Entzauberung einer populären Politikerin
Bundeskanzlerin Angela Merkel ist beliebt und anerkannt, obwohl wenig über ihre Ziele, Motive und Konzepte bekannt ist. Die Kanzlerin bleibt oft vage und abwartend. Weshalb das so ist, versucht Dirk Kurbjuweit in seinem Buch "Angela Merkel" zu ergründen.
Zu den größten Rätseln der deutschen Politik zählen diese zwei Fragen: Warum ist Angela Merkel so überaus beliebt? Und: Wer ist diese Kanzlerin und was denkt sie? Eigentlich ist die Kanzlerin ein Paradoxon. Denn wie kann jemand, der ein so verwaschenes Bild von sich gibt, zugleich so populär sein?
"Ihre Kanzlerschaft war bisher eine große Verweigerung, sich über Worte zu erkennen zu geben."
So Dirk Kurbjuweits gewiss nicht überraschendes Urteil. Warum sie nichts von sich, ihrem Zielen, Motiven, Konzepten preisgibt, dafür sucht er eine Erklärung. Sein kompakter Essay ist ausdrücklich keine Biografie, begnügt sich aber auch nicht mit einer politischen Analyse dieser Kanzlerschaft.
Der Berliner Spiegel-Korrespondent ist nicht nur ein guter Journalist, sondern auch ein talentierter Schriftsteller. Kurbjuweit, der erfolgreiche Romancier, kann präzise beobachten und aus seinen Beobachtungen Schlüsse auf die Persönlichkeit seiner Hauptfigur ziehen. Davon profitiert diese Studie über eine Frau, die, so der Autor, "der ideale Typus für Politik total" ist.
Angela Merkel: als Außenseiterin gestartet, als Quereinsteigerin aus dem Osten begrüßt, ja, als leibhaftige Vollendung der Einheit bejubelt, als Physikerin für ihr hohes Maß an Rationalität geschätzt. Wie kommt es, dass gerade sie sich so blitzschnell dem Betrieb angepasst hat. Weshalb konnte sie an den mit allen Wassern gewaschenen Westmännern vorbeiziehen? Weshalb ist sie von den Deformationen des Politikertums stärker erfasst worden als alle Kohls und Kochs in ihrer Partei?
Kurbjuweits Antwort: Nicht obwohl, sondern weil Frau Merkel eine ostdeutsche Vergangenheit hat, macht sie sich das System perfekt untertan.
"Kann es etwa sein, dass ein Leben in der DDR, in einer Diktatur, sie ganz gut auf das Leben in der Politik einer modernen Massengesellschaft vorbereitet hat? ... Man musste sich ausmalen, dass da überall Augen und Ohren sind, dass man sich bedeckt halten muss, misstrauisch sein muss, um nicht in seiner wahren Haltung erkannt zu werden. … Sie lernte, sich zurückzunehmen. Worte können gefährlich sein – diese Regel hat sich früh bei ihr eingeprägt."
Mit dieser Grundthese erklärt Kurbjuweit fast alles, was an Angela Merkel irritiert. Warum sie sich vor klaren Sätzen hütet. Warum sie aus Vorsicht vor den eigenen Worten verstummt. Warum sie sich so selten festlegt, meist undeutlich bleibt. Aber auch, wie sie es trotzdem schaffen konnte, mitten in der Parteispendenaffäre den großen Kohl zu erledigen, erklärt der Autor aus einem Leben, dass ihr gezeigt habe, "dass man ein Regime, das schwach ist, stürzen kann."
Kurbjuweit reizt seine These ganz aus. Das führt dazu, dass er manches überspitzt. So stilisiert er Angela Merkel zur "Heimatlosen" und "Schutzlosen", über die CDU-Karrieristen aus dem Westen verletzend hergefallen seien, die nicht habe ankommen dürfen in der Bundesrepublik. Sie sei die "meistangefeindete" Frau der Republik gewesen und habe einen "gnadenlosen Machtkampf" bestehen müssen. Das ist nicht richtig. Wäre es so gewesen, hätte sie die Partei nicht zur Vorsitzenden und Kanzlerkandidatin gemacht. Unterschätzt worden ist sie, aber nicht diskriminiert.
