der Region".
Nana Brink: Die Frage, die wir uns hier im satten Europa immer wieder stellen angesichts der akuten Hungerkrise in Ostafrika, die über zwölf Millionen Menschen bedroht: Wie kann es eigentlich dazu kommen im 21. Jahrhundert? Wer hat denn Schuld und vor allem: Was haben die immensen Entwicklungshilfegelder in den letzten Jahrzehnten wirklich gebracht? Man zweifelt ja, dass sie wirklich die erreichen, die sie am nötigsten brauchen. Fragen, die ich jetzt erörtern möchte mit Professor Joachim von Braun, Direktor am Zentrum für Entwicklungsforschung an der Universität Bonn. Einen schönen guten Morgen, Herr von Braun!

Joachim von Braun: Ja, guten Morgen!

Brink: Warum kommt es immer wieder zu solchen Hungersnöten, was hat die Entwicklungshilfe gebracht?

von Braun: Die akute Hungersnot in Ostafrika ist durch ein Bündel von Problemen, der Dürre, der Konfliktlage in Somalia ausgelöst worden. Die Entwicklungshilfe in der gleichen Region hat durchaus Wirkungen gezeigt, aber mit dieser besonders gravierenden, kritischen Situation, da muss mit Nothilfe gearbeitet werden. Aber das ist ja nicht unsere Frage, die Entwicklungshilfe wirkt langfristig. Die Armut in der Region Ostafrikas, also die Länder da, wo jetzt diese fürchterliche Hungersnot ist, hat ja abgenommen in den letzten zehn Jahren von 55 Prozent auf 39 Prozent, wenn wir Armut mal an dem Maß ein Dollar pro Tag messen. Also, es hat Fortschritte gegeben und daran hat die Entwicklungshilfe mitgeholfen.

Brink: Also ist sie richtig in diesem Sinn, wie wir sie betreiben?

von Braun: Sie ist lange nicht richtig gewesen, denn sie hat Landwirtschaft und ländliche Entwicklung zu sehr vernachlässigt, viel zu wenig Geld – relativ gesprochen – dafür aufgebracht. Und deswegen bleiben die Lebensverhältnisse in der Region Afrikas so verletzlich.

Brink: Wir haben hier ja immer noch so einen kolonialen Reflex, will ich das mal nennen: Wir fühlen uns schuldig. Verstellt das den Blick zum Beispiel auch auf die mangelnde Verantwortung der Afrikaner selbst?

von Braun: Nein, der Kolonialismus ist ja nun schon über 60 Jahre zurück. Ich glaube, der Reflex hat abgenommen. Er war sehr lange sehr richtig, sehr wichtig, und politische Geschichte wirkt sicher lange nach, das wissen wir auch in Deutschland nach der Wende. Afrika selbst denkt auch zunehmend weniger an das Problem Kolonialismus, denn die politischen Probleme sind auch überwiegend hausgemacht.

Brink: Die Afrikanische Union hatte bei ihrem Gipfel kürzlich in Addis Abeba versprochen, in den nächsten Jahren 350 Millionen Dollar bereitzustellen, um den Hunger am Horn von Afrika zu besiegen. Ist das nicht zu wenig?

von Braun: Ja, das ist zu wenig. Und 300 von den 350 Millionen stammen auch von der Afrikanischen Entwicklungsbank, da sind viele andere Geldgeber dran beteiligt. Dieser Gipfel war enttäuschend, es waren auch nur drei der Staatschefs da von über 50 afrikanischen Ländern. Die Afrikanische Union scheint sich noch von der Hilfe Gaddafis freischwimmen zu müssen, denn der Libyer-Chef Gaddafi war ja lange einer der wichtigsten Finanziers. Aber die Afrikanische Union hat auch gut gewirkt in puncto Förderung der Landwirtschaft in den vergangenen Jahren. Also ein gemischtes Bild.