Sie wurde aufs Schild gehoben. Kurbjuweit erklärt es so:
"Angela Merkel, von Haus aus ehrgeizig, wurde in einen brutalen Ehrgeiz getrieben. Heimatlosigkeit heißt auch, nichts verlieren zu können. Das fördert die Entschlossenheit … Angela Merkel war wild entschlossen, ist wild entschlossen. Sie kann sich nichts anderes vorstellen als Bundespolitik … Sie hat kein Idyll, keine Ersatzwelt, keine klare Vorstellung von einem danach, sie ist verdammt zu totaler Politik, und das macht sie stärker als fast alle anderen Politiker."
Den Preis, den Angela Merkel zu zahlen bereit ist, beziffert Kurbjuweit auf Heller und Pfennig. Der Mensch verschwand. Frau Merkel ist zum Neutrum geworden, ohne Herkunft, ohne Haltung. In Deutschland wird sie nicht einmal als Frau wahrgenommen. Angela Merkel trat im Wahlkampf 2005 als liberale Reformpolitikerin an, deren zentrale Begriffe Freiheit, Freiraum, Eigenverantwortung lauteten. Nichts ist mehr davon übrig. Als Kanzlerin der Großen Koalition betreibt sie eine mehr oder weniger sozialdemokratische Politik. Es ist fast unmöglich herauszufinden, ob die Radikalreformerin oder die schwarze Sozialdemokratin die wahre Merkel ist, und welche der beiden Merkels nur ein PR-Gag.
Kurbjuweit wagt sich weit vor. Er glaubt tatsächlich noch immer an die Reformerin in ihr.
"Angela Merkel hat sich als Kanzlerin zur Sozialdemokratin gewandelt, zur Zuckerbäckerin. Aus Angst vor Lafontaine. Aus Angst vor der SPD. Aus Angst vor der Stimmung im Volk. Das ist die traurigste Erkenntnis ihrer ersten Amtszeit … Sie hätte mal nein sagen können und dann sehen, was passiert. Sie hätte verhandeln können, kämpfen. Sie hätte hin und wieder klar sagen können, was sie eigentlich will. Das wäre Führung gewesen. Sie aber hat auf Führung verzichtet."
Kurbjuweit traut Angela Merkel immerhin zu, in einer schwarz-gelben Koalition zu sich selbst zurückzufinden. Davon träume sie. Bis dahin sei Angela Merkel "im Transit zu sich selbst". Wenn das nicht ein Wunschtraum ist. Frau Merkel will Kanzlerin bleiben, nichts deutet darauf hin, dass sie die Fortsetzung der Großen Koalition für ein Unglück hielte. Sie liebt das Amt mehr als die Macht, das Land zu verändern. Zumal in der großen Krise ihre früheren liberalen Ansichten an Wert verlieren. Niemand ruft mehr nach mehr Freiheit, alle nach mehr Kontrolle. Auch jetzt wieder verfolgt Frau Merkel ihre bekannte Strategie. Von allem ein bisschen.
"Im Prinzip begab sie sich wieder in den Zustand der Schwebe, ihren Lieblingszustand. Sie wartete ab. … Das Konjunkturpaket II wirkt wie die Zusammenfassung ihrer Kanzlerschaft. Es ist ein Sammelsurium, eine große, breit gestreute Wohltat, die nach politischen Gesichtspunkten zusammengewürfelt wurde."
Die Kanzlerin führt nicht, sie wird geführt, mal von Seehofer, mal von Sarkozy. An ihrer Beliebtheit in der Bevölkerung ändert es nichts, weil die Deutschen Führen durch Besänftigen für eine Tugend halten. Die Angelegenheiten der Republik sollen das Wohlbefinden nicht trüben und die Gesellschaft nicht spalten.
Kurbjuweits Buch ist die notwendige Entzauberung einer populären Politikerin. Es ist zugleich ein hellsichtiger Versuch über den Politikerberuf schlechthin; über Ängste, Misstrauen, über die Unfähigkeit zu Freundschaft, Unbarmherzigkeit und Hysterie, und über die Bedeutung als wahre Belohnung der Politiker. Wie aus einer ostdeutschen Pfarrerstochter ein Politikmensch wurde: Das ist eine ziemlich ernüchternde Erfolgsgeschichte.
Dirk Kurbjuweit: Angela Merkel. Die Kanzlerin für alle?
Hanser Verlag, München/2009
"Ihre Kanzlerschaft war bisher eine große Verweigerung, sich über Worte zu erkennen zu geben."
So Dirk Kurbjuweits gewiss nicht überraschendes Urteil. Warum sie nichts von sich, ihrem Zielen, Motiven, Konzepten preisgibt, dafür sucht er eine Erklärung. Sein kompakter Essay ist ausdrücklich keine Biografie, begnügt sich aber auch nicht mit einer politischen Analyse dieser Kanzlerschaft.
Der Berliner Spiegel-Korrespondent ist nicht nur ein guter Journalist, sondern auch ein talentierter Schriftsteller. Kurbjuweit, der erfolgreiche Romancier, kann präzise beobachten und aus seinen Beobachtungen Schlüsse auf die Persönlichkeit seiner Hauptfigur ziehen. Davon profitiert diese Studie über eine Frau, die, so der Autor, "der ideale Typus für Politik total" ist.
Angela Merkel: als Außenseiterin gestartet, als Quereinsteigerin aus dem Osten begrüßt, ja, als leibhaftige Vollendung der Einheit bejubelt, als Physikerin für ihr hohes Maß an Rationalität geschätzt. Wie kommt es, dass gerade sie sich so blitzschnell dem Betrieb angepasst hat. Weshalb konnte sie an den mit allen Wassern gewaschenen Westmännern vorbeiziehen? Weshalb ist sie von den Deformationen des Politikertums stärker erfasst worden als alle Kohls und Kochs in ihrer Partei?
Kurbjuweits Antwort: Nicht obwohl, sondern weil Frau Merkel eine ostdeutsche Vergangenheit hat, macht sie sich das System perfekt untertan.
"Kann es etwa sein, dass ein Leben in der DDR, in einer Diktatur, sie ganz gut auf das Leben in der Politik einer modernen Massengesellschaft vorbereitet hat? ... Man musste sich ausmalen, dass da überall Augen und Ohren sind, dass man sich bedeckt halten muss, misstrauisch sein muss, um nicht in seiner wahren Haltung erkannt zu werden. … Sie lernte, sich zurückzunehmen. Worte können gefährlich sein – diese Regel hat sich früh bei ihr eingeprägt."
Mit dieser Grundthese erklärt Kurbjuweit fast alles, was an Angela Merkel irritiert. Warum sie sich vor klaren Sätzen hütet. Warum sie aus Vorsicht vor den eigenen Worten verstummt. Warum sie sich so selten festlegt, meist undeutlich bleibt. Aber auch, wie sie es trotzdem schaffen konnte, mitten in der Parteispendenaffäre den großen Kohl zu erledigen, erklärt der Autor aus einem Leben, dass ihr gezeigt habe, "dass man ein Regime, das schwach ist, stürzen kann."
Kurbjuweit reizt seine These ganz aus. Das führt dazu, dass er manches überspitzt. So stilisiert er Angela Merkel zur "Heimatlosen" und "Schutzlosen", über die CDU-Karrieristen aus dem Westen verletzend hergefallen seien, die nicht habe ankommen dürfen in der Bundesrepublik. Sie sei die "meistangefeindete" Frau der Republik gewesen und habe einen "gnadenlosen Machtkampf" bestehen müssen. Das ist nicht richtig. Wäre es so gewesen, hätte sie die Partei nicht zur Vorsitzenden und Kanzlerkandidatin gemacht. Unterschätzt worden ist sie, aber nicht diskriminiert.
Sie wurde aufs Schild gehoben. Kurbjuweit erklärt es so:
"Angela Merkel, von Haus aus ehrgeizig, wurde in einen brutalen Ehrgeiz getrieben. Heimatlosigkeit heißt auch, nichts verlieren zu können. Das fördert die Entschlossenheit … Angela Merkel war wild entschlossen, ist wild entschlossen. Sie kann sich nichts anderes vorstellen als Bundespolitik … Sie hat kein Idyll, keine Ersatzwelt, keine klare Vorstellung von einem danach, sie ist verdammt zu totaler Politik, und das macht sie stärker als fast alle anderen Politiker."
Den Preis, den Angela Merkel zu zahlen bereit ist, beziffert Kurbjuweit auf Heller und Pfennig. Der Mensch verschwand. Frau Merkel ist zum Neutrum geworden, ohne Herkunft, ohne Haltung. In Deutschland wird sie nicht einmal als Frau wahrgenommen. Angela Merkel trat im Wahlkampf 2005 als liberale Reformpolitikerin an, deren zentrale Begriffe Freiheit, Freiraum, Eigenverantwortung lauteten. Nichts ist mehr davon übrig. Als Kanzlerin der Großen Koalition betreibt sie eine mehr oder weniger sozialdemokratische Politik. Es ist fast unmöglich herauszufinden, ob die Radikalreformerin oder die schwarze Sozialdemokratin die wahre Merkel ist, und welche der beiden Merkels nur ein PR-Gag.
Kurbjuweit wagt sich weit vor. Er glaubt tatsächlich noch immer an die Reformerin in ihr.
"Angela Merkel hat sich als Kanzlerin zur Sozialdemokratin gewandelt, zur Zuckerbäckerin. Aus Angst vor Lafontaine. Aus Angst vor der SPD. Aus Angst vor der Stimmung im Volk. Das ist die traurigste Erkenntnis ihrer ersten Amtszeit … Sie hätte mal nein sagen können und dann sehen, was passiert. Sie hätte verhandeln können, kämpfen. Sie hätte hin und wieder klar sagen können, was sie eigentlich will. Das wäre Führung gewesen. Sie aber hat auf Führung verzichtet."
Kurbjuweit traut Angela Merkel immerhin zu, in einer schwarz-gelben Koalition zu sich selbst zurückzufinden. Davon träume sie. Bis dahin sei Angela Merkel "im Transit zu sich selbst". Wenn das nicht ein Wunschtraum ist. Frau Merkel will Kanzlerin bleiben, nichts deutet darauf hin, dass sie die Fortsetzung der Großen Koalition für ein Unglück hielte. Sie liebt das Amt mehr als die Macht, das Land zu verändern. Zumal in der großen Krise ihre früheren liberalen Ansichten an Wert verlieren. Niemand ruft mehr nach mehr Freiheit, alle nach mehr Kontrolle. Auch jetzt wieder verfolgt Frau Merkel ihre bekannte Strategie. Von allem ein bisschen.
"Im Prinzip begab sie sich wieder in den Zustand der Schwebe, ihren Lieblingszustand. Sie wartete ab. … Das Konjunkturpaket II wirkt wie die Zusammenfassung ihrer Kanzlerschaft. Es ist ein Sammelsurium, eine große, breit gestreute Wohltat, die nach politischen Gesichtspunkten zusammengewürfelt wurde."
Die Kanzlerin führt nicht, sie wird geführt, mal von Seehofer, mal von Sarkozy. An ihrer Beliebtheit in der Bevölkerung ändert es nichts, weil die Deutschen Führen durch Besänftigen für eine Tugend halten. Die Angelegenheiten der Republik sollen das Wohlbefinden nicht trüben und die Gesellschaft nicht spalten.
Kurbjuweits Buch ist die notwendige Entzauberung einer populären Politikerin. Es ist zugleich ein hellsichtiger Versuch über den Politikerberuf schlechthin; über Ängste, Misstrauen, über die Unfähigkeit zu Freundschaft, Unbarmherzigkeit und Hysterie, und über die Bedeutung als wahre Belohnung der Politiker. Wie aus einer ostdeutschen Pfarrerstochter ein Politikmensch wurde: Das ist eine ziemlich ernüchternde Erfolgsgeschichte.
Dirk Kurbjuweit: Angela Merkel. Die Kanzlerin für alle?
Hanser Verlag, München/2009