Brink: Aber trotzdem gibt es ja so ein eklatantes Missverhältnis. Gucken wir mal zum Beispiel nach Swasiland, sieht man dort den Potentaten, die geben Millionen beim Shoppen in Europa aus und Sie haben es selbst gesagt: Wenn wir die Armutsgrenze bei einem Dollar pro Tag legen, dann müssen wir feststellen, zwei Drittel der Einwohner dort müssen von weniger als einem Dollar am Tag leben! Wo ist da die Verantwortung?

von Braun: Ja, die Verantwortung liegt bei den Führern, bei den politischen Führern und Wirtschaftsführern der Region. Es fehlt nach wie vor zu wenig, es mangelt an Partizipation in Afrika, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Korruption sind Themen, die hier Urgründe sind. Aber Afrika ist sehr differenziert zu sehen. Es gibt eben sehr große Unterschiede in dieser vielfältigen Region. Das Wachstum, wirtschaftliche Wachstum hat zugenommen in den letzten acht Jahren, auch das wird der Region langfristig helfen.

Brink: Nun sehen wir es doch mal ein bisschen differenzierter: Es gibt ja viele reiche Länder auch, das denkt man immer gar nicht, zum Beispiel Nigeria oder Angola. Die schwimmen in Öl, da gibt es also auch viele Rohstoffe. Und auf der anderen Seite gibt es eine enorme Kapitalflucht, jährlich 30 Milliarden Euro, die die Summe der Entwicklungshilfe auch überschreitet. Kümmern sich die afrikanischen Staaten dann wirklich zu wenig um den Hunger in ihrem eigenen Kontinent? Das Geld wäre doch da!

von Braun: Also, schwimmen im Geld tun in Afrika keine Länder. Der Ölreichtum zum Beispiel Nigerias, wenn Sie den durch die Bevölkerungszahl teilen, kommt auf ein paar Euro pro Jahr pro Person. Da dürfen wir uns nicht von den Summen in absoluten Zahlen blenden lassen, denn das sind große Länder. Aber das Thema Kapitalflucht ist ein interessantes. Afrika ist ja auch zunehmend gerade in den letzten vier Jahren attraktiv für Investoren geworden. Kapitalschutz findet von dort statt, von solchen Ländern, in denen die Investitionsrisiken zu hoch sind. Und dazu zählen zum Beispiel Nigeria, aber eben auch lange Kenia, als dort die politischen Verhältnisse bis vor drei Jahren besonders instabil waren. Es muss Stabilität gefördert werden und Investitionsanreize gegeben werden, auch für den zur Bekämpfung der Hungersnöte so wichtigen Agrarsektor.

Brink: Bedeutet denn die aktuelle Hungerkrise dann nicht doch ein Versagen der afrikanischen Eliten, wirklich die Menschen dort? Die meisten sind ja nicht reich, aber doch viele Eliten?

von Braun: Ja, und diese Erkenntnis setzt sich auch durch. Gott sei Dank ist diese schreckliche Hungersnot vielen afrikanischen Wirtschafts- und Staatsführern peinlich. Aber es ist ein breites Versagen hier, nicht nur afrikanische Eliten haben versagt, die Bekämpfung der sich verbreitenden Probleme des Klimawandels sind ein globales Problem, und natürlich ist es vor allem in diesem Falle auch ein sicherheitspolitisches Problem. Wir haben uns um die Sicherheit am Horn von Afrika viel zu wenig gekümmert. Da hat die Afrikanische Union, über die wir vorhin uns kritisch geäußert haben, durchaus jetzt in den letzten Wochen und Monaten Positives geleistet und die Versorgung der Hungerflüchtlinge ermöglicht.

Brink: Professor Joachim von Braun, Direktor am Zentrum für Entwicklungsforschung and der Uni Bonn. Schönen Dank, Herr von Braun, für das Gespräch!

von Braun: Gerne!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